: Diskutieren darf nur die Spitze
■ Klausurtagung des DGB–Bundesvorstandes zum Thema „Neue Heimat“ und „Gemeinwirtschaft“ / Innergewerkschaftliche Diskussion um die Konsequenzen aus dem Neue–Heimat–Skandal rigoros abgeblockt / Welche internen Papiere genehm sind und welche nicht / Entscheidungsstrukturen unverändert
Von Martin Kempe
Sie wollen ganz unter sich bleiben. Die Spitzenfunktionäre des Deutschen Gewerkschaftsbundes, ansonsten der Selbstdarstellung in den Medien keineswegs abhold, suchen am Dienstag und Mittwoch Abgeschiedenheit. Der Ort, an den sich der DGB–Bundesvorstand zu zweitägiger Klausur zurückziehen will, wird offiziell geheimgehalten. Denn es geht um ein Thema, bei dem man weder durch Presse noch durch Mitglieder gestört werden möchte: Die Folgen des Neue–Heimat–Debakels und die Zukunft der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft. Aber natürlich konnte auch hier - wie so oft in den letzten Jahren - die Diskretion nicht durchgehalten werden: Das Treffen findet im Bildungszentrum der Bank für Gemeinwirtschaft in Oberursel bei Frankfurt statt. Es soll diesmal keine Krisensitzung werden. Den Spitzengewerkschaftern geht es eher um eine Bilanz, eine Aufarbeitung jener Vorgänge um den gewerkschaftlichen Baukonzern, welche die politische Glaubwürdigkeit der Arbeitnehmerorganisation mehr als jedes andere Ereignis in der Geschichte der Bundesrepublik ramponiert haben und die zu einem Gutteil für die Wahlniederlage der Sozialdemokraten am 25. Januar verantwortlich sind. Und es geht um eine Neuordnung der Gewerkschaftsunternehmen in der Nach–Neue–Heimat–Ära, also um das, was mittelfristig von der einst so stolzen gewerkschaftlichen Unternehmensgruppe übrigbleiben wird. Hinter verschlossenen Türen Vor die Wahl gestellt zwischen Offenheit und Diskretion haben sich die Spitzengewerkschafter auch diesmal für die Beratung hinter verschlossenen Türen entschieden. Daß sich dies mit der innerorganisatorischen Demokratie nicht verträgt, wissen sie durchaus, trösten sich aber mit der Unabänderlichkeit dieses Widerspruchs. „Die Gewerkschaftsmitglieder - insbesondere die Funktionäre -“, so heißt es in dem für die Klausurtagung angefertigten Entwürfe eines Diskussionspapiers vom 19.1.87 aus der DGB– Zentrale, „erwarten aufgrund der offenen demokratischen Entscheidungs– und Kontrollstrukturen der Gewerkschaften, daß Informationen auch über gemeinwirtschaftliche Unternehmen umfassend und frühzeitig von den Gewerkschaften gegeben werden.“Diese Erwartungen aber, so heißt es weiter, „kollidieren mit der Diskretion, die für einen großen Teil der Unternehmensentscheidungen aufgrund des Wettbewerbs geradezu existenznotwendig ist“. Und so kollidierte die Forderung nach offener, selbstkritischer Aufarbeitung innerhalb des DGB offensichtlich mit der Vorstellung der Führung, auch jetzt gelte es, die Diskussion über die Zukunft der Gemeinwirtschaft auf den engsten Kreis der Spitzenfunktionäre zu begrenzen und den Mitgliedern nachher nur noch ausgewählte Ergebnisse zu präsentieren. Jedenfalls wurde die innergewerkschaftliche Diskussion um die Konsequenzen aus dem Neue– Heimat–Debakel in den letzten Monaten von den DGB–Oberen systematisch abgeblockt. Eine Groteske Fassungslos hatten auch hohe Funktionäre im November die Erklärungen aus der DGB–Zentrale in Düsseldorf der Tagespresse entnommen: Der Rückkauf der Neuen Heimat von dem Berliner Brotfabrikanten Horst Schiesser sei die einzig richtige, wohlüberlegte Entscheidung, um den im Konkurs–Strudel taumelnden Baukonzern auf anständige, sozial vertretbare Weise mittelfristig zu liquidieren. Gerade sechs Wochen vorher war ihnen - völlig überraschend - der Verkauf an Schiesser mit denselben überzeugenden Argumenten offenbart worden. Und beide Male hatten die in den Aufsichtsräten der NH und der Gewerkschaftsholding BGAG sitzenden Spitzengewerkschafter ihre einhellige Zustimmung gegeben. „Eine Groteske“, so ein ehemaliger Manager der Neuen Heimat, in die alle Beteiligten mehr oder weniger blindlings hineingeraten sind, ohne die politischen und betriebswirtschaftlichen Folgen zu ahnen. Bei vielen auch hauptamtlichen Gewerkschaftern schlug an diesem Punkt fassungslose Resignation in helle Empörung um. Und so forderten zunächst der DGB–Landesbezirk Baden–Württemberg, später die Industriegewerkschaft Druck und Papier und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft die Einberufung eines außerordentlichen DGB– Bundeskongresses. Solch ein Kongreß sei das geeignete Forum für eine öffentliche, selbstkritische Neubesinnung der Gewerkschaften in Sachen Gemeinwirschaft. Aber die IG Druck und die GEW, die kleinen „linken Spinner“ im großen Lager der gewerkschaftlichen Realpolitiker, haben sich, wie ein beteiligter Funktionär berichtete, in den zentralen DGB–Gremien mit dieser Forderung gehörig „die Schnauze verbrannt“. Auch ein anderer Vorschlag, den die Postgewerkschaft ins spiel gebracht hatte, setzte sich nicht durch: die Bildung eines gewerkschaftsinternen Untersuchungsausschusses in Sachen Neue Heimat. Statt dessen beschloß der DGB–Bundesvorstand Anfang Dezember jene nicht–öffentliche Klausurtagung, die morgen und übermorgen stattfinden wird. Die Schere im Kopf „Wir können nur feststellen, daß ihre Vorgehensweise in grober Weise journalistischen Grundsätzen widerspricht“ - so schulmeisterlich reagierten zwei Funktionäre aus dem Mittelbau der Düsseldorfer DGB–Zentrale, der Leiter der Bildungsabteilung Hanns Brauser und der Bundesjugendsekretär des DGB, Klaus Westermann, auf eine ihnen äußerst unangenehme Veröffentlichung in der Dezemberausgabe der linksgewerkschaftlichen Monatszeitschrift express. Es ging um ein Papier, in dem einige Mitarbeiter des DGB–Bildungsbereichs um die DGB–Schulen Hattingen und Oberursel versucht hatten, den Fall Neue Heimat gründlicher und kritischer zu analysieren als es bis dato den offiziösen gewerkschaftlichen Stellungnahmen zu entnehmen war. Aber auch diese Initiative war in dem Klima massiver Einschüchterung, schon bevor der express es schließlich veröffentlichte, im Papierkorb gelandet. In dem Papier wird eine ungewohnt deutliche Sprache gesprochen. Die Führung des DGB und der gemeinwirtschaftlichen Unternehmen wird hart angegangen: Man habe die Schwierigkeiten bei der Sanierung der Neuen Heimat „nicht in einer breiten Gewerkschaftsöffentlichkeit zur Diskussion gestellt“, nach wie vor werde eine „innerorganisatorische Kabinettspolitik“ betrieben. Der Einsatz von Gewerkschaftsgeldern zur NH–Sanierung sei lange Zeit verschleiert worden. Statt dessen forderten die Autoren eine „öffentliche Debatte“ über die Zukunft der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft, eine Neubestimmung des beim NH–Verkauf von den Gewerkschaften selbst diskreditierten Mitbestimmungskonzepts, die durchsichtigere Gestaltung der „innergewerkschaftlichen Willensbildung“, die Modifikation des „Stellvertreterprinzips“. Um den Einstieg in eine solche Debatte zu finden, sollte eine Untersuchungskommission aus gewerkschaftsnahen, aber unabhängigen Persönlichkeiten berufen werden. In dem innerorganisatorischen Klima der Nach–Schiesser–Ära waren derart weitreichende Infragestellungen offensichtlich nicht opportun. Und so kamen die Autoren noch im November, wie es in dem Brief Brausers und Westermanns heißt, zu einem neuen „aktuellen Diskussionsstand“, in dem die Forderung nach einem „wie immer gearteten Untersuchungsausschuß weder für angemessen noch für geeignet“ gehalten wird. Statt dessen findet sich die in den Gewerkschaften beliebte Warnung vor dem fintenreichen politischen Feind: „Nur wenn wir so selbstkritisch die Fehler und Mängel unseres bisherigen Handelns und unserer Programmatik überprüfen, können konservative Gewerkschaftsgegner dieses nicht gegen uns ausschlachten.“ Ein für Mitte Januar geplantes Gespräch zwischen den Autoren und dem für Bildung und Jugend zuständigen DGB–Vorstandsmitglied Ilse Brusis wurde schließlich ohne Begründung abgesagt - worüber hätte man auch noch reden sollen? Betriebswirtschaftliche Lösung Die DGB–Oberen werden also in Oberursel ganz ungestört von irgendwelchen Mitgliedermeinungen beraten und die politischen Weichen für die Zukunft der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft stellen können. Daß es ihnen dabei mehr um eine betriebswirtschaftlich günstige Neustrukturierung ihres Unternehmenskomplexes als um eine politische Aufarbeitung der Vergangenheit geht, darüber läßt die in den Vorstandsbereichen des DGB–Chefs Ernst Breit und des für Finanzen und Gemeinwirtschaft zuständigen Helmut Teitzel vorbereitete Diskussionsgrundlage keinen Zweifel. „Vordringlich ist die Lösung der wirtschaftlichen Probleme der gemeinnützigen Neue– Heimat–Gruppe“, heißt es da nicht gerade originell, wobei man nach wie vor an eine Übernahme der NH–Gesellschaften durch die Länder denkt. Allerdings, sollte eine solche Lösung nicht zustandekommen, wird offen die Privatisierung der NH–Wohnungen angekündigt, „auch wenn dabei möglicherweise die gemeinnützigkeitsrechtlichen Bindungen nicht erhalten werden können“.So deutlich ist die sozial verpflichtete Unternehmenspolitik vom DGB bisher noch nie aufgekündigt worden. Noch bis in die letzte Zeit hatte der DGB in seinen Verlautbarungen immer wieder mit den Interessen der Mieter an der Sozialbindung ihrer Wohnungen gepokert. Allerdings hat der DGB jetzt einen Schritt verbal nachvollzogen, den zumindest die Neue Heimat in Wirklichkeit schon Anfang der 70er Jahre gemacht hat. Denn während die meisten anderen gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in dieser Zeit von Wachstum auf Konsolidierung umschalteten, setzten die Gewerkschaftsmanager weiterhin auf hemmungslose Expansion und - was erst 1982 an das Licht der Öffentlichkeit kam - auf ebenso hemmungslose persönliche Bereicherung. Von einer sozial verpflichteten Unternehmenspolitik konnte in diesen Jahren ebensowenig die Rede sein wie nach Aufdeckung des Neue– Heimat–Skandals 1982: Von diesem Zeitpunkt an diktierten die roten Zahlen die Unternehmenspolitik unerbittlich bis hin zur jetzt anstehenden Totalliquidierung des einst größten europäischen Baukonzerns. Tatsächlich bleibt den Gewerkschaften nach Meinung von Insidern jetzt nichts weiter übrig, als ihre Unternehmengruppe in einem möglichst kontrollierten Prozeß aufzulösen und den verbleibenden Rest im Sinne einer seriösen Vermögensverwaltung zusammenzuhalten. Bußfertigkeit reicht nicht Allerdings mögen sich nicht alle Einzelgewerkschaften mit einer derart unerbittlichen Perspektive abfinden. Besonders die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), die die in der Gemeinwirtschaft Beschäftigten bei sich organisiert, beharrt darauf, daß der Gedanke der Gemeinwirtschaft nach wie vor hochgehalten werden müsse und eine pure Politik des Ausverkaufs der Gewerkschaftsunternehmen schädlich sei. „Jedes Interview eines führenden Gewerkschafters“, meint das HBV–Vorstandsmitglied Lorenz Schwegler, „in dem die Auflösung der Gemeinwirtschaft in Aussicht gestellt wird, kostet den DGB Millionen.“ Es reiche nicht aus, sich „bußfertig“ der Öffentlichkeit zu präsentieren, sondern man müsse ein neues Konzept für die Gemeinwirtschaft entwickeln. Aussteigen will vor allem der IG Metall–Chef Franz Steinkühler. Er sieht die Mobilisierungsfähigkeit seiner Organisation durch die NH–Affäre beeinträchtigt und will sich dieser politischen Bürde so schnell wie möglich - zur Not auch unter Verlusten - entledigen. Die Gemeinwirtschaft, so schrieb er in der IGM–Funktionärszeitschrift Der Gewerkschafter, habe „ihre reale Grundlage schrittweise verloren“. Es habe sich gezeigt, daß auch gemeinwirtschaftliche Unternehmen gegen den „Rückfall in den gewöhnlichen Kapitalismus“ offenkundig nicht gefeit seien. Es sei geboten, „über den Abschied“ von der gemeinwirtschaftlichen Ideologie nachzudenken. Nicht über einen Abschied, sondern über eine neue Perspektive für Gemeinwirtschaft denkt derzeit die ÖTV nach, ohne sich allerdings in der DGB–internen Auseinandersetzung um die Zukunft der Gewerkschaftsunternehmen mit einer spezifischen Position zu profilieren. Hier geht es der ÖTV im wesentlichen darum, daß den Gewerkschaftsmitgliedern bestimmte Dienstleistungen aus Gewerkschaftsunternehmen nicht verloren gehen, von der Büchergilde Gutenberg bis zum gewerkschaftlichen Automobilclub ACE. Interessanter ist ein Diskussionsprozeß in der ÖTV über eine neue Politik in den öffentlichen gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, etwa in Richtung auf eine „Rekommunalisierung“ der Energieversorgung oder auf eine regionale bzw. kommunale Beschäftigungspolitik. Strukturen bleiben Der DGB selbst als über den Einzelgewerkschaften schwebende Dachorganisation sieht - wie in der Diskussionsvorlage nachzulesen ist - „Handlungsbedarf“ vor allem in der Immobilien– und Vermögensverwaltung, im EDV–Bereich, im Verlags– und Druckereibereich. Er will die Ruhrfestspiele und die Büchergilde Gutenberg weiterbetreiben, in der gewerkschaftlichen und beruflichen Fortbildung aktiv bleiben und schließlich für die motorisierten Gewerkschaftsmitglieder auch den ACE aufrechterhalten. Die Bank für Gemeinwirtschaft, so heißt es, habe sich vertraglich verpflichtet, auch unter dem neuen Mehrheitseigentümer, der Aachen–Münchner–Versicherung, Hausbank der Gewerkschaften zu bleiben. Es dürfte den in Oberursel versammelten Mitgliedern des DGB– Bundesvorstandes nicht schwerfallen, sich auf das organisationspolitisch Notwendige zukünftiger Gewerkschaftsunternehmen zu einigen. Durchaus möglich, daß es ihnen gelingt, auf diese Weise einen Teil ihres Finanzkapitals zu retten. Aber eine „verstärkte Bereitschaft zur offenen Diskussion“, wie sie Steinkühler in seinem Beitrag im Gewerkschafter forderte, ist die Oberurseler Klausurtagung nun wahrhaftig nicht - eher der Versuch, die Diskussionen unter den Mitgliedern zu ersticken, ihnen durch fertige Entscheidungen der Führung den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Dieselben Strukturen“, so meinte einer der resignierten Bildungsarbeiter des DGB, „die den Neue–Heimat–Skandal produziert haben, bestehen unverändert fort.“ Die Spitzenfunktionäre bleiben bei allen wichtigen anstehenden Entscheidungen unter sich. So haben sie es in den letzten Jahren schließlich immer gemacht.
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