piwik no script img

KIRSTEN FUCHS über KLEIDERMatronen werden Matrosen

Immer mehr Städte tun so, als lägen sie am Meer. Sogar Berlin ist inzwischen voller Seefahrerinnen

Vor ein paar Tagen an der Ampel: Nichts Böses ahnend, aber auch nichts Schönes ahnend, eben einfach gar nichts ahnend bin ich auf einmal mitten in der Stadt mitten am Meer. Das liegt nicht an einer steifen Brise, die aufkommt, oder an einem großen Auto, das aussieht wie ein Schlachtschiff, auch die Möwen, die in der Nähe der Spree den lahmen, gurrenden Tauben fix und kreischend das Futter wegschnappen, versetzen mich nicht ans Meer.

Der Grund ist, dass auf der anderen Straßenseite zwei Matrosen an der Ampel stehen. Es sind weibliche Matrosen und sie tragen ihre Sonnenbrillen als Haarreifen. Es ist Frühling, und der Matrosenlook ist dieses Jahr wieder da. Da schreie ich deshalb nicht „Jippi“, weil ich als Kind im Ostseeurlaub immerzu auch solches Zeug tragen musste: blau-weiß gestreiftes Kleidchen mit Knöpfchen, auf denen Ankermotive sind, natürlich mit Matrosenlatz am Kragen, des Weiteren weiße Hütchen, auf denen Schiffe, Fische, Möwen und Seesterne abgebildet sind – alles, was einem Modedesigner beim Brainstorming zum Thema Meer einfällt. Das musste ich alles tragen.

Für mich ist das voll die Urlaubsmode von Stadttrotteln, die während der Badesaison den Meeresspiegel mit ihren dicken Leibern um einen halben Meter steigen lassen und abends die Inselbewohner mit Fischerhemden belustigen. Warum tragen erwachsene Frauen so was? Wollen sie einen Typen mit Yacht kennen lernen? So einen, der sich locker den Pullover um die Schultern hängen lässt? Matrosenlook ist die sehnsuchtsvollste Mode, die ich mir vorstellen kann. Da kann höchstens noch die Trachtenmode mithalten. Es geht um heile Welt, Heidi, und Heidi macht Urlaub in der heilen Welt am Meer. Ich verstehe die Freude im Frühling auf den Sommer und auf den Urlaub. Die Freude darauf, sich mal wieder richtig die Nase zu verbrennen, mal wieder richtig Sand in der Kimme zu haben und die nach Bräunungscreme duftende Welt durch die Sonnenbrille zu betrachten.

Ja, ich fahre dieses Jahr auch wieder an die Ostsee, aber deshalb renne ich doch nicht mitten in der Stadt nackt rum, oder im Bademantel, mit einem Handtuch um den Kopf. Stadt ist Stadt und Meer ist Meer, das lässt sich durch Anhäufungen von Sand, auf dem Beachvolleyball gespielt wird, leider nicht ändern, auch nicht durch den Matrosenlook. Da wo kein Meer ist, fehlt dann immer das Meer, damit es sich wirklich anfühlt wie am Meer. Da helfen keine Strandtaschen und Badelatschen. Irgendwann werden die Großstädter womöglich Handtücher in die Straßenbahn legen, um sich Plätze zu sichern.

Warum ist eigentlich die Matrosenoptik so ein Frauending, obwohl Matrosen eigentlich eher männlich sind? Ich glaube, bei Männern sieht so ein Sabberlatz hinten nicht so putzig aus. Vielleicht wollen Männer auch gar nicht putzig aussehen. Dann könnten sie ja die Piratenmode tragen, die es noch gar nicht so richtig gibt, außer zu Fasching. Sexy Holzbein? Gefährliche Augenbinde? Hätte doch was!

Als die Ampel endlich grün wird und die zwei Matrosinnen mir auf der Straße entgegenkommen, grüße ich mit der Hand an der Stirn. Sie grüßen zurück und lachen. Es ist eine fröhlichmach-Mode, Urlaub, Sehnsucht. Ich will ja gar nicht meckern, aber ich frage mich schon, warum gerade dieses Jahr das Blau-Weiß wieder da ist. Ist wirklich einfach nur das Retro-Karussell wieder an dieser Stelle angekommen? Oder ist diese Modewelle von der Flutwelle hervorgerufen? Das ist die einzige Erklärung, die mir einfällt.

Aus der Politik hieß es, man solle wieder in die Länder fahren, die große Schäden durch die Flut erfahren haben. Auch die Einheimischen rufen nach Touristen, die wieder Geld ins Land bringen sollen. Und könnte besser für das Meer geworben werden als mit Sehnsucht und Matrosen, die einem mitten in der Stadt begegnen? Wenn es sich um ein Komplott handelt, dann habe ich in dem Fall gar nichts dagegen. Vielleicht klappt es ja. Geld muss verreisen. Ist richtig! Inzwischen bin ich alt genug, dass mich meine Mutter nicht mehr zwingen kann, so ein Zeug zu tragen.

Fragen an Poseidon? kolumne@taz.de Morgen: Robin Alexander über SCHICKSAL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen