: Heimatmuseum Landkommune
Katastrophenjahr 1986: Lars Jessens Regiedebüt „Am Tag als Bobby Ewing starb“ besichtigt den Anti-Atom-Protest
Die heile Welt der letzten Landkommune in der Wilster Marsch. Wenn nicht grade Sitzblockade vor dem AKW Brokdorf angesagt ist, sieht man fern. Lieblingsserie: „Dallas“. Aber grade als das Plenum das Problem ausdiskutieren will, das einer der Kommunarden mit sich selbst hat, passiert Doppeltes. Erstens ist Bobby Ewing tot. Zweitens explodiert das AKW Tschernobyl. Wir haben das Katastrophenjahr 1986, und die Kommune erfährt, dass es draußen etwas gibt, das nicht wegdiskutiert werden kann. Ja, wir können und sollen über die verbiesterten Atomkraftgegner lachen, über ihren politischen Eifer, ihre Engstirnigkeit und über ihre Sackgassen. Kein Problem, wir sind zwanzig Jahre später. Der Film rekonstruiert das Kommuneleben mit Hingabe, liebevollen Details und alles sauber zum Wiedererkennen. Wenn man sich einen Namen merken will, dann ist es der von Heike Lauer-Schnurr. Sie verantwortet das wunderschöne Szenenbild: ein Heimatmuseum.
So weit, so gut. Museumsreif ist jedoch mitnichten die Besetzung: Peter Lohmeyer, Nina Petri, Richy Müller und so weiter. Die Kommunardenszene ist fremd besetzt, denn die Prominenz passt nicht zu Brokdorf. Und doch darf man das guten Gewissens nicht monieren, weil die TV-Koproduzenten wie Radio Bremen und NDR so was für die Quote brauchen. Trotzdem ein artiges Dankeschön an die Sender, dass das Werk zustande gekommen ist und auf dem Max-Ophüls-Festival 2005 als Bester Spielfilm ausgezeichnet werden konnte. Während die Ausstattung Richtung Dokumentarspiel tendiert, zielen die Schauspieler auf eine Komödie, wie wir sie vom TV-Spielfilm gewohnt sind. Da sitzen die Deppen vor dem Brokdorf-Tor und werden von der souveränen Polizei belehrt, dass der Transport längst die Hintertür passiert hat. Also ziehen die begossenen Pudel wieder ab. Nach Hause. Jetzt darf auf ihre Kosten gelacht werden. Aber. Es gibt ein Aber. Auf den letzten Metern des Films. Wir sehen, selten genug, dokumentarisches Material: Wasserwerfer in Aktion. Das ist keine Lachnummer mehr. Dementiert der Film jetzt seine Anfangssequenz? Aber da ist der Film auch schon zu Ende. Im Abspann steht ein Dank für die Mitwirkung der Polizei.
Doch sollte man das nicht verbissen sehen. Denn zuzusehen, wie die, die heute zwanzig Jahre älter, also Eltern sind, – zuzusehen, wie die liebevoll verarscht werden, macht jedem Jüngeren Spaß. Das Lob des Country Life auf der Tonspur, „all the sheep running free“ und im Bild die Schafe, die geschoren werden: jetzt können wir schmunzeln und uns auf etwas gefasst machen: aufs Spinnen und Stricken an den langen Abenden vor der „Dallas“-Glotze.
Lassen wir das also, am Film herumzumäkeln. Er ist unangreifbar. Denn erzählt wird aus der Perspektive des pubertierenden Niels (Franz Dinda), der in das Alternative Wohnkollektiv Regenbogen einzieht und in Rekordzeit die Schnauze voll hat. Kein Fleisch, keine Gewalt, kein Atomstrom, aber Indoktrination und voll die autoritäre Erziehung wie bei den Spießereltern der Kumpels. Niels, der Held, reagiert aggressiv, und Lars Jessen, der Regisseur, arbeitet mit dem Film autobiografische Traumata ab. Das ist sein therapeutisches Vorhaben, und wir können, wenn wir wollen, daran teilnehmen. Wobei wir freilich im Kino eine Art Gesprächsgruppe wären, wie der Autor sie gehasst hat. Wie aber kann man bezweifeln, was ihm selbst vor zwanzig Jahren als kleiner Junge auf dem platten Land widerfahren ist? Für Jessen ist der Film „eine ganz persönliche autobiografische Zeitreise, die mich zwang, Stellung zu beziehen zu einer einschneidenden Erfahrung meiner Kindheit und Jugend, die mich bis heute geprägt hat“.
Okay. Das Trauma der autoritären Erziehung in der antiautoritären Zeit wird weggearbeitet. Das ist doch was in unserer Gegenwart, in der allüberall der Ruf erschallt, Kinder endlich wieder zu disziplinieren. Passt bloß auf, ihr Jungregisseure und Erziehungsberechtigten von 2005, zwanzig Jahre später seid ihr dran, am Tag als wer auch immer starb. Bis dahin möchte ich aber dem Kameramann Andreas Höfer ganz persönlich gesagt haben, dass die Erfindung der Flachlandtotale eine ästhetische Innovation ist, die über einen TV-Spielfilm weit hinausweist. Und das geht so: Die Kamera bleibt vor einem Deich nicht stehen, sondern geht die acht Meter hoch. Dann breitet sich links und rechts und drum herum die platte Fläche in die Unendlichkeit, und die Deicheuphorie macht mich oder Niels oder Lars Jessen zum Mittelpunkt der Welt. Hatte sich vor zwanzig Jahren nicht auch alles um die Regenbogenkommune gedreht? Irgendwas muss doch von damals hängen geblieben sein, nichts Schlechtes, nichts Lächerliches, aber was Großartiges. Ist doch so, auch wenn es nur die Kameraästhetik sagen darf. DIETRICH KUHLBRODT
„Am Tag als Bobby Ewing starb“, Regie: Lars Jessen. Mit Peter Lohmeyer, Franz Dinda, Gabriela Maria Schmeide u. a. Deutschland 2005, 92 Min.
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