: Hilfe für Pädophile
Die Charité bietet eine anonyme Therapie für potenzielle Sexualtäter und hofft, dass sie von selber kommen
BERLIN taz ■ Die Berliner Charité geht einen neuen Weg, um den sexuellen Missbrauch von Kindern zu bekämpfen: Sie bittet potenzielle Täter, freiwillig zu einer anonymen und kostenlosen Therapie zu kommen.
Bisher richteten sich Aufklärungskampagnen zu Sexualstraftaten vor allem an die möglichen Opfer und deren Umgebung. Die Charité dagegen will nicht mehr nur Eltern und ErzieherInnen um mehr Wachsamkeit bitten, sondern die möglichen Täter direkt ansprechen. Männern, die von ihrer pädophilen Neigung wissen und gegen diese angehen wollen, wird vorbeugend eine Therapie angeboten – bevor sie sich an Kindern vergreifen.
„Wir wissen aus Untersuchungen und Gesprächen, dass es Männer mit pädophiler Neigung gibt, die fürchten Straftaten zu begehen und dringend therapeutische Hilfe suchen“, sagte Klaus Michael Beier vom Institut für Sexualmedizin der Charité und Initiator des Projekts gestern in Berlin. Hilfe allerdings fänden diese Menschen viel zu selten. In Deutschland gebe es zu wenig speziell ausgebildete ÄrztInnen, zu groß sei häufig die Hemmschwelle, etwa mit dem Hausarzt über die krankhafte Neigung zu sprechen.
Laut polizeilicher Kriminalstatistik werden in Deutschland jährlich 20.000 Kinder sexuell missbraucht. „Die Dunkelziffer allerdings ist 15- bis 20-mal so hoch“, sagte Jerome Braun vom Opferschutzverband Hänsel und Gretel. Der Verein geht von mindestens 300.000 Fällen aus. Bei dieser Dunkelziffer setzt das Forschungsprojekt an.
Mit Plakaten und einem TV-Spot sucht man Kontakt zu potenziellen Sexualstraftätern. Das Motto: „Lieben Sie Kinder mehr, als Ihnen lieb ist?“ In der Charité stehen 180 Plätze zur Verfügung und schon vor dem Start der Kampagne haben sich 50 Männer für die zwölfmonatige Behandlung angemeldet.
Heilbar allerdings ist Pädophilie nicht. „Das ist so und das bleibt auch so“, sagte Klaus Michael Beier. „Damit müssen diese Menschen zurechtkommen.“ Mit einem könne allerdings erreicht werden, dass es nicht zum Missbrauch kommt: Die Männer müssten lernen mit der Neigung zu leben ohne sie auszuleben.
„Wir haben jetzt endlich die Chance, im Dunkelfeld aktiv zu werden“, sagte Jerome Braun. Nicht um Täterschutz geht es dem Geschäftsführer von Hänsel und Gretel, sondern um Schutz für die Kinder. Um den zu erreichen, sei Prävention das beste Mittel.
Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt und wird von der Volkswagen-Stiftung mit über 500.000 Euro unterstützt. Geht es nach den Machern, soll im Anschluss ein flächendeckendes Hilfesystem etabliert werden – damit es erst gar nicht zum Missbrauch kommt. MADLEN OTTENSCHLÄGER
meinung und diskussion SEITE 11
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