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: Gedenkfeier für Siegfried Unseld

Wagen, an das Gute zu glauben

Wie gut, dass es Petra Roth gibt. Wie gut, dass sich Frankfurts Oberbürgermeisterin eine gewisse Nüchternheit bewahrt hat und in ihrer Rede auch eine sehr weltliche Begründung für die Siegfried-Unseld-Gedenkfeier in der Paulskirche nennt: Es ist die Ernennung Unselds zum Ehrenbürger der Stadt Frankfurt, „deswegen haben wir uns hier versammelt“, so Roth. Die erfolgte zwar schon letztes Jahr, doch seinerzeit war Unseld bereits so krank, dass er die Ehrenbürgerurkunde nur noch zu Hause im ganz kleinen Kreis entgegennehmen konnte.

Ansonsten aber hat diese Gedenkfeier für den im vergangenen Oktober verstorbenen Suhrkamp-Verleger sehr viel Außerordentliches, Hochgeweihtes und Überirdisches: eine literarische Totenmesse, eine zweistündige, feierliche Andacht für die letzte große Überfigur des deutschen Verlagswesens, den „Verlegertitan“ (Roth), den Patriachen, den Übervater, an den höchstwahrscheinlich in diesem Leben kein Verleger mehr herankommen wird. Dazu der Ort: die Paulskirche, Ort von verfassungsgebenden Nationalversammlungen und Friedenspreisverleihungen, ein Ort, „an dem man an das Gute im Menschen zu glauben wagt“, so Unselds Witwe Ulla Unseld-Berkéwicz.

Nichtsdestotrotz ist es eine größtenteils sehr schöne Veranstaltung, die tatsächlich sehr intensiv das Bild (und natürlich die Größe) Siegfried Unselds vor Augen führt, die aber auch die Welt der großen Literatur (und der Suhrkamp-Kultur) heraufbeschwört und in sie hineinführt. Junge Autoren wie Daniel Kehlmann, Paul Brodowsky und Jagoda Marinic lesen aus Briefen Unselds an Paul Celan, Thomas Bernhard und Ocatvio Paz, andere, schon etwas ältere, wie etwa Durs Grünbein, Ralf Rothmann oder Albert Ostermaier, lesen aus Unselds Texten und Büchern, und wieder andere, mehr aus Unselds Generation, erinnern sich persönlich an Unseld: Louis Begley, Christoph Hein, Adolf Muschg, Cees Noteboom und Jorge Semprun. Dabei ist die Rede von Christoph Hein vielleicht die bewegendste, da Hein zum Tod seiner Frau Parallelen zieht, den er genauso wenig verstehen mag wie den von Unseld, und jene von Adolf Muschg die am feinsten gedrechselte, aber auch verschwurbeltste und unverständlichste, die einen beim Zuhören weit weg in eine angenehme Gedankenleere zieht.

Daraus zurückgekehrt fragt man sich allerdings, warum Martin Walser fehlt, der seit den Fünfzigerjahren eine sehr enge Beziehung zu Unseld unterhielt; man fragt sich auch, warum der seit Unselds Tod den Verlag leitende Günter Berg nicht zu Wort kommt; man fragt sich überhaupt, wie es mit Suhrkamp nach Unselds Tod weitergeht, mit Berg, Unseld-Berkéwicz, dem Stiftungsrat. Doch diese Gedenkfeier soll nicht der Ort für so profane Erwägungen über die Zukunft sein. Hier geht es ausschließlich um Erinnerung.

Nachdem dann Friederike Mayröcker vier Gedichte vorgetragen hat, ist es schließlich Ulla Unseld-Berkéwicz, die die letzten Worte spricht. „Wer zweimal schon im Krankenhaus gestorben ist, der stirbt besonnen und in Frieden zu Hause“, hebt sie an, bedankt sich bei den Anwesenden: „Alle, die ihm geholfen haben, das Leben seiner letzten fünf Monate zu leben, sind jetzt hier“, und fährt in diesem Pathos mit ihrem Gedenken an Unseld fort. „Meine Geschichte war so schön“, soll Unseld in seinen letzten Tagen noch „demütig und dankbar“ gesagt haben, und genau sechs Tage vor seinem Tod in einer Tonbandansprache an seine Autoren: „Ich habe auf euch gebaut, andere und ihr auf mich. Vielleicht kann es auf eine andere Weise so weitergehen.“

GERRIT BARTELS