Lobbyarbeit für den öffentlichen Dienst

In der Gehaltsdebatte bittet Parlamentspräsident Thierse um Vorschläge für neue Verhaltensregeln. Doch Experten warnen: Allzu strenge Vorschriften könnten ganze Berufsgruppen aus dem Parlament verbannen, übrig blieben am Ende nur Beamte

AUS BERLIN ULRIKE WINKELMANN

Was macht eigentlich ein Parlamentarier sonst noch so? Der Präsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Thierse (SPD), sitzt in nicht weniger als 20 Beiräten, Kuratorien oder Vorständen – ehrenamtlich. Die CDU-Abgeordnete Hildegard Müller arbeitet noch als Abteilungsdirektorin der Dresdner Bank – für Geld. Außerdem hat sie bezahlte Beirats- und Aufsichtsratsposten sowie acht Ehrenämter.

Derartige Informationen kann jeder der Internetseite www.bundestag.de entnehmen. Was dort nicht steht, ist die Höhe der Bezüge sowie die Zahl der real abgeleisteten Arbeitsstunden. Genau diese beiden Faktoren aber haben mit den Fällen Hermann-Josef Arentz und Laurenz Meyer eine Debatte darüber ausgelöst, ob Nebentätigkeiten von Abgeordneten in Ordnung sind – oder auf Lobbyarbeit und Korruption hinweisen. Müller erklärte dazu gestern: „Erstens: Meine Arbeitsleistung ist gewährt – sowohl bei der Bank als auch bei meinem Bundestagsmandat. Und zweitens: Es gibt keine Interessenverquickung.“

In Sorge um den Ruf des Parlaments hat Thierse einen Brief an die Fraktionschefs geschrieben. Er bittet, sich der Frage anzunehmen, „ob und gegebenenfalls welche Änderungen der Verhaltensregeln“ für die Abgeordneten „nötig sein könnten“. Mit welcher Dringlichkeit dies betrieben wird, war nicht zu erfahren. Die Koalition werde darüber reden, hieß es bei den Grünen. Man stehe ja nicht unter Zeitdruck.

Immerhin haben die Grünen bislang die radikalsten Vorschläge gemacht. So will etwa der grüne Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck Nebeneinkünfte mit den Diäten verrechnen. Dies allerdings stieß überall, auch in Becks eigener Fraktion, auf Widerspruch. Nicht das Geld selbst könne das Problem sein, sondern ob die Bürger meinen, genug über den Privatberuf der Abgeordneten zu wissen. Doch auch die Forderung nach „Transparenz“ und Offenlegung der Einkünfte hat einen Haken: Damit jagt man Freiberufler, vor allem die derzeit 82 Rechtsanwälte und Unternehmensberater, aus dem Parlament.

Hier hat der öffentliche Dienst mit 230 von 601 Abgeordneten ohnehin schon eine Übermacht. Es sei ohnehin viel interessanter, ob und wie sich ein Abgeordneter einem Berufsstand verpflichtet fühlt, als ob und wie er für eine Nebentätigkeit bezahlt wird, meint der Jenaer Soziologe Heinrich Best. Er hat vor einem Jahr eine Umfrage bei 1.500 Bundestags-, Landtags- und Ex-Abgeordneten gemacht.

Best erklärt: „Die meisten Abgeordneten kommen mit einem normalen Beruf ins Parlament. Und sie scheiden in einem Alter aus dem Parlament aus, da der Beruf noch eine wichtige Rolle spielt.“ Ihre Nebentätigkeiten bräuchten sie, um den Draht ins spätere Berufsleben nicht zu verlieren. Abschreckendes Beispiel ist hier die PDS, deren Abgeordnete zu 25 Prozent in der Arbeitslosigkeit landen.

„Jeder, der ein Mandat ausübt, nimmt auch ein berufliches Interesse wahr“, sagt Best. Die Parlamentarier empfänden sich selbst als „Experten“ ihres Berufsstands: Deshalb verteidigen Ärzte die Ärzteschaft, Lehrer die Lehrerschaft und so weiter. Wichtig sei deshalb ein Berufsmix im Parlament, um einseitige Interessenvertretung zu vermeiden: „Man kann nur hoffen, dass die sich dann gegenseitig in Schach halten.“