Die Minuten sind kostbar

In einem Jahr könnte das Frühwarnsystem im Indischen Ozean installiert sein, sagen Spezialisten. Noch sind Finanzierung und Zeitplan aber offen

von WOLFGANG LÖHR

Beschlossen jedenfalls ist es schon: Die Teilnehmer des internationalen Krisengipfels in Jakarta haben sich gestern geeinigt, ein regionales Tsunami-Warnsystem im Indischen Ozean und der südostasiatischen Region einzurichten. Allerdings wurde in Jakarta noch nicht über die Finanzierung gesprochen und auch ein Zeitplan wurde nicht genannt.

Zahlreiche Menschen könnten noch leben, wenn die Menschen am Indischen Ozean rechtzeitig vor den Flutwellen gewarnt worden wären – und wenn es nur einige Minuten gewesen wären. Doch da in den letzten Jahrzehnten keine großen Tsunamis in der Region vorgekommen sind, sahen die Regierungen der Anrainerstaaten keine Notwendigkeit für ein solches Vorwarnsystem. Und das, obwohl Experten wiederholt davor gewarnt hatten, dass auch in dieser Region Monsterwellen entstehen können (siehe unten).

Noch im Juni sagten Experten auf einer UN-Konferenz, es gebe ein „bedeutendes Tsunami-Risiko“ für diese Meeresregion. „Aber Länder wie Indien und Malaysia haben wenig Interesse gezeigt und nie die Initiative ergriffen“, kritisiert der US-Experte Tad Murty von der Universität in Manitoba, Winnipeg, die jahrelange Ignoranz der Regierungen.

Wenn all die Zusagen eingehalten werden, die zahlreiche Politiker in den letzten Tagen abgaben, dürfte jedenfalls die Finanzierung eines regionalen Tsunami-Alarms kein Problem darstellen. So versprach unter anderem US-Außenminister Colin Powell schon vorab, Thailand bei dem Aufbau eines Warnsystem zu unterstützen. Auch der deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger sicherte den Anrainerstaaten finanzielle Hilfe und wissenschaftliches Know-how bei der Errichtung eines Alarms zu.

Angesichts der enormen Schäden und der geschätzten über 200.000 Todesopfer, die das Seebeben gefordert hat, sind die Kosten für das geplante Vorwarnsystem eher gering: Auf rund 11 bis 15 Millionen Euro schätzt Phil McFadden vom Geowissenschaftlichen Institut in Australien die Kosten. Die australische Regierung hat das Forschungsinstitut bereits damit beauftragt einen konkreten Plan auszuarbeiten. In einem Jahr schon könnte das Vorwarnsystem in Betrieb gehen.

Als Vorbild soll das regionale Tsunami-Warnsystem im Pazifik dienen: 26 Anrainerstaaten in der Region zwischen Australien, Asien und dem amerikanischen Kontinent sind dem „Pacific Tsunami Warning System“ angeschlossen. Ursprünglich wurde es schon 1948 zum Schutz der US-Bevölkerung eingerichtet. Nach mehreren verheerenden Tsunamis wurde es dann 1965 zu einem multinationalen System ausgebaut. Ein Netz von Seismografen, Wasserstandsmeldern und Tsunami-Warnbojen meldet bedrohliche Veränderungen in das „Tsunami Warning Center“ in der Nähe von Honolulu auf Hawai. Dort werden die Daten ausgewertet. Besteht die Gefahr, dass ein Tsunami entsteht, werden sofort Warnungen an die angeschlossenen Staaten weitergegeben. Bisher konnten alle fünf pazifikweiten Tsunamis der letzten Jahrzehnte vorausgesagt werden, nur bei der Vorhersage, wie groß die Flutwellen werden können, verschätzten sich Wissenschaftler. Und auch Fehlalarme sind häufiger vorgekommen.

Das weihnachtliche Seebeben zeigt, dass die Einrichtung von Messstationen allein nicht ausreicht. Notwendig sind auch schnelle Kommunikationsstrukturen, die bis in die kleinsten Fischerdörfer reichen und gewährleisten, dass die Warnung auch bei den Menschen ankommt. Dieses Netz aufzubauen, wird wahrscheinlich weitaus schwieriger und teurer sein, als nur Messstationen im Meer einzurichten und eine Zentrale aufzubauen. Aber es bleiben eben nur wenige Minuten, wenn das Meer bebt.