piwik no script img

Chinas langer Marsch in den Weltraum

■ China ist zu einer ernsthaften Konkurrenz für die westlichen Raumfahrt–Unternehmen geworden / Im Dezember startet ein US–Satellit an Bord einer chinesischen Trägerrakete / Startgebühren und Versicherungsprämien deutlich niedriger als im Westen / Auch Schwarz–Schilling zeigt Interesse

Von Imma Harms

„Weißt du, daß die Chinesen jetzt auch auf den Mond wollen?“ - „Nein, wie denn?“ - „Schulter auf Schulter!“ Dieser Witz kursierte Anfang der siebziger Jahre, als die USA durch ihre erfolgreichen Mondlande–Unternehmen zu der Raumfahrernation schlechthin geworden waren. Chen Shou Chun hätte diese Frotzelei über sein Volk, wäre sie ihm zu Ohren gekommen, wahrscheinlich nur ein höfliches Lächeln entlockt. Zu der Zeit war er bereits seit zehn Jahren als Ingenieur mit der Entwicklung chinesischer Trägerraketen beschäftigt. Zum Mond? Nein, so weit wollte man gar nicht. Während US–Astronauten die amerikanische Flagge in den Mondstaub pflanzten, beförderten chinesische Experten am 24. April 1970 ihren ersten Forschungssatelliten an Bord der Trägerrakete „Long March“ in den erdnahen Weltraum. Und siehe da, nachdem der lange Marsch der US–Raumfahrtabenteurer auch in den Orbit zurückgeführt hat, melden sich von da die Chinesen, wie der legendäre Märchen–Igel: „Wir sind schon da!“ Discountpreis im All Während westliche Raumfahrt–Apologeten sowohl der Industrie als auch der Öffentlichkeit krampfhaft einzureden versuchen, es gebe einen dringenden Bedarf an Weltraumfabriken, Raumstationen und ähnlichem, um das Geld für ihre hochgezüchteten Programme zusammenzubekommen, bietet die chinesische Raumfahrtagentur Great Wall Industries ausländischen Interessenten den Transport von Satelliten zu Discountpreisen an, die Arianespace und NASA das Fürchten lehren. „Wir können es auf jeden Fall billiger machen“, betonte Chen Shou Chun, inzwischen Chefingenieur der Great Wall, während eines Weltraum– Kongresses im vergangenen März in Köln auf die Frage eines Teilnehmers, wie sich die Startpreise der Chinesen denn zu denen von Ariane oder der US–Raumfahrt verhielten. Eine Summe mochte er hingegen nicht nennen. Der Präsident der Great Wall, Wu Keli, hatte jedoch in einem Interview im vergangenen Jahr bereits angekündigt, daß seine Organisation mit den Transportpreisen in jedem Fall zehn bis fünfzehn Prozent unter den international üblichen Tarifen von gegenwärtig 90–100 Millionen Mark bleiben wolle. Selbst bei diesen Preisen wird China noch einen erheblichen Gewinn machen, weil mit dem Geld für den Satellitentransport, dem einzigen bisher profitablen Zweig der Raumfahrt, nicht wie bei ESA oder NASA ein aufwendiges Weltraumprogramm mitfinanziert werden muß, das bisher keinerlei Aussicht auf Verdienste verspricht. Wenig Panne Seit Mao Zedong im Mai 1958 die Wissenschaftler des Landes mit Blick auf die USA und die Sowjetunion angewiesen hatte, „wir Chinesen wollen ebenfalls künstliche Satelliten herstellen“, hatte sich die 1956 gegründete chinesische Raumfahrtindustrie ganz auf den Bau von Trägerraketen und Satelliten konzentriert. Es war kein leichter Weg. In den fünfziger Jahren verhängten die westlichen Länder ein wirtschaftliches und technisches Handelsembargo über China. Die Sowjetunion zog Anfang der sechziger Jahre ihre Experten ab. Aber „wir Chinesen haben einen starken Willen und können unsere Raumfahrttechnik, gestützt auf unsere eigene Kraft und Intelligenz, entwickeln“, vermerkte die Peking– Rundschau in einem rückblickenden Artikel vom August letzten Jahres. Wie sie das tut, mutet allerdings wie ein Generalangriff des chinesischen Volkes auf den Weltraum an. Beim Start einer Trägerrakete für Kommunikationssatelliten am 10. Mai 1980 waren nach Angaben der Peking–Rundschau „30 staatliche Abteilungen und Einheiten der Armee sowie über tausend Industriebetriebe aus 27 Provinzen beteiligt“. „Die Marine stellte ihre Flotte zur Verfügung“, heißt es da weiter, „und das Ministerium für das Post– und Fernmeldewesen ... setzte Zehntausende von Funkern und Funktechnikern aus 5.000 Fernmeldestationen ein.“ So wurde jeder der Raketenstarts von einem der beiden Startplätze in der Provinz Sichuan zum nationalen Ereignis und zum vollen Erfolg: nach chinesischen Angaben mißglückte von den bisher durchgeführten 19 Starts nur einer. Zum Vergleich dazu startete Arianespace seit 1979 insgesamt 18 Raketen, von denen vier verlorengingen. Die chinesische Entwicklungsphilosophie folgte der Devise: wenige Starts, dafür sichere. Ebenso wurde die Entwicklung der Trägerraketen auf die unmittelbar benötigten Typen begrenzt. Das Prinzip maximaler Sicherheit verwandelt sich für China in bare Münze, wenn es um die notwendige Versicherung der beförderten kostbaren Fracht geht. Westliche Versicherungsgesellschaften nehmen mittlerweile 30 Wertes der gestarteten Satelliten als Prämie und selbst damit können sie die Verlustzone noch nicht verlassen. „Im Vertrauen auf die eigene Kraft bietet China deshalb gleich die Versicherung für das transportierte Weltraumgut mit an, zu einem bisher nicht bekannten, in jedem Fall aber deutlich niedrigeren Preis als westliche Gesellschaften. Das ist ein weiterer Bonus für den Transport mit der „Long March“. Massenhaft Interessantes Mit der günstigen, im Startpreis enthaltenen Versicherung begründete Michael Johnson, Präsident der „Pan Am Pacific Satellite“ den Vertragsabschluß seines Unternehmens mit der Great Wall, die im Mai 1988 den Satelliten „Westar 6“ für die Firma an Bord der „Long–March“–3 in den Orbit befördern wird. Ein erster Versuch, diesen Satelliten von Bord der US–Raumfähre „Discovery“ aus zur geostationären Umlaufbahn zu bringen, scheiterte 1984. Insgesamt verhandelt Great Wall zur Zeit mit etwa 30 Interessenten. Für 1990 ist der Start eines schwedischen Satelliten fest gebucht. Mit dem Iran wurde ein Vorvertrag für einen Satellitenstart im vergangenen Oktober unterzeichnet. Auch Bundespostminister Schwarz– Schilling, der auf seiner gegenwärtigen Asienreise China besucht, will die Möglichkeit sondieren, den deutschen direktstrahlenden Fernseh–Satelliten TV–Sat–2 1989 mit einer „Long March“–3 zu starten. Diese Rakete ist die neueste Version chinesischer Trägersysteme; sie kann 4,5 Tonnen Nutzlast auf eine erdnahe Umlaufbahn oder 1,4 Tonnen auf die für Kommunikationssatelliten interessante geostationäre Bahn in 36.000 Kilometer Höhe bringen. Ihren Kunden sichert die chinesische Raumfahrtbehörde absolute Vertraulichkeit bei der Abwicklung ihrer Aufträge zu und gestattet den Firmenexperten, das kostbare Gut auf chinesischem Boden rund um die Uhr selbst zu bewachen. Manchen Partnern könnte das noch nicht genug sein, so spekuliert jedenfalls die US–Flugzeugfirma „Hugues Airkraft“. Im letzten Juni schloß das Unternehmen einen Vertrag mit Great Wall, wonach die „Long–March“–Raketen „im Rahmen einer längerfristigen Zusammenarbeit“ in Zukunft von einem Weltraumbahnhof auf Hawai gestartet werden sollen. China hat akzeptiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen