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LUNGENENTZÜNDUNG ZWISCHEN VERHARMLOSUNG UND HYSTERIEAnsteckende Ungewissheit

Sie sind mit bloßem Auge nicht zu erkennen. Doch seit den Milzbrandanschlägen im Herbst 2001 und der Besorgnis wegen eines möglichen Pockenausbruchs ist die Angst vor Mikroben virulenter denn je. Besonders ansteckend ist dabei die Ungewissheit. Und so schwanken die Reaktionen auf die mysteriöse Lungenentzündung denn auch zwischen den Extremen Hysterie und Verharmlosung.

Angesichts von mehr als hundert Verdachtsfällen und neun Toten ist beides fehl am Platze. Angemessen sind vielmehr die berechtigte Sorge über weitere Infektionen und die Planung von Vorsichtsmaßnahmen. Denn bisher ist viel zu wenig über die neue Erkrankung bekannt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat das „schwere akute Atemnotsyndrom“ immerhin als weltweite Bedrohung eingestuft – leichtfertig geht die WHO mit derartigen Warnungen nicht um.

Noch sind zu viele Fragen unbeantwortet, um die Schlagzeilen von der „neuen Seuche“ als reine Medienhysterie abzutun. Noch ist nicht einmal gewiss, um welchen Erreger es sich handelt, wie er entstanden ist und aus welchen Reservoiren er sich speist. Niemand weiß bisher, ob eine Therapie oder gar eine Impfung gegen den Keim möglich ist. Wie infektiös die unheimliche Krankheit ist, können selbst Fachleute nur mutmaßen – begrenzt sie sich selbst, wie 1997 die „Vogelgrippe“, die nicht von Mensch zu Mensch übertragen wurde? Oder kann sie in wenigen Tagen auf allen Kontinenten zur bedrohlichen Epidemie werden?

Jenseits der medizinisch unsicheren Faktenlage gibt es jedoch ein paar Gewissheiten. Wir scheinen unsere Lektion aus der Globalisierung und der weltweit gestiegenen Mobilität gelernt zu haben. Auch wenn andere Verdachtsfälle außer denen in Frankfurt bisher nicht bestätigt sind – eine Verbreitung der neuen Seuche in Europa würde uns nicht mehr überraschen, schon haben Behörden und Flughäfen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Der Medizin und allen anderen epidemiologischen Frühwarnsystemen wird nicht mehr vorbehaltlos vertraut. Zu groß ist die Angst vor der Macht der Mikroben und ihrer – auch für Experten – immer wieder überraschenden Wandlungsfähigkeit.

Dass in diesen Zeiten hinter jeden neuen Seuche auch ein Anschlag von Terroristen vermutet wird, ist nebenbei zum kollektiven Phantasma geworden. Gegen diese Befürchtung ist kein Kraut gewachsen; sie ist mindestens so ansteckend wie die Seuche selber. WERNER BARTENS

Der Autor ist Arzt und Redakteur der Badischen Zeitung

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