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Profis ohne Profit

Der Frauen-Radsport fristet in der öffentlichen Wahrnehmung eher ein trostloses Dasein. Bei der WM in den USA könnte sich das zumindest kurzfristig ändern – sollte Judith Arndt einen Titel gewinnen

aus Hamilton SEBASTIAN MOLL

Junge Mädchen, so sagt man, seien klüger als Jungs in ihrem Alter. Ein 18-Jähriger, der gerade Juniorenweltmeister im Radfahren geworden ist, hätte sicherlich keine Sekunde gezögert, in Tour-de-France-Träumen zu schwelgen sowie seine Pläne kundzutun, möglichst bald Profi werden zu wollen. Bianca Knöpfle ist da vernünftiger. Obwohl ihre Wangen am Dienstag vor Stolz glühten, weil sie das Regenbogenfarbene Trikot der Weltbesten ihres Alters im Zeitfahren tragen durfte, gab sie sich ihre Zukunft betreffend bedächtig. Nein, ganz auf die Karte Radsport, so das Mädchen aus dem Hochschwarzwald, wolle sie auch in Zukunft nicht setzen. Das Abi werde sie artig bauen und danach auch ein Studium ergreifen.

Daran tut Bianca Knöpfle auch gut. Denn selbst der Bundestrainer der deutschen Damen, Jochen Dornbusch, sagt: „Wer als Frau auf die Karte Radsport setzt, hat sie nicht alle.“ Kaum zwei Hand voll Frauen in der Welt können passabel vom Radsport leben, so Dornbuschs Schätzung. Und selbst bei den Besten bleibe nach der Laufbahn nichts hängen. Rund zehn Profimannschaften gibt es in der Welt, und selbst dort, so Dornbusch, sei die Bezeichnung Profi nicht selten ein Hohn: „Die fahren zum Teil für 500 Euro im Monat. Das ist doch kein Profi-Sport.“

Eine, die es geschafft hat, ist Judith Arndt. Die Mitfavoritin auf den WM-Titel sowohl im gestrigen Zeitfahren (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet) als auch im Straßenrennen der Frauen am Samstag hat die zwei wichtigsten Rundfahrten der Frauen, die Idaho Challenge und die Tour de L’Aude, gewonnen. Bei der Tour de France war sie zudem zweimal Dritte, in der Weltrangliste steht sie derzeit ebenfalls auf Rang drei. Männer ihrer Leistungsstärke hätten Millionenverträge, sie kommt, wie sie sagt, „gut zurecht.“ Über die Ungleichheit der Wertschätzung von Männer- und Frauensport hat sie schon länger aufgehört sich aufzuregen: „Man gewöhnt sich an alles. Man findet sich halt damit ab.“

Das hat auch Jochen Dornbusch getan: „Das ist doch in jedem Sport so, dass die Frauen nicht den gleichen Stellenwert haben wie die Männer“, glaubt er. Ein wenig besser könne es um den Frauenradsport allerdings schon bestellt sein. Seit fünf Jahren strebt der internationale Radsportverband UCI die Durch-Professionalisierung des Sports an, weit gekommen ist er dabei nicht.

Selbst in Italien, dem Mutterland des Radsports, gibt es gerade einmal eine funktionierende Profi-Mannschaft. Der Versuch, den Frauenrennen Öffentlichkeit zu verschaffen, in dem man sie an große Männer-Rennen wie Mailand–Sanremo bindet, hat auch nicht den gewünschten Erfolg gebracht – das Fernsehen hat sich trotzdem nicht dafür interessiert.

Judith Arndt will das nicht einleuchten: „Das sieht doch im Fernsehen niemand, ob die Jungs jetzt 43 km/h fahren oder wir 40. Deswegen sind die Rennen doch nicht weniger spannend“, sagt sie. Die Gründe dafür, dass niemand Frauen auf Rädern sehen mag, scheinen tiefer zu liegen. „Das hat offenbar mit der Frauenrolle zu tun, die noch immer in den Köpfen verankert ist“, glaubt BDR-Präsidentin Sylvia Schenk: „Radfahren gilt schlicht und einfach noch immer als unweiblich.“ Noch in den Sechzigerjahren, so die Präsidentin des nationalen Verbandes, habe es keine Radrennen für Frauen in Deutschland gegeben und man habe im Verband allen Ernstes diskutiert, ob das statthaft sei. So gesehen sei man doch weit gekommen: Seit 1984 ist Frauen-Radsport olympisch – und der BDR hat eine Frau zur Präsidentin.

Einen großen Sprung, dasind sich Bundestrainer und Präsidentin einig, würde der Frauenradsport in Deutschland machen, wenn endlich ein internationaler Titel gelänge. Denn zumindest bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen interessieren sich die Medien für die radelnden Damen; durch eine Goldmedaille könne einiges in Gang kommen. Die beste Platzierung, seit Dornbusch vor sechs Jahren begann, eine Mannschaft aufzubauen, war die Silbermedaille von Hanka Kupfernagel bei Olympia in Sydney. Diese nachhaltig zu vermarkten, bedauert Sylvia Schenk, habe man leider verpasst.

In Hamilton nun hat Judith Arndt, die Hanka Kupfernagel als deutsche Spitzenfahrerin längst überflügelt hat, die Gelegenheit, als Botschafterin ihres Sports zu glänzen. Und vielleicht dazu beizutragen, dass Bianca Knöpfle in ein paar Jahren doch noch von ihrem Sport leben kann.

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