: Schleusen auf für das Europa–Bier
■ Nicht nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier darf auch in die BRD / Aus Luxemburg Thomas Scheuer
Die Deutschen gefallen sich bekanntlich als Spitzenreiter: Mit 146,7 Litern Bier pro Hals verteidigte der Durchschnitts–Bundesbürger auch 1986 wieder erfolgreich den Weltmeister–Titel im Biersaufen. Bonns Kanzler wiederum - die gebetsmühlenartige Wiederholung seines Bekenntnisses hat bereits Routine - läßt sich „an europäischer Gesinnung von niemandem übertreffen.“ Womit die Konfliktlinie zwischen deutschem Biermarkt und europäischem Binnenmarkt denn auch schon markiert wäre! Denn auf dem mühsamen Pfad zum einheitlichen und grenzenlosen Binnenmarkt haben die Eurokraten in der Brüsseler EG–Zentrale vor ge raumer Weile eine Barriere ins Visier genommen, die in deutschen Landen geradezu nationalen Symbolwert hat: Das deutsche Reinheitsgebot beim Bier, das die Schluckspechte der Nation vor den Fluten vermeintlich unreinen Biers aus den Nachbarländern schützen soll. Die Brüsseler Europa–Konstrukteure sehen in dem deutschen Schutzdamm schlicht ein unerlaubtes Handelshemmnis, das den EWG–Vertrag verletzt. „Was für einen gemeinsamen Markt haben wir, in dem nicht einmal der eine das Bier des anderen trinken darf?“, maulte letzten Sommer der britische Außenminister und damalige EG–Ratshäuptling Sir Geoffrey Howe. Die Rechtsquelle, die den Konfliktstoff sprudeln läßt, findet sich im bundesdeutschen Biersteuergesetz von 1952 (BStG), in dem Vorväter–Tradition meisterlicher deutscher Braukunst, eben das Reinheitsgebot, in die §§ 9 und 10 gegossen ist. Danach darf „zur Bereitung von untergärigem Bier nur Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwendet werden.“ Außer den Deutschen brauen im Zwölfer–Club nur noch die Griechen nach solch strenger Rezeptur. Und diese verdanken sie den Bayern: König Otto I., der im letzten Jahrhundert rund 30 Jahre auf dem Athener Thron saß, machte das Gebot im Hellenenstaat zum Gesetz, dessen Geschichte bis zu einem Erlaß des bayerischen Herzogs Wilhelm IV. aus dem Jahre 1516 zurückreicht. Das 471 Jahre alte Reinheitsgebot gilt als ältestes Lebensmittelgesetz der Welt. Das deutsche Reinheitsgebot stelt, so die Auffassung der Kommission, ein vertragswidriges Handelshemmnis dar, das beseitigt werden müsse. Es gilt nämlich auch für ausländische Brauereien, die ihre Prudukte in die BRD exportieren wollen. In den EG– Nachbarstaaten sind aber nun, wie übrigens in zahlreichen Ländern rund um den Globus, außer Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser zahlreiche andere Stoffe zur Bierherstellung erlaubt. So darf in manchen Ländern Bier nicht nur aus dem Malz der Gerste gebraut werden, sondern auch aus Rohfruchtstoffen wie Mais, Reis oder Hirse. Außerdem ist dort der Einsatz zahlreicher Zusatzstoffe wie z.B. Trübungs– und Schaumstabilisatoren, Konservierungsstoffen, Phosphor–, Salz– und Schwefelsäuren erlaubt. In der totalen Abdichtung des bundesdeutschen Biermarktes gegenüber solcherlei „Gebräu“, das nicht exakt der deutschen Machart entspricht, sah die Kommission einen eklatanten Verstoß gegen Artikel 30 des EWG–Vertrages. Dieser Artikel soll dem freien Warenverkehr zwischen den EG– Partnern den Weg ebnen. Er erlangt zusätzliche Bedeutung vor dem Hintergrund der im Dezember 1985 in Luxemburg von den EG–Regierungschefs verabschiedeten „einheitlichen europäischen Akte“, die einen einheitlichen Binnenmarkt, also den freien, grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Dienstleistungen innerhalb der EG bis 1992 ermöglichen soll. Die Bundesregierung beruft sich in dem heiklen Rechtsstreit hauptsächlich auf den Artikel 36 des EWG–Vertrages. Der gestattet den nationalen Regierungen tatsächlich in Ausnahmefällen die Einschränkung des freien Warenverkehrs aus übergeordneten Gesichtspunkten, z.B. dem Schutz der Volksgesundheit. Und genau auf letztere berief sich die Bundesregierung vor dem Gerichtshof. Mit insgesamt sechs wissenschaftlichen Gutachten malte sie eine mögliche Gesundheitsgefährdung einheimischer Trinker durch ausländisches „Chemie– Bier“ an die Wand (wobei vom Alkohol übrigens nie die Rede war). Diese sei um so gravierender, so die offizielle Klageerwiderung, als Bier für viele Menschen in der Bundesrepublik ein „Grundnahrungsmittel“ darstelle - auf den Gerstensaft entfielen 26,7 Prozent der Nahrungsaufnahme ihrer männlichen Bewohner, wenn auch nicht im Volumen, so zumindest in Kalorien gemessen. Die Verwendung von Zusatzstoffen im Bier sei deshalb in der BRD „besonders kritisch“, zumal wenn man berücksichtige, daß ein gestandener Bajuware pro anno leicht das Doppelte eines Durchschnittstrinkers - nämlich satte 300 Liter - oder gar mehr durch die Kehle rinnen lasse. Selbst ein Pro–Kopf–Verbrauch von 1.000 Liter pro Jahr sei keineswegs ungewöhnlich. Keine Gesundheitsschäden Doch die Konstruktion der Gefährdung der Volksgesundheit erwies sich im Verfahren als wacklig. So verwies der Generalanwalt des EuGH, der Brite Sir Gordon Slynn, in seinen Schlußanträgen im vergangenen Herbst darauf, daß die insgesamt 27 in den anderen EG–Staaten für Bier zugelassenen Zusatzstoffe in der BRD sehr wohl in anderen Lebensmitteln - mindestens sechs davon im Wein - zugelassen seien. Auch seien selbst bei ebenfalls trinkfreudigen Populationen, wie etwa Iren, Belgiern oder Dänen, bislang keine Gesundheitsschäden in größerem Ausmaß wegen der dortigen Brauweise nachgewiesen. Vollends zusammen bricht Bonns Volksgesundheits–Argumentation, wenn man sich den eigentlichen Punkt des Rechtsstreits vergegenwärtigt: Es ging nämlich gar nicht darum, daß ausländisches Bier, das nicht nach dem Reinheitsgebot gebraut ist, nicht in die BRD eingeführt werden durfte - es durfte gemäß § 10 BStG lediglich nicht unter dem „Gattungsbegriff Bier“ vertrieben werden. In das parteiübergreifende Gezeter des „Reinheits–Chors“ stimmte, neben den Grünen, übrigens die Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände nicht mit ein. So vermochte der Generalanwalt im Reinheitsgebot letztendlich nur eine protektionistische Abschottung des deutschen Biermarktes gegenüber den Wellen des anzustrebenden europäischen Binnenmarktes zu erkennen, die beseitigt werden müsse. Diesem Standpunkt schloß sich der EuGH nun an. Dieses Präzedenzurteil wird zweifellos Konsequenzen für eine ganze Reihe, bisher zurückgestellter, lebensmittelrechtlicher EG–Verfahren haben. Der bayrische Innenstaatsekretär Heinz Rosenbauer bedauerte „außerordentlich, daß das Reinheitsgebot den Nivellierungsvorstellungen eines großen Marktes zum Opfer gefallen“ sei. Staatssekretär Chory vom Bonner Gesundheitsministerium wies in einer ersten Stellungnahme darauf hin, daß der Gerichtshof ausdrücklich die Position der Bundessregierung anerkannt habe, aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes Zusatzstoffe nach Zahl und Menge einzuschränken. Die Bundesregierung dürfe lediglich nicht wie bisher bei importiertem Bier pauschal alle in anderen Mitgliedsländern zugelassenen Stoffe verbieten. Chory verwies außerdem auf das richterlich bestätigte Recht, eine deutliche Kennzeichnung aller Stoffe zu verlangen. Entsprechende Verordnungen würden jetzt erarbeitet werden. Keine Bierschwemme „Keinen Grund zu Aufgeregtheiten“ sah gestern in Luxemburg der Präsident des Deutschen Brauer–Bundesverbandes, Dr. Klaus Asche. Mit einer Bier–Schwemme aus den Nachbarländern rechnet Asche ebenfalls vorerst nicht, da die dortigen Brauverfahren auch nicht kostengünstiger seien. Im Übrigen, so Asche, lebe auch die „Brauwirtschaft nicht in einem Naturschutzpark.“ Ansonsten gab sich der deutsche Brauer–Chef europäisch: „Die europäische Einigung ist gerade für unser Volk eine Lebensfrage.“ Na, denn Prost!
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