Richterkritik an Ausländerpolitik

■ Auf ihrem „Richterratschlag“ teilten die Juristen auch Kollegenschelte aus

Berlin (taz) - Mit einer deutlichen Warnung an die politisch Verantwortlichen vor der geplanten Verschärfung des Asylrechts ging am vergangenen Wochenende in Schleswig–Holstein der sogenannte „Richterratschlag“ zuende, zu dem sich rund 200 Richter aus dem gesamten Bundesgebiet getroffen hatten. Schwerpunkt dieses bisher elften „Ratschlags“ kritischer Richterinnen und Richter war diesmal die Ausländer– und Asylpolitik. Als schlichtweg „verfassungswidrig“ beurteilten die Richter darin die von der Bundesregierung vorgesehenen Geldbußen für Fluggesellschaften, die ausländische Flüchtlinge ohne gültiges Visum in die Bundesrepublik befördern. Eine derartige „gezielte Schaffung von Anreisehindernissen“ seien mit der Verfassung nicht vereinbar. „Poltitische Flüchtlinge ohne Einreisevisum dürfen nicht an der Benutzung der Luftverkehrswege gehindert werden“, heißt es in Punkt 1 der Erklärung der Richter zum Asylrecht. Die Kritik der Richter/innen zielt auf die unmenschlichen Lebensbedingungen für Asylsuchende in der Bundesrepublik ab. Die Unterbringung in Sammellagern sollte auf keinen Fall länger als sechs Monate dauern. Ein Arbeitsverbot für Asylsuchende sei klar auf maximal ein Jahr zu begrenzen, alles weitere, so der Richterratschlag, wirke sich „katastrophal“ aus. Ungewöhnlich harte Kritik übten die Richter/innen an ihren obersten Kollegen vom Bundesverwaltungsgericht. Mit seinen Urteilen, daß Folter nicht generell ein Asylgrund sei und tamilische Flüchtlinge in Sri Lanka nicht als Gruppe politisch verfolgt würden, habe das Bundesverwaltungsgericht „den Begriff der politischen Verfolgung bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt“. Der Richterratschlag appellierte daher an alle Kollegen, dieser höchstrichterlichen Entscheidung nicht zu folgen, sondern zu dem zu stehen, „was sie für Recht halten“. Anlaß zur Sorge sahen die Juristen auf ihrem Treffen auch im Umgang mit dem Thema Ausländerkriminalität. Nach den Feststellungen der Richter/innen werden Ausländer vergleichsweise häufiger angezeigt und von der Polizei festgenommen. Obwohl dann ein überdurchschnittlicher Teil der angezeigten Fälle wegen mangelnden Tatverdachts eingestellt wird, landen Ausländer häufiger hinter Gittern. Ve.