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Strom aus Wald und Flur

Nahe der niederländischen Stadt Eindhoven läuft seit nunmehr über einem Jahr Europas größtes Biomassekraftwerk. Der Standort ist zu einem Mekka für Interessenten aus aller Welt geworden

Kesselhaus, Silos, Turbinen- und Generatorhalle sind von weitem zu sehen. 40-Tonner-Sattelzüge sind randvoll bepackt, sie kippen ihre Ladung in ein gigantisches Freilager. Die Lkws haben Holzhackschnitzel geladen, die im Südosten der Niederlande auf dem Gebiet der Gemeinde Cuijk in einem Biomassekraftwerk verstromt werden. 40 bis 50 Trucks liefern wochentags den Rohstoff für Europas größte Ökostromfabrik an. „Wir wollen künftig einen großen Teil unseres Nachschubs per Schiff über die Maas transportieren“, sagt Rob Veltrop, Projektingenieur der Siemens-Niederlassung in Den Haag. Seit September 1999 läuft das grüne Kraftwerk, das über eine elektrische Leistung von 25 Megawatt (MW) verfügt. Der Strom wird ins öffentliche Netz eingespeist. Eigentlich nichts Ungewöhnliches – doch das Kraftwerk in Cuijk zeigt, wie Ökostrom im großen Stil in der Grundlast, also rund um die Uhr, ohne technische Probleme produziert werden kann.

In nur 21 Monaten hat Siemens als Generalunternehmer für den Betreiber Energy Systems das Projekt schlüsselfertig realisiert. Turbosatz, die Rückkühlanlage sowie die gesamte Elektro- und Leittechnik haben die Erlanger beigesteuert. Das Kraftwerk ist für den ganzjährigen Betrieb konzipiert und versorgt rund 50.000 Haushalte in der Umgebung mit Ökostrom. Seit 1995 bietet Energy Systems seinen Privatkunden die Möglichkeit, gegen einen Aufpreis „grünen“ Strom zu beziehen. 1999 nahmen bereits über 35.000 Haushalte teil. Sie zahlen freiwillig umgerechnet knapp 2 Pfennig mehr pro Kilowattstunde Strom. „Weil immer mehr Kunden grünen Strom kaufen wollen, haben wir das Biomassekraftwerk in Cuijk gebaut“, sagt Ton Louwers Projektmanager von Energy Systems.

Technisch bestand die Herausforderung darin, eine Stromfabrik zu bauen, die im Grundlastbetrieb arbeitet und mindestens 8.000 Betriebsstunden erreichen sollte. Aus diesem Grund mussten wichtige Anlagenkomponenten redundant eingebaut werden. Um die Kosten der grünen Stromproduktion möglichst niedrig zu halten, wollte Energy Systems von Anfang an die Anlage vollautomatisch betreiben. Im Klartext: Im Normalbetrieb befindet sich am Standort in Cuijk überhaupt kein Personal, das Kraftwerk wird von einer rund 50 Kilometer entfernten Zentralwarte aus gefahren. „Die Zentralwarte betreut mehrere Kraftwerke gleichzeitig und erlaubt daher einen sehr effizienten Anlagenbetrieb“, erklärt Ton Louwers. Siemens-Mann Veltrop ist mit den bisherigen Erfahrungen zufrieden. „Die Vollautomatisierung des Kraftwerkbetriebs bedeutet eine besondere Herausforderung für die Leittechnik. Das System Teleperm XP hat sich bestens bewährt“, meint der 40-jährige Ingenieur. Die Anlage in Cuijk ist die erste dieser Art, die vollautomatisch gesteuert wird.

Nicht automatisiert ist die Brennstoffanlieferung. Die Holzschnitzel werden per Lkw an fünf Tagen pro Woche angeliefert. Pro Stunde sind etwa sieben Anlieferungen erforderlich, um die Vorratsspeicher für die Nacht und das Wochenende gefüllt zu halten. Das Holz stammt aus Wäldern und städtischen Grünanlagen im Umkreis von 100 Kilometern und wird in den Niederlanden, in Belgien und Deutschland eingekauft. Knapp 240.000 Tonnen davon verbraucht das Kraftwerk pro Jahr.

Aus den Waldabfällen, die sonst verroten würden, entstehen durch die Verbrennung Strom und Wärme. Dabei wird maximal so viel Kohlendioxid freigesetzt, wie die Pflanzen zuvor beim Wachstum aufgenommen haben. „Selbst die bei der Verbrennung anfallende Asche ist verwertbar. Sie enthält Mineralstoffe und kann als Dünger in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden“, erklärt Energy-Systems-Manager Louwers.

Die im Kraftwerk durch die Verbrennung der Holzhackschnitzel erzeugte Wärme produziert Dampf, der eine Turbine antreibt, die wiederum einen Stromgenerator speist. Der Anlagenwirkungsgrad liegt derzeit bei rund 30 Prozent. Der Grund: Noch werden in der Stromfabrik am Ufer der Maas nur grüne Elektronen produziert. Der Wasserdampf, der bei der Erzeugung entsteht, soll schon Ende des Jahres in einer benachbarten Papierfabrik genutzt werden. „Mit Kraft-Wärme-Kopplung erreichen wir dann einen Wirkungsgrad von mindestens 50 Prozent“, ist sich Veltrop sicher.

Die Anlage in Cuijk hat sich für Siemens bereits gelohnt. Zahlreiche Besucher vor allem aus Entwicklungs- und Schwellenländern interessieren sich für die neue Verstromungstechnik. Biomassekraftwerke in dieser Größenordnung lassen sich relativ schnell errichten. Ein weiterer Vorteil: Die Finanzierung von 90 Millionen Mark für so ein Projekt ist selbst für finanzschwache Länder noch möglich. Analysten von Frost & Sullivan rechnen mit einer weltweit steigenden Nachfrage nach Biomassekraftwerken bis zum Jahr 2010. Allein in Deutschland könnten, so Siemens-Untersuchungen, rund 50 Biomassekraftwerke mit einer Leistung von 35 MW wirtschaftlich betrieben werden.

„Biomasse gehört zu den erneuerbaren Energieträgern mit einem sehr hohen wirtschaftlich erschließbaren Energiepotenzial“, meint Cornelis Rasmussen, Biomasse-Experte beim Siemens-Konzern in Erlangen. Der Energiegehalt allein des weltweiten jährlichen Zuwachses an Biomasse übersteigt den Energiebedarf um ein Vielfaches. Und für Deutschland haben Experten des Fraunhofer-Instituts errechnet, dass Holz und andere pflanzliche Materialien mittelfristig 7 bis 15 Prozent des Strombedarfs decken könnten. Derzeit ist es insgesamt erst etwa 1 Prozent. Mit moderner Anlagentechnik könnte die Biomasse zu einem Eckpfeiler eines intelligenten und umweltverträglichen Energiemixes der Zukunft werden.

MICHAEL FRANKEN

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