Plutoniumfabrik ALKEM „out of control“

■ Liegt in Hanau das Potential für die deutsche Bombe? / Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Der taz liegen Papiere vor, die beweisen, daß die internationale Atomaufsichtsbehörde IAEO in Wien das bundesdeutsche Plutonium nicht mehr unter Kontrolle hat. Die Befürchtung, daß die BRD jederzeit Plutoniumbomben bauen könnte, bewegt auch den Nachbarn Frankreich und sorgt in den USA für Mißtrauen.

Frankfurt (taz) - Hans–Dietrich Genscher, Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, war zutiefst empört. Ausgerechnet sein engster Verbündeter, Frankreichs Außenminister Jean Andre Francois–Poncet, hatte ihn just vor versammelter Mannschaft der EG–Außenminister in schwerste Bedrängnis gebracht. Was, so wollte Francois–Poncet von Genscher wissen, stellten die deutschen Freunde eigentlich mit dem Plutonium an, das sie aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage in La Hague geliefert bekämen. Die Frage war kein Schuß ins Blaue. Schon seit längerem beobachtete die französische Regierung und ihr Außenminister, der vorher als Botschafter in Bonn residiert hatte, mit Argwohn die Anhäufung von Plutonium im Bunker der ALKEM–Werke in Hanau. Während der Außenminister–Konferenz im Mai 1979 wollte Francois–Poncet es nun wissen. Seine Regierung, so teilte er Genscher mit, verlange „eisenharte Garantien“, daß die BRD ihr in Hanau gelagertes Plutonium „ausschließlich für friedliche Zwecke“ einsetze. Das Verlangen führte zum diplomatischen Eklat. Genscher wollte zu dem Verdacht seines Kollegen, die Deutschen horteten das brisante Zeug, um an einer eigenen Atomwaffe zu basteln, nicht Stellung nehmen. Stattdessen wurde der Fall zur Chefsache. Zwar konnte auch Helmut Schmidt seinem Freund Giscard dEstaing die „eisenharten Garantien“ nicht geben, doch die Bundesregierung verwies „verschnupft“ auf die vielfältigen internationalen Kontrollen, denen das bundesdeutsche Plutonium unterworfen sei. Die „International Atomic Energie Agency“ (IAEA oder eingedeutscht: IAEO) - mit Sitz in Wien - habe auch in der einzigen Lagerstätte für Plutonium auf westdeutschem Boden, dem Plutoniumbunker der Hanauer Firma ALKEM, „alles im Griff“. IAEO streckte die „Kontrollwaffen“. Diese Version der Bundesregierung wird durch jüngste Äußerungen aus IAEO–Kreisen gestützt. Obgleich für den sogenannten Bundes–Plutoniumbunker im ALKEM–Plutoniumbunker noch immer kein „facility attachment“ (Kontrollvereinbarung mit der IAEO) existiert, spricht die IAEO davon, daß es in Sachen ALKEM „niemals“ Probleme im Kontrollbereich gegeben habe. Daß dem nicht so ist, beweist jetzt ein internes Papier der ALKEM, das der taz vorliegt. Obgleich die Experten der IAEO Zugang zu „fast allen relevanten Teilen“ der ALKEM–Anlagen hatten, konnte - wie die IAEO Anfang 1985 gegenüber der ALKEM eingestehen mußte - das Kontrollziel der „overall inspection“ nicht erreicht werden. Das „geheime Spaltstofflager“, das die Firma ALKEM sozusagen in Auftragsverwaltung für die Bundesregierung, genauer für die Physikalisch–Technische Bundesanstalt in Braunschweig (PTB) angelegt hat, ist nämlich der internationalen Kontrolle entzogen. Im Stahlbetonbunker der ALKEM lagern - über die der Firma 1975 genehmigte Umgangsmenge von 460 kg Plutonium hinaus - unbekannte Plutoniummengen, auf die ausschließlich die Bundesregierung den Zugriff haben soll. „Aus Sicherheitsgründen“, so Bundesumweltminister Wallmann (CDU) erst Anfang November gegenüber dem Nachrichtenmagazin Spiegel, sei die Regierung nicht bereit, offenzulegen, wieviel Plutonium denn bei ALKEM nun tatsächlich eingebunkert ist und - und das ist die eigentlich interessante Frage - für welche Zwecke die Bundesregierung in Hanau Plutonium hortet. Bonn kann sich dabei auf den Paragraphen 14 eines Verifikationsabkommens zwischen der IAEO und der europäischen Atombehörde EURATOM berufen. Dort heißt es sinngemäß, daß Spaltmaterial, das von einer der EORATOM assoziierten Regierung für „nicht– explosive Zwecke“ abgezweigt wird, nicht der Kontrolle durch die IAEO unterliegt. Daß mit diesem Verifikationsabkommen die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages de facto außer Kraft gesetzt werden können, falls das Materal in Zukunft doch für den Bombenbau „benötigt“ werden sollte, versteht sich. Daß sich darüber hinaus die Firma ALKEM - bei Engpässen - kräftig aus dem Bundeslager „bedient“ habe, vermutet inzw benötige die ALKEM, um alle Wünsche ihrer Kunden befriedigen zu können, eigentlich 1.700 kg Plutonium als Jahresumgangsmenge. Das sind 1.240 kg Plutonium mehr, als der ALKEM von der Aufsichtsbehörde, dem hessischen Minister für Wirtschaft und Technik, zugestanden wurde. Doch da das Bundesplutoniumlager vom eigentlichen ALKEM– Lager nur durch einen Pinselstrich auf dem Bunker–Fußboden „getrennt“ ist, und darüber hinaus das Bundeslager von der IAEO nicht kontrolliert werden kann, bleiben die Plutoniumschiebereien im ALKEM–Bunker undurchsichtig. Der „Bombenkreislauf“ Daß die Bundesregierung ihr geheimes Spaltstofflager nur unterhält, um der Firma ALKEM über Lieferengpässe hinwegzuhelfen, scheint eher unwahrscheinlich zu sein. Wenn ALKEM–Manager Stoll auf 1.700 benötigten Kilogramm Plutonium verweist, die Firma aber die Genehmigung für den Jahresumgang mit 6,7 Tonnen Plutonium beantragt hat (dazu kommt noch das Plutonium im Bundesbunker), so müssen in Bonn in Sachen „Pluto niumwirtschaft“ andere Pläne geschmiedet werden. Helmut Schmidt, unter dessen Kanzlerschaft die bundesdeutsche Atomwirtschaft zu ungeahnten „Höhenflügen“ ansetzen durfte, war es im Oktober 86 mehr als unangenehm, daß „seine“ Wochenzeitung, Die Zeit, eine Story über die „Atom– Waffenschmiede in Wackersdorf“ bringen wollte. Mit der Macht des Herausgebers ausgestattet, stoppte der Altbundeskanzler schlicht den Andruck der gesamten Exklusiv–Geschichte. Ob Schmidt damit nur verhindern wollte, daß sein jüngerer Parteifreund Roth, der sich in Sachen WAA für einen Sozialdemokraten zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte, im laufenden Hamburg– und Bundestagswahlkampf erneut mit seinen „provokativen Bombenthesen“ für Flurschaden im SPD– Wählerreservoir hätte sorgen können, muß bezweifelt werden. Denn die bundesdeutsche WAA, die auch Schmidt immer gewollt hat, ist in der Tat das Schlüsselprojekt für die Plutoniumbombe „made in Germany“. Wackersdorf würde denen, die der Bundesrepublik die Option auf den Eintritt in die „Familie“ der nuklearen Mächte offenhalten wollen, die entscheidende Lücke im atomaren Kreislauf schließen. „Alles in einer Hand“, so etwa könnte die Devise der WAA– Mächte in der Bundesrepublik lauten, denn ohne eigene Wiederaufarbeitungsanlage ist die BRD in Sachen Plutonium auf das „good will“ der militärisch nicht in die NATO eingebundenen Franzosen angewiesen. Das in Hanau eingebunkerte Plutonium kommt nämlich - in der Regel - aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague, denn der begehrte Stoff wird ausschließlich über die Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente gewonnen. Die Franzosen, die jederzeit der Bundesrepublik den Plutonium–Hahn „zudrehen“ könnten, wären mit Wackersdorf abgemeldet und Konflikte wie der von 1979 dann „ancient history“. Daß in der Bundesrepublik das wissenschaftliche „Know How“ zur Verfügung steht und das Material präsent ist, das für den Bau von „nationalen“ Plutoniumbomben notwendig ist, ist längst kein Geheimnis mehr. Bereits 1975/76 hat die ALKEM–Muttergesellschaft NUKEM im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums sogenannte Tritium–Targets hergestellt und für 2,5 Millionen DM auch an die Bundeswehr geliefert. Und wer diese Tritium–Targets herstellen könne, die als Neutronenbeschleuniger eingesetzt würden, der könne auch Plutonium auf „waffenfähig“ trimmen, meinte etwa der wissenschaftliche Mitarbeiter der Bundestagsfraktion der Grünen, Matthias Künzel, im Gespräch mit der taz. Diese Nachricht habe Mitte der 70er Jahre im Ausland „wie eine Bombe“ eingeschlagen. US–Amerikaner werden mißtrauisch Mit der Errichtung der bundesdeutschen WAA würde auch die notwendige Produktionstechnik zum Bombenbau zur Verfügung stehen, denn die Umwandlung des vorhandenen Reaktorplutoniums in „astreines“ waffenfähiges Material erfordert einigen technisch– physikalischen Aufwand (siehe Kasten). Daß so langsam auch nicht nur atomkritische Kreise in den Vereinigten Staaten auf die Aktivitäten der Bundesregierung aufmerksam werden, belegt ein weiteres, der taz vorliegendes Dokument. Eine dem US–Kongreß nahestehende Arbeitsgruppe mit dem Titel: „Nuclear Explosives Control Policy Working Group“ monierte gleichfalls die mangelnden Kontrollmöglichkeiten zur Überwachung der bundesdeutschen Plutoniumwirtschaft. Das Mitglied der Arbeitsgruppe David Albright (“Federation of American Scientists“) erklärte im Dezember 85, daß die US–Regierung nur wenig machen könne, um die Pläne der Deutschen „herunterzufahren“. Die IAEO könne zwar bessere Sicherheitseinrichtungen verlangen und andere Kontrollbestimmungen einführen, „but it cant stop anything“. Daß die Institution IAEO selbst in Frage gestellt werden müsse, legt die Arbeitsgruppe, der u.a. ein Mitglied des US–Kommittes für „nationale Sicherheit“ angehört, gleichfalls offen. So verschwanden in einen AKW in Indien 1985 rund sechs Kilogram Plutonium, ohne daß dort die IAEO eingegriffen hätte.