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Wo der Hammer hängt

Schöne Bescherung: Die deutschen Universitäten sollen domestiziert werden! Anmerkungenzu einem aktuellen Positionspapier, das gerade den Hochschulen zur Kenntnis zugestellt wurde

Was Bildung leistet, schnurrt zusammen auf Wettbewerbam MarktDas ist ein Zurück, nicht ein Vor, das ist nicht Zukunft, das ist Vergangenheit

von PETER FUCHS

Die Hochschulen der Bundesrepublik sind seit einiger Zeit aufgefordert, ex cella zu gehen, also aus der Zelle herauszuspazieren und damit einen Zustand der Exzellenz zu erreichen. Freilich sollen sie zugleich in der Zelle bleiben und sie nicht verlassen, autonom und nicht autonom im selben Zuge sein. Man sieht das daran, dass man sie so reformieren will, dass sie sich selbst reformieren. Das ist der Form nach die berühmte „Sei-spontan-Paradoxie“. Die Instrumente sind mittlerweile hinreichend bekannt und – wie etwa die Implementation von Leitbildern – sogar von eigentümlicher Komik gekennzeichnet, insofern sie ein WIR, ein WIR-Alle heraufbeschwören, das sich auf einen sperrigen, schwer programmierbaren Zusammenhang bezieht, auf die Hochschullehrerschaft.

Sie setzt sich nämlich aus Leuten zusammen, die traditionell und zumindest dem Prinzip nach als ungewöhnlich intelligent gelten und deshalb eigentlich keinen Grund sehen müssten, Freiheitsgrade des Lehrens und Forschens leichthin aufzugeben. Im Gegenteil wäre zu erwarten, dass diese Leute scharfe Abneigungen pflegen gegen nebulöse Zumutungen, schwammige Formulierungen, ungeprüfte Klischees, von denen die Leitbildofferten ja geradezu aus allen Nähten platzen. Vor allem sollte man meinen, dass Professoren und Professorinnen hierarchiesensibel sind, Subordination nicht sonderlich schätzen und sich nicht unentwegt verneigen vor der Weisheit der Ministerien, der Rektorate, der Präsidien.

Nun gibt es aber sogar ein Rundschreiben (offenbar das vierte dieses Jahres) an alle Rektoren und Rektorinnen, Präsidentinnen und Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz. In ihm wird vermeldet, dass es einen gemeinsamen Arbeitskreis Hochschule/Wirtschaft der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und der Hochschulrektorenkonferenz gebe, aus dem ein Positionspapier zur „Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen durch Autonomie – Forderungen an die Politik“ hervorgegangen sei. Den Leitungsgremien der Hochschule sei das Positionspapier in einer Vorabfassung zugestellt worden, damit sie – was offenbar zu befürchten ist – nicht durch zu frühe Pressemitteilungen überrascht würden.

Das Positionspapier behandelt (oder verkündet) die Rolle der Hochschulen in der zukünftigen Gesellschaft. Das ist zweifelsfrei lobenswert, obwohl man die Zukunft weder kennen noch gestalten kann. Ärgerlich ist jedoch, dass die Gesellschaft sehr selektiv wahrgenommen wird: als Hochschule, Wirtschaft und Politik. Was sonst noch vorkommt, wird ausgeblendet: Kunst, Erziehung, Recht, Religion, soziale Arbeit zum Beispiel, allesamt hoch relevante Funktionssysteme der modernen Gesellschaft. Auch das, was Zukunft heißen könnte, wird unter Referenz auf das Wirtschaftssystem bearbeitet. Schaut man genau hin, dann sind es die Sprachregelungen der Wirtschaft, die sich durchsetzen: Es geht „um Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit“, um „Führungspositionen im internationalen Wettbewerb“, womit dann ja auch klar ist, dass kaum die Fächer gemeint sein können, die auf Grund ihrer komplexen Gegenstände minimal fortschreiten, für die Fortschritt (dieses kuriose Mythologem aus den Anfängen der Neuzeit) nicht einmal das entscheidende Thema ist. Ersichtlich geht es um Fächer mit technisch applizierbaren Forschungsfeldern, bei denen man Einsicht in soziale und psychische Komplexität durch Orientierung an unmittelbar erkennbaren Ergebnissen ersetzen kann.

Was Wissenschaft, was Bildung leistet, schnurrt zusammen auf Wettbewerb am Markt, auf dem man durch Exzellenz zu imponieren gedenkt. Genutzt wird eine kanonische Phraseologie, die Zukunft, Wettbewerb, Konkurrenz und Globalisierung, Offenheit, Transparenz und ähnliche Unschärfen als Eintopf serviert. Die Würze liefern wie immer Leitbilder, die diesmal das ansonsten einschlägige WIR ersetzen durch das Wort „Hochschulen“, mit dem jeder der neun Artikel der Leitbilder des Positionspapiers in offenbar feierlicher Stereotypie beginnt. Seltsam unklar ist dabei, wer oder was das ist, das alle die Dinge tun soll, die verlangt werden. Im Artikel I etwa heißt es: „Hochschulen entwickeln eigenverantwortlich ihr wissenschaftliches Profil in Forschung und Lehre …“ Aber sind es denn die Hochschulen, die dies tun, oder sind es die Lehrenden und Forschenden?

Es sind, traut man dem Positionspapier, einzig und allein die Leitenden der Hochschulen, die festlegen, was an den Hochschulen zu geschehen hat. Wer sollte sonst „für eine ständige Leistungssteigerung in allen Arbeitsbereichen sorgen“? Wer trägt denn die in nahezu allen Artikeln heraufbeschworene „Eigenverantwortlichkeit“, und wer repräsentiert die unentwegt geforderte Autonomie?

Im Artikel V wird die Sache explizit: „Hochschulen besitzen Dienstherrenfähigkeit …“ Das gilt nicht für die Hausmeister, nicht für die Studierenden, nicht für die Angestellten in der Mensa, nicht für die mittleren Chargen der Verwaltung, nicht für die Professoren. Es gilt für die Hochschulen als solche, und da Dienstherrenfähigkeiten lokalisiert werden müssen, werden es die Rektorate und Präsidien sein, denen Dienstherrenfähigkeiten angesonnen werden, und es sind nicht Dienstdamenfähigkeiten, obgleich im Anschreiben selbstverständlich Rektoren und Rektorinnen, Präsidenten und Präsidentinnen angesprochen sind.

Aber das ist nicht alles. Die Archaik von Dienstherrenverhältnissen und entsprechend Unterworfenen wird ergänzt: Hochschulen „haben alle Funktionen eines Arbeitgebers“. Wissenschaft gerät unter den Druck von Hire and Fire, was allerdings (man formuliert vornehmer) als „flexible Rekrutierungsverfahren“ gedeutet wird, die durch „Anreizsysteme in der Bezahlung flankiert“ werden. Wer mehr leistet, verdient mehr, und was Leistung ist, wird durch Abnahmebereitschaften auf Märkten definiert. Auch hier scheut man sich nicht, auszusprechen, dass die Lehre sich öffnen muss „für Belange des Arbeitsmarktes“. Gelehrt wird, so die Maxime, was die Abnehmer für sinnvoll halten. Orchideenfächer wie Germanistik, Geschichte, Soziologie räkeln sich offenbar sinnlos in der Gegend herum.

Es ist dann zwingend, dass im Artikel VIII die Hochschulen – wiederum als solche – mit der Wirtschaft zusammenarbeiten. Dies wird im Modus der Superevidenz vorgetragen. Der Zweifel wird ausgeschlossen, und für doch Zweifelnde wird in der Einleitung zum Positionspapier klar gemacht, dass „Alle Akteure in der Hochschulpolitik sich einig sind, dass …“, wobei schon in der klassischen Rhetorik dieses „Alle“ als schlechter Stil galt, weil es eben niemals alle sind, sondern einige, womöglich gar: wenige.

Wem nach alledem immer noch nicht klar ist, dass hier jemand weiß, was Hochschulen sind und was sie zu sein haben, dem wird im Klartext gesagt: „Effiziente Leitungsstrukturen“ sind erforderlich, also scharfe und steile Hierarchien. Diese werden – wie man wohl vermuten darf – die Gremienarbeit der Gruppenhochschule als bloße Schwatzbuden hinwegfegen oder sie allenfalls bewahren, um den Anschein demokratischer Prozesse zu bewahren. Notwendig, heißt es, sind „klar definierte Zuständigkeiten“. Es muss offenbar, man fasst es kaum, auch an den Orten, an denen die Intelligenz residieren sollte, unverkennbar sein, wo der Hammer hängt. An der Stelle, an der diese klar definierte Zuständigkeiten präzisiert werden (Artikel IX), kann man es als hübsche Finesse ansehen, dass die Bezeichnungen dessen, worum es bei diesen Zuständigkeiten geht, nämlich um Aufsicht, Leitung und Durchführung, in Anführungsstriche gesetzt wird. Das ist vielleicht das Signal eines Restes von Scham, da doch irgendwie an diesem Papier ja Kolleginnen und Kollegen beteiligt gewesen sein müssen, die noch bemerkt haben, dass da etwas faul ist. So ernst kann es ja nicht gemeint sein, obgleich es vermutlich blauäugig wäre, anzunehmen, dass es nicht so ernst gemeint ist.

Dies alles sind offenbar Forderungen von besonderen Vertretern der Wirtschaft, nämlich Arbeitgebern, und besonderen Vertretern der Hochschulen, nämlich Rektoren, an die Politik. Dort werden vermutlich unverschlossene Türen eingerannt. Jedem Ministerium sind schwer programmierbare, individualistische, weil intelligente Kontexte ein Dorn im Auge. Und auch der Wirtschaft kann es nur recht sein, wenn sich die Hochschulen domestizieren lassen. Sie hat es dann mit berechenbaren Hierarchien zu tun. Autonom werden die Hochschulleitungen, de-autonomisiert werden die Lehrenden und die Forschenden – von der Freiheit des Geistes erst gar nicht zu reden. Diese Leitbilder dienen nicht denen, die ihnen entsprechen sollen, sondern den Leitenden selbst.

Zum Glück, dies sei eigens vermerkt, liegt uns nur ein Positionspapier vor. Da haben Leute Position bezogen, und es ist beste akademische Tradition, Positionen nicht einfach zu übernehmen, sondern zu diskutieren und im Unterkomplexitätsfall zu verwerfen. Wichtig scheint mir, dass bemerkt wird, was sich da tut: Re-Hierarchisierung nämlich, das ist die Re-Transformation der Hochschulen in die Form, die sie vor-modern schon einmal hatten. Das ist ein Zurück, nicht ein Vor, das ist nicht Zukunft, das ist Vergangenheit. Die Leitbilder des Positionspapiers sind Euphemismen für Gleichheitserzeugung. Sie suggerieren Alternativlosigkeit, und die Re-Animierung von Hierarchien (so als gebe es heute noch heilige Gründe) ist der Effekt.

Man fragt sich, wie der Geist der Hochschule ihre Repräsentanten dermaßen heftig verlassen konnte. Geht es denn wiederum nur um Macht und Geld? Da sei Gott vor, und im Zweifelsfall: die geballte, an den Hochschulen zirkulierende Intelligenz.

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