: Visa-Affäre endet in Karlsruhe
Rot-Grün will pünktlich sein und beschließt das Ende des Ausschusses zur Visa-Affäre – gegen den Willen der Opposition. FDP und Union wollen Karlsruhe anrufen
BERLIN taz ■ Dem Untersuchungsausschuss zur Visa-Affäre droht heute ein Ende im Eklat. Rot-Grün will offenbar seine Mehrheit im Ausschuss dazu nutzen, die Beweisaufnahme abzuschließen. Aus Termingründen müsse der Ausschuss sofort beendet werden, argumentierte der grüne Obmann Jerzy Montag, sonst könne der Abschlussbericht für den Bundestag nicht rechtzeitig fertiggestellt werden. Die Opposition ist außer sich.
„Das wäre das unparlamentarische Ende eines Ausschusses“, empörte sich der FDP-Obmann Hellmut Königshaus über den Verstoß gegen politische Gepflogenheiten. „Wir wussten, dass wir es bei Rot-Grün mit Pokerspielern zu tun haben. Aber ich dachte, wir stünden auf dem gemeinsamen Boden eines demokratischen Konsenses.“ FDP und Union kündigten an, vor das Verfassungsgericht zu ziehen.
Der Ausschuss war eingesetzt worden, um den massenhaften Missbrauch von Visa vor allem an der Botschaft in Kiew in den Jahren 2000 bis 2003 aufzuklären. Dabei traten gravierende Verstöße und Schlampereien vor allem im Auswärtigen Amt zutage. Ohne Kenntnis der Hausspitze hatten Beamte von Innen- und Außenministerium das Visarecht so geändert, dass es mafiösen Schleuserbanden gelungen war, die Erteilung von Sichtvermerken manipulieren zu können. Zehntausende Personen sind auf diese Weise über Deutschland in die EU eingereist; sie wurden teilweise zu Schwarzarbeit und zur Prostitution gezwungen. SPD-Obmann Olaf Scholz gestand gestern Fehler der Regierung ein, sagte aber, die hysterischen Vorwürfe der Opposition hätten „keine Tatsachengrundlage“.
Das Ende des Untersuchungsausschusses ist ungewöhnlich, weil die Regierung ihre Mehrheit ohne Rücksicht auf die Argumente der Opposition nutzt. Das gilt im Umgang mit Ausschüssen, die einen ähnlichen Rang einnehmen wie Gerichte, als verpönt. Rot-Grün kann keinen Verstoß gegen die politische Kultur erkennen.
Grüne und Sozialdemokraten sehen das Recht auf ihrer Seite. Das Gesetz über Parlamentarische Untersuchungsausschüsse schreibe vor, die Arbeit mit einem ordentlichen Abschlussbericht zu beenden. Die mutmaßlich vorzuziehenden Neuwahlen machten es zwingend nötig, jetzt die Arbeit einzustellen. „Wir dürfen das Gesetz nicht brechen“, sagte der Abgeordnete Sebastian Edathy (SPD) der taz. „Wir verstoßen sonst auch gegen den Anspruch des amtierenden Bundestages, den Abschlussbericht noch diskutieren zu können.“ Die letzte Sitzung des Bundestages findet voraussichtlich Anfang September statt.
Die Union regierte gereizt. Der Obmann der Union im Ausschuss, Eckart von Klaeden, drohte Rot-Grün indirekt. „Sie haben die Umgangsformen verdorben und müssen damit rechnen, dass sie in Zukunft gegen sie angewandt werden“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion bei einer aktuellen Stunde im Bundestag. Klaeden warf Rot-Grün vor, die Justiz zu behindern.
CHRISTIAN FÜLLER
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