Und die Zahlen scheppern

Die Angriffe auf Muslime sollen nach den Terroranschlägen in London um 600 Prozent gestiegen sein. Das riecht nach Alarmismus. Viel wichtiger ist, die Stigmatisierung von Muslimen zu verhindern

VON JAN FEDDERSEN

Die Nachricht mag politische Analytiker multikultureller Gesellschaft so alarmieren wie bestätigen: Angeblich um 600 Prozent habe sich, so Scotland Yard, die Rate von so genannten Hassdelikten gegen die muslimischen Communities in London erhöht. Das könnte Beleg für das sein, was politisch gern unter „Islamophobie“ summiert wird, um zu indizieren, dass nicht der muslimisch inspirierte Terror das Problem der demokratisch-rechtsstaatlichen Welt sei, sondern die rassistisch begründete Aversion gegen Islam und muslimische Einwanderung. Tatsächlich verwischt die dramatisch klingende Zahl das, was als echte Wirklichkeit genommen werden könnte: Eine Erhöhung von 2 auf 14 innerhalb einer bestimmten Frist wäre ebenso eine Steigerung um 600 Prozent wie auch eine von 3.500 auf 24.500.

Zahlengeschepper jedenfalls, nichts sonst, denn konkret stieg die Zahl der gemeldeten Delikte jener Sorte in London seit den jüngsten Bombenattentaten für einen gleichen Zeitraum im Vorjahr von 40 auf 269 – worin aber auch alle so genannt weichen Fälle geborgen sind: Schmährufe und Schandbemerkungen. 269? In einer 14-Millionen-Einwohner-Stadt? Darf man das, ohne als rassistisch zu gelten, für verkraftbar halten – und für ein Indiz, dass die Kapitale dieses Landes, das bürgerlich-zivilisierte Vereinigte Königreich, ziemlich gelassen reagiert auf den islamistischen Terror?

Balanciert betrachtet, stimmt auf alle Fälle, was Tarique Ghaffur im Namen von Scotland Yord gestern sagte: Man dürfe muslimische Bürger nicht als solche stigmatisieren – dies führe nämlich dazu, dass sich diese „komplett in ihr Schneckenhaus zurückziehen“, wenn man ihre Unterstützung brauche.

Eben darauf kommt es, im Sinne des gesellschaftlichen Friedens, an. Großbritannien sieht die muslimischen Communities nicht als desintegriertes Segment – sondern als Teil seiner selbst. Eine selbstverpflichtete Haltung, die auch den Unterschied zu Deutschland umreißt: Sie, die notorischen Ausländer, gehören nicht dazu – und mögen bestenfalls am Katzentisch der Gesellschaft bleiben. Hier sind wir, die Deutschen, da die anderen, die Ausländer: Solange dies so ist, wird Integration in Großbritannien immer besser gelingen. Und werden Fahndungserfolge mit muslimischer Hilfe zu verbuchen sein.