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berliner szenen Echt jetzt

Das hässliche Idiom

„Birgit, hast du am Samstag Zeit, mir beim Umzug zu helfen?“ –„Nicht wirklich.“ Sie ist nicht mehr zu überhören, diese Redewendung, sie taucht auf in allen Bezirken dieser Stadt und überhaupt in allen Bezirken der deutschen Sprache. „Nicht wirklich“. Es nervt. Der Ausdruck sagt nichts, wird dennoch quer durch alle sozialen Schichten benutzt, oft wird dabei noch interessant getan. Sandra Maischberger bedient sich des Idioms, und Dieter Bohlen und auch die von Alexander Kluge auf XXP befragten Intellektuellen tun es der Moderatorin gleich.

Möglicherweise ist die Rezession schuld daran, dass Birgit letzten Dienstag im Karstadt am Herrmannplatz eine einfache Frage derart mysteriös beantwortete. „Nicht wirklich“. Eine als finanziell belastende, Selbstwert verletzende oder einfach fatal empfundene Gegenwart traumatisiert die Reinickendorfer Ex-Büroangestellte. Und lastet so schwer auf ihrer Existenz, dass ein Wunsch die Runde macht, wonach etwas Wirkliches bitte nicht wirke. „Wirklichkeit, bitte sei: nicht wirklich.“ Das kam mir vergangenen Dienstag in den Sinn, als Birgit mit „nicht wirklich“ antwortete.

Was aber daran so stört: Höre ich den Ausdruck „nicht wirklich“, dann taucht unwillkürlich diese Frau vor mir auf. Sie ist schlecht angezogen, trägt zum Beispiel pinkfarbene Plastikohrringe, ohne das So-Sein der pinkfarbenen Plastikohrringe transzendieren zu können. Sie kaut Kaugummi, breit knatschend, und hat sich wohl während eines schlechten Ami-Films in die schwer kontrollierbaren Zonen meines Bewusstseins eingehackt. Es ist das Klischee einer Dummen, und ich möchte nicht damit konfrontiert werden, derartige Kischees in mir zu tragen. Echt jetzt. CHRISTOPH BRAUN

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