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„Wir machen nicht alles“

Für entstellte Patienten sind plastische Chirurgen oftmals die letzte Hoffnung, ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Für Klienten, die ohne medizinische Notwendigkeit eine Schönheitsoperation wünschen, fühlen sie sich nicht zuständig

von EVA OPITZ

Wer auch immer für den Spruch „Wer schön sein will, muss leiden“ verantwortlich ist, hatte vermutlich nicht die ästhetisch-plastische Chirurgie vor Augen. Dennoch trifft der Satz. Jede Schönheitschirurgie ist ein Eingriff in den Körper und kann mitunter fatale Folgen haben.

Der plastische Chirurg in Deutschland ist ein gefragter Mann oder eine geschätzte Frau. Er gilt als Experte in allen Schönheitsfragen, von der Haarwurzel bis zum Zeh. Mit ihrer Figur oder ihrem Gesicht unzufriedene Frauen und eine langsam, aber stetig wachsende Zahl von Männern mit Tränensäcken oder diätresistenten Bäuchen erblicken in ihm ihren Retter in der Not.

Laut Umfragen hadert jeder vierte Deutsche mit seiner äußeren Erscheinung und wäre einer Verschönerungsoperation nicht abgeneigt. Ganz oben auf der Wunschliste steht das Absaugen von Fett, gefolgt von Straffung der Lider sowie Gesicht, Stirn und Hals. Dann folgen Operationen, um die Brust zu vergrößern oder zu verkleinern. Die Eingriffe laufen fast ausschließlich unter dem Etikett „ästhetische Chirurgie“, sind teuer und werden von den Kassen nicht bezahlt. Eine Gesichtsstraffung, besser bekannt als „Facelift“, ist unter 6.000 Euro kaum zu bekommen.

Möglich geworden sind die perfekt gelifteten Wangen- und Kinnpartien durch den medizinischen Fortschritt in der plastischen Chirurgie. Sie weist beachtliche Erfolge auf bei der Behandlung von Verbrennungen, Kriegsverletzungen, Unfällen oder Infektionskrankheiten wie Wangenbrand, die das Gesicht von immungeschwächten Kindern völlig entstellen können. Haut von der Bauchinnenseite ersetzt die von der Infektion zerfressenen Wangenteile.

„Darauf sind wir stolz“, sagt Klaus Exner, Chefarzt der Klinik für Plastische Chirurgie am Markus-Krankenhaus in Frankfurt am Main. Mit Hilfe neuer Methoden gelingt es, Nasen und Ohren für ein menschenwürdiges Gesicht zu rekonstruieren oder Amputationen zu verhindern, weil mit Hilfe der plastischen Chirurgie die Unterschenkel den Körper wieder tragen können. „Ästhetische Chirurgie ist dabei von plastischer Chirurgie nicht zu trennen“, so Exner.

Frauen bekommen neuen Lebensmut durch rekonstruierte Brüste nach einer Krebsoperation. „Vor 30 bis 40 Jahren war kaum vorstellbar, was heute dank neuer mikrochirurgischer Techniken möglich ist“, erklärt der Arzt. Profitiert davon hat unter anderen ein 30-jähriger Handwerker, dem durch einen Unfall der Daumen der rechten Hand abgetrennt und durch den zweiten Zeh des rechten Fußes ersetzt wurde. Der Mann kann wieder als Schlosser arbeiten.

Diskussionen entzünden sich denn auch nicht an den Operationen der plastischen Chirurgie, die wichtige Lebensfunktionen wie Essen oder Sprechen wieder möglich machen. Kritik hagelt es an der Arbeit der plastisch-ästhetischen Chirurgen, eine Bezeichnung, die nur ein Arzt führen darf, der nach der sechsjährigen Facharztausbildung zum plastischen Chirurgen eine zusätzliche Weiterbildung absolviert hat.

Schätzungen, die auf dem Jahreskongress der Plastischen Chirurgen in Freiburg bekannt gegeben wurden, gehen von jährlich rund 300.000 ästhetischen Eingriffen von Fachärzten aus, die in den Vereinigungen der plastischen und der ästhetisch-plastischen Chirurgen organisiert sind. Dazu kommen mindestens noch einmal so viele Eingriffe von Frauen- und Hautärzten, Hals-Nasen-Ohren-Spezialisten oder von Allgemeinmedizinern. Sie haben sich einige Techniken in Wochenend- oder Abendkursen angeeignet und gehen mit dem schnell erworbenen Können auf Kundenfang.

„Schönheit auf Bestellung im Dienste einer kommerzialisierten Wohlfühlchirurgie“ lautet denn auch einer der Vorwürfe gegen die Chirurgen. „Ärzte werden zu Erfüllungsgehilfen einer künstlich geschaffenen Nachfrage, die von einem konstruierten Schönheitsideal ausgeht“, sagt Forschungsreferent Giovanni Maio vom Zentrum für Ethik und Recht in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg. Vorwürfe, die Chirurgen wie Wolfgang Mühlbauer von der Arabella-Klinik in München dazu bringen, seine mehr als tausend Facharztkollegen in Deutschland vehement zu verteidigen.

„Wir können schönheitschirurgische Eingriffe von Ärzten, die aus finanziellen Gründen und ohne die entsprechende Ausbildung operieren, nicht verhindern“, sagt der Arzt. „Genauso wenig wie Beiträge von Privatsendern, die eine Operation wie den Gang zum Friseur hinstellen.“ Für den erfahrenen ästhetisch-plastischen Chirurgen stünden am Anfang immer ein intensives Patientengespräch und eine gründliche Voruntersuchung. Ziel sei es, herauszufinden, wie weit die Lebensqualität durch Fehlbildungen beeinträchtigt sei und der Leidensdruck gemildert werden könne. „Die klassische Chirurgie ist kein Selbstbedienungsladen“, unterstützt Björn Stark, Direktor der Abteilung Plastische und Handchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg, seine Kollegen. „Wir machen nicht alles, was einer wünscht.“

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