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Der Prügelstrafe entgehen

Felix Sturm ist durch Zufall und Zielstrebigkeit Boxweltmeister im Mittelgewicht geworden. Heute verteidigt er in Las Vegas seinen Titel gegen den übermächtigen Oscar de la Hoya

VON RAINER SCHÄFER

Was Felix Sturm vorhat, ist, bei klarem Verstand betrachtet, ein aussichtsloses Unterfangen. Vielleicht sogar ein gefährliches. Oscar de la Hoya gilt als einer der besten Boxer des letzten Jahrzehnts. Sturm ist für den Kalifornier nur ein Steigbügel, ein unliebsamer Umweg zum geplanten Kampf gegen Bernard Hopkins, für den eine Börse von 30 Millionen Dollar ausgelobt werden soll. De la Hoya muss Sturm vorher aus dem Weg räumen und könnte dabei Schicksal spielen: Es laufen Wetten, dass Sturm danach nie wieder in den Ring steigt.

Der 25-Jährige ist zwar Weltmeister im Verband WBO, seit er am 13. September 2003 in Berlin Hector Velazco schlug, aber dieser Kampf war dem Zufall geschuldet: Kurz entschlossen sprang Sturm für seinen verletzten Stallgefährten bei Universum, Bert Schenk, ein und erboxte sich nach nur vier Wochen Vorbereitung den Titel. „Da habe ich gezeigt, dass ich mentale Stärke habe“, sagt Sturm. Aber reicht die, um gegen de la Hoya zu bestehen? „Wenn er topfit ist, hat er Chancen“, sagt Trainer Michael Timm. „Er trainiert wie ein Besessener, ich muss ihn bremsen.“

Lange Zeit war de la Hoya Sturms Idol. Das es jetzt zu entzaubern gilt. „Ihm werden üble Sachen nachgesagt, bis hin zur Vergewaltigung. So einen Ruf möchte ich nicht haben“, singsangt der in Leverkusen geborene Sturm in rheinischer Sprachmelodik. Er ist keiner der Boxer, die ihrem Trainer Ärger machen, weil sie sich im Milieu tummeln. Sturm raucht und trinkt nicht; wenn er ausgeht, dann ins Kino oder mit anderen Boxern zum Spanier oder zum Italiener.

Um an einem Kaliber wie de la Hoya nicht zu verzweifeln, hilft es, sich selber stark zu reden und den anderen schwach. „Ich habe ihn gesehen, mit hohen Absätzen, überheblich und zu fett“, ist Sturm überzeugt, dass er den Herausforderer mit der zweifelhaften Vita in Bedrängnis bringen kann. Immer wieder studiert und seziert Sturm die Kämpfe des Amerikaners. „Felix kann mit den Augen klauen“, weiß Michael Timm. „Er kann Bewegungen perfekt kopieren. Das können nicht viele.“ Vielleicht steht de la Hoya heute verwirrt im Ring und merkt, dass einer ihn mit seinen Mitteln bekämpft.

Aber vor dem Schlagabtausch lebt Boxen immer von Finten und von martialischen Sprüchen. Bei manchem, der seinen Gegner zerstören wollte, spritzt dann das Blut im Ring wie bei einem Schlachtfest. Oft ist es der Kopf, die Psyche, die Riesenmänner zu hilflosen Kindern macht, sie verzweifelt dastehen lässt, die Handschuhe vor dem Gesicht, als ob sie um Verschonung betteln wollten.

Auch Sturm kennt solche Bilder. Die Vorstellung, dass er übel zugerichtet werden könnte im Trommelfeuer von de la Hoyas Fäusten, lässt er nicht zu. Je mehr er hört von den Waffen des Wunderboxers, desto stoischer wird er. Wenn so viele zweifeln, dann arbeitet er noch ein wenig härter, immer an seine Chance glaubend.

Denn das Leben von Felix Sturm ist dem Boxen untergeordnet. Mit 11 fing er in Leverkusen damit an, nach dem Fachabitur in Betriebswirtschaft verschrieb er sich ganz dem Faustkampf: Als Amateur konnte er in 122 Kämpfen 113 Siege vorweisen. Seit 2000 ist er Profi in Hamburg. Einer Stadt, die er „schön, aber für mich langweilig“ nennt, in der er sich überwiegend „zum Trainieren und Schlafen“ aufhält. Oft pendelt er zwischen Hamburg und Leverkusen, wo seine aus Bosnien stammenden Eltern und sein Freundeskreis leben.

Sogar seinen Geburtsnamen Adnan Catic hat er geändert, um sich länger im öffentlichen Gedächtnis zu halten und besser vermarkten zu lassen. „Ich will eine gesicherte Zukunft und Familie haben. Ich will keine Kneipe aufmachen oder in einem Bierbüdchen stehen.“ Vielleicht ist Sturm ein wenig wacher als manch anderer in der Branche. „Mentale Faulheit findet man bei vielen Boxern, bei mir nicht“, glaubt er. Michael Timm lobt den „sehr willensstarken Menschen“, der versessen daran arbeitet, anvisierte Ziele zu erreichen.

„Alles, was ich in den letzten Monaten angepackt habe, hat geklappt.“ Wenn er im Boxring etwas geleistet hat, belohnt sich Felix Sturm. 45 Paar Schuhe, reihenweise Anzüge und einige Rolex- und Breitling-Uhren sind seine Trophäen, sein Ersatz für alterstypische Vergnügungen. „Gut kleiden ist eine Vorliebe von mir.“ Wie David Beckham mit seinem Aussehen spielt, gefällt ihm. „Ich will kein monotoner Typ sein“, gibt Sturm einen kurzen Blick frei auf die Persönlichkeit, die sich hinter dem Boxer entwickelt.

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