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Reiten, wechseln, leiten

Arnulf Conradi verlässt den Berlin Verlag und übergibt die Leitung seiner Cheflektorin Elisabeth Ruge

VON GERRIT BARTELS

Glücklich kann sich schätzen, wer die Zügel selbst in der Hand behält und seiner Geschicke eigener Herr bleibt. So wie Arnulf Conradi, der am Dienstagabend seine Entscheidung bekannt gab, als Leiter des Berlin Verlags zurückzutreten. Seine Nachfolgerin wird Elisabeth Ruge, die bisherige Cheflektorin des Verlags und Leiterin des zum Berlin Verlag gehörenden Kinder- und Jugendbuchverlags Bloomsbury.

Conradi, der vergangenes Jahr 60 Jahre alt wurde, sagte seinen überraschten Mitarbeitern in einer laut Ruge „emotionalen“ Sitzung, dass es immer zu seiner Lebensplanung gehört hätte, mit sechzig aufzuhören und dann seiner langjährigen Mitarbeiterin und Noch-Ehefrau die Leitung zu übergeben: „Ich bin froh, dass ich das tun kann, solange ich noch auf mein Pferd komme.“

Schon als Conradi und Ruge 1994 den Berlin Verlag gründeten, wollten sie nicht einfach nur ein Nischenprogramm veröffentlichen, sondern sogleich im Konzert der Großverlage mitspielen. Bücher von großen englischsprachigen Autoren und Autorinnen wie Richard Ford, Nadine Gordimer, James Salter oder Margaret Atwood erschienen im Berlin Verlag, genauso wie Bücher von berühmten osteuropäischen Autoren wie Péter Nádas, Péter Esterházy oder Vladimir Sorokin, und zudem entdeckte der Verlag deutsche Erfolgsautoren und -autorinnen wie Ingo Schulze, Elke Schmitter und Susanne Riedel. Dass es trotzdem nicht ganz reichte, bewies vordergründig die Übernahme des Berlin Verlags durch Random House im Jahr 1998. Doch ging es Conradi nicht zuletzt auch um einen größeren finanziellen Spielraum, zumal er jetzt zusätzlich den Bertelsmann-Imprint Siedler leitete und begann, mit dem Random-House-Geld dem Berlin Verlag einen Taschenbuchverlag anzugliedern, den Berliner Taschenbuch Verlag. 2003 verhielt sich dann wieder alles ganz anders. Conradi sah die Gefahr einer „Stromlinienförmigkeit“ und verließ aus eigenen Stücken Random House – aber nicht, um nun gänzlich unabhängig zu arbeiten, sondern um sich mit dem Londoner Bloomsbury Verlag zu verbinden, einem unabhängigen mittelständischen Verlag, der sich mit Harry Potter eine goldene Nase verdient und dem Berlin Verlag neben einer Kinder- und Jugendbuchreihe in Bloomsbury Berlin eine zweite neue Reihe beschert hat.

Nun wechselt man im Verlagswesen nicht mehrmals das Pferd, ohne logistische Probleme zu bekommen. Die hat man beim Berlin Verlag, wie Elisabeth Ruge in einem Gespräch mit dieser Zeitung erklärt, gerade im Hinblick auf den Vertrieb inzwischen erfolgreich bewältigt, und der Nobelpreis für Elfriede Jelinek, der Friedenspreis für Péter Esterházy und Ben Schotts Bestseller-Erfolg „Sammelsurium“ taten ein Übriges, um Conradi den Zeitpunkt seines Rückzugs als ideal erscheinen zu lassen und einen gut aufgestellten Verlag zu übergeben. Dass dieser das auch bleibt, dafür dürfte, in enger Zusammenarbeit mit Bloomsbury, Ruge schon sorgen, hat sie doch Richtung, Programm und Ausstattung des Berlin Verlags seit je mitbestimmt. In Zeruya Shalevs Roman „Späte Familie“ und den im Herbst erscheinenden neuen Büchern von Ingo Schulze und Ben Schott nennt Ruge auch gleich drei Bücher, die das gewohnt gediegene literarische Programm des Verlags auch 2005 problemlos mittragen. Conradi im Übrigen bleibt dem Verlag beratend erhalten, ansonsten aber zieht es ihn in die Kulturpolitik.

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