piwik no script img

Aussichtsreich

Die zweite „Gaststube zur schönen Aussicht“ in der alten Feuerwache

Vielleicht lernen Sie sich im Lauf des Abends ja kennen“, sagt die Moderatorin im grünen Jackett und die Leute sehen beklommen vor sich auf den Boden. Es sind Männer mit Bart und Brille und Frauen in Jacken aus guter Wolle, sie sind nicht gekommen, um ihre Tischnachbarn kennen zu lernen. Wozu, denken Sie, hat man eine Gastgeberin hierherein geladen, die Schauspielerin Gabriela Maria Schmeide, wenn nicht deshalb, weil sie hier für die Unterhaltung sorgen soll?

„Gaststube zur schönen Aussicht“ heißt das Projekt und jetzt ist zumindest Frau Schmeide zu sehen, in einer schwarzen, carmen-artigen Bluse, vom Publikum freudig begrüßt. Es müssen Freunde des Bremer Theaters sein oder zumindest Kinofreunde, die den großartigen Film „Halbe Treppe“ gesehen haben, wo Gabriela Schmeide eine traurig-verhuschte Ehefrau spielt. Heute Abend ist sie guter Dinge und auch der kritische Mann in der grünen Fleecejacke ändert daran nichts. „Bald wird hier italienische Gastronomie sein“, hatte sich die Moderatorin gefreut und gefragt, ob jemand Erinnerungen an die alte Feuerwehrwache habe. „Ja“, sagt der Grünjackige. Er erinnere sich an die Zeit, als hier ein durchaus gutes Improvisationstheater gespielt habe. Den Wechsel zur italienischen Gastronomie scheint er nicht für eine kluge Idee zu halten, aber jetzt ist es langsam Zeit, den Überraschungsgast zu begrüßen.

Es ist ein grauhaariger Mann mit Vollbart und ganz offenkundig kennt Gabriela Schmeide ihn nicht. „Muss ich mich schämen?“, fragt sie, aber sie ist Walter Mossmann, dem Liedermacher und AKW-Aktivisten, schließlich auch fremd. „Ich hatte mal eine Singstimme“, sagt er auf ihre Frage, was er denn tue. „Aber dann hatte ich Kehlkopfkrebs“. Es gibt Sätze, an die man schlecht anknüpfen kann. Vielleicht ist es manchmal das Beste, einen gewissen praktischen Geist zu bewahren. „Was sind Sie von Beruf“, fragt Gabriela Schmeide, „Entertainer?“ „Ich bin Autor, eine Weile habe ich Lieder geschrieben“, sagt Mossmann „Vielleicht sehen wir uns Ihr Filmchen an“, schlägt Gabriela Schmeide vor. Und als man im Filmchen Mossmann mit der Gitarre sieht, in Brokdorf, wo er gegen das Atomkraftwerk ansingt, wird schließlich auch klar, warum diese beiden hier aufeinander treffen sollen: Die Schauspielerin, die gerade in einem Film über die Antiatomkraftbewegung mitgespielt hat, einer Komödie, und der alte AKW-Kämpfer.

Und es funktioniert. Natürlich ist es auch Höflichkeit, die die beiden darauf bestehen lässt, lieber dem anderen zuzuhören. Natürlich ist Schmeide keine Expertin der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Begriff Seveso sagt ihr nichts. Aber er möchte tatsächlich von ihr wissen, wie viel man in der DDR über Tschernobyl erfuhr. Und sie von ihm, ob er glaube, dass sein Engagement zu einem dauerhaften Ergebnis geführt hat. Darüber gelangen sie dann zur Gentechnik, zur menschlichen Lernfähigkeit und schließlich zum Bremer Regen. „Jetzt sind wir schon beim Wetter“, sagt Mossmann, der ein kluger Mensch ist und schlägt vor, zum Schluss zu kommen. „Ist der Schoß der 68er noch fruchtbar?“ fragt ein Mann aus dem Publikum und ein dünner Herr kommt nach vorn, um seine Platten signieren zu lassen. grä

Nächste Gaststube am 7.6., 20 Uhr, im Hochhaus der Hochschule Bremen mit Christoph Sodemann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen