: Betriebe geizen mit Lehrstellen
Die Ausbildungssituation in NRW ist katastrophal. Jugendliche werden auf Schulen „geparkt“. Zudem ist der Ausbildungskonsens gefährdet: CDU und FDP planen weniger „Korporatismus“
VON NATALIE WIESMANN
Mehr BewerberInnen, weniger Ausbildungsstellen: Die Ausbildungslage in Nordrhein-Westfalen verschlechtert sich weiter. Weder der Ausbildungskonsens auf Landesebene noch das alljährliche Klinkenputzen von Politikern bei Betrieben kann diesen Trend aufhalten. Zwar sind am Tag der Ausbildungsplatzes am 30. Mai rund 3.200 neue Lehrstellen akquiriert worden, doch waren Ende Mai immer noch 55.000 Schulabgänger ohne Ausbildungsvertrag – zwei Prozent mehr als im Mai 2004. „Wir befürchten ein ähnlich ungünstiges Ergebnis wie im letzten Jahr“, sagt Christiane Schönefeld, Leiterin der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit.
Eine steigende Zahl von Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz überbrückt die Wartezeit in einer berufsvorbereitenden Maßnahme. Die Leiterin der Regionaldirektion kritisiert diesen Zustand: ,,Auch wenn die jungen Leute weiter zur Schule gehen, ist das Problem nicht gelöst, sondern nur verschoben.“ Auch das Angebot berufsvorbereitender Bildungsmaßnahmen sei so gut wie ausgeschöpft. „Wir laufen hier mit etwa 26.000 Plätzen in NRW an der Kapazitätsgrenze“, sagt Schönefeld.
Für die Gewerkschaften kann eine wirkliche Verbesserung der Berufschancen für Jugendliche nur durch eine Ausbildungsplatzabgabe erreicht werden: „Wir halten eine Umlagefinanzierung nach wie vor für nötig“, sagt Norbert Wichmann, bildungspolitischer Sprecher des DGB in NRW.
Auf Bundesebene ist der Ruf nach einer solchen Abgabe zurzeit kein Thema. Und die Gewerkschaften sind am Ausbildungspakt nicht beteiligt. Den Ausbildungskonsens auf Landesebene, wo die Gewerkschaften mit am Tisch sitzen, hält Wichmann trotz allem für hilfreich. „Wenn es den nicht gäbe, wäre die Situation noch schlimmer“. Der Zusammenschluss von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden, Kammern und dem Arbeitsministerium habe zumindest erreicht, dass jedem Jugendlichen ein ausbildungsähnliches Angebot gemacht werden könne.
Doch der Ausbildungskonsens auf Landesebene ist gefährdet. CDU-Chef Jürgen Rüttgers und FDP-Partner Ingo Wolf haben bereits angekündigt, dass sie solchen „Korporatismus“ zurückfahren wollen. Auch der designierte Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann sagte vor ein paar Tagen zur Welt am Sonntag: „Ich halte nicht viel von runden Tischen, bei denen schon die Form signalisiert, dass sie keinen Anfang und kein Ende haben. Ich neige zu Arbeitsgruppen mit konkretem Auftrag und definiertem zeitlichem Ende.“
Radoslav Veljovic, zuständig für die Qualifizierung von schlecht ausgebildeten Jugendlichen bei der Volkshochschule Wuppertal, hätte einen Vorschlag, wie die neue Landesregierung auch ohne Ausbildungskonsens die Schaffung von Ausbildungsplätzen erreichen könnte: „Kleine Betriebe, die aus Kostengründen nicht ausbilden können, müssen subventioniert werden“. Denn nichts sei schlimmer, als wenn Jugendliche keine Perspektive mehr sähen. „Viele sind frustriert und wissen nicht mehr, warum sie sich die Mühe machen sollen, zum Beispiel ihren Hauptschulabschluss nachzumachen“, sagt Veljovic.
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