Wie unliebsame Deutsche zu Ausländern werden

■ Ein 23jähriger soll nach Italien abgeschoben werden, obwohl er weder die Sprache beherrscht noch jemals dort gewesen ist / Dem straffällig gewordenen Jugendlichen wurde kurzerhand die deutsche Staatsbürgerschaft abgesprochen

Aus Nürnberg Wolfgang Gast

Geht es nach dem Willen der bayerischen Staatsregierung, dann wird Roberto L. Ende des Jahres aus Deutschland abgeschoben. In dem Drama mit mehreren Akten hat zuletzt Anfang Dezember das Verwaltungsgericht München entschieden, daß eine Ausweisung des 23jährigen nach Italien rechtens sein soll, obwohl Roberto L. in Deutschland geboren ist, die italienische Sprache nicht beherrscht und bisher nicht ein einziges Mal in Italien gewe– sen ist. Erster Akt des Dramas: Mit Datum vom 18. April 1986 erhält Roberto L. einen Ausweisungsbescheid des Ausländeramtes Mühldorf am Inn. Als Jugendlicher ist er wiederholt straffällig geworden. Zumeist hat er mit Freunden gemeinsam geklaut, Autos geknackt oder ist beim Fahren ohne Führerschein erwischt worden. Mehrfach landet er deshalb vor dem Jugendrichter und schließlich im Jugendstrafvollzug. Nach einer im Gefängnis begangenen gemeinschaftlichen schweren Körperverletzung wird Roberto L. anschließend zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Am Ende dieser Strafe soll er nun ausgewiesen werden. Begründet wird das damit, daß Roberto die italienische Staatsbürgerschaft besitzt und damit nach dem Ausländergesetz abgeschoben werden kann. Roberto L. ist 1964 in Mühldorf am Inn geboren. Zum Zeitpunkt seiner Geburt ist seine Mutter seit drei Wochen von ihrem deutschen Ehemann geschieden. Der frühere Ehemann zweifelt später vor dem Traunsteiner Amtsgericht die Vaterschaft an. Roberto ist damit immer noch deutscher Staatsbürger, jetzt als leibliches Kind seiner alleinstehenden Mutter. Das soll sich dann geändert haben, als sie im Mai 1965 den leiblichen Vater, einen Italiener, heiratet. Nach dem damals geltenden deut schen Gesetzen und den italienischen Bestimmungen soll Roberto, so das Ausländeramt, mit dem Tag der Eheschließung die italienische Staatsbürgerschaft erhalten und die deutsche verloren haben. Die Anwälte von Roberto legen gegen den Bescheid des Mühldorfer Amtes Widerspruch bei der zuständigen Regierung von Oberbayern ein. Sie argumentierten, Roberto habe bis vor kurzem nicht einmal gewußt, daß sein leiblicher Vater ein Italiener ist. Eine Abschiebung sei allein schon aus Gründen der Unverhältnismä ßigkeit nicht zulässig. Höchst zweifelhaft bleibe darüber hinaus der Vorgang, mit dem Roberto die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt werden soll. Dem Münchner Anwalt Werner Dietrich erscheint die Abschiebung „nur als willkommener Anlaß, sich eines problematischen Einzelfalles zu entledigen“. Der Anspruch auf Resozialisierung werde damit einfach aufgegeben. Die Regierung von Oberbayern verwirft am 13. August 1987 den Einspruch und erklärt, „der von ihm (Roberto) ausgehenden Wiederholungsgefahr kann nur durch die strikte Anwendung ausländerrechtlicher Maßnahmen begegnet werden“. Die Maßnahme sei durchaus nicht unverhältnismäßig, so Oberregierungsrat Kössing, Roberto werde „in ein Land der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft abgeschoben, das noch dazu über einen deutschsprachigen Teil verfügt“. Die Anwälte legen gegen den Bescheid wiederum Einspruch ein, diesmal beim Verwaltungsgericht München. Sie erreichen, daß der Sofortvollzug der Ausweisung aufgehoben wird, der Aufenthalt Robertos wird bis Ende des Jahres in der Bundesrepublick „geduldet“. In der Sache selber allerdings erklärt das Gericht den Ausweisungsbescheid der oberbayerischen Regierung für rechtmäßig. Zweiter Akt des Dramas: Nachdem das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht scheitert, wendet sich die Mutter von Roberto über die Anwälte an den Petitionsausschuß des Bayerischen Landtages. Zwischen 1975 und 1977 hätte sie das Recht gehabt, für ihr Kind die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. Sie erklärt, damals habe sie von dieser Rechtslage nichts gewußt. Der Beratung im Ausschuß für Eingaben und Beschwerden des Bayerischen Landtages am 15. Juli diesen Jahres wird ein Bericht des Bayerischen Innenministeriums zugrunde gelegt. Darin erklärt Staatssekretär Rosenbauer, „es erscheint unwarscheinlich, daß Frau L. von der damals gegebenen Möglichkeit des Erklärungsrechtes nichts gehört haben soll, da diese Neuregelung in den Jahren 1975 bis 1977 mehrfach in Radio, Fernsehen und Presse publik gemacht worden war“. Werden in dem Schreiben des Ministeriums alle Personen mit der Anrede Herr und Frau bedacht, bei Roberto sind diese weggelassen worden. Mit zehn zu sieben Stimmen wird der Antrag im Ausschuß abgelehnt. Am 14. Oktober wird die Eingabe in einer öffentlichen Sitzung noch einmal behandelt. Wegen der rigiden Haltung der CSU in Aulsländer– und Ausweisungsfragen wird der Antrag erneut abgelehnt. Dritter Akt des Dramas: Robertos Mutter hat geheiratet. Ihr jetziger Ehemann, der die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, adoptiert am 8. Oktober letzten Jahres den damals 22jährigen. Die deutsche Staatsbürgerschaft soll Roberto aber wiederum nicht erhalten haben, diesmal weil die Adoption erst nach seiner Volljährigkeit erfolgt sei. Roberto L. muß jetzt mit seiner Abschiebung zum Ende des Jahres rechnen. Nachdem das Verwaltungsgericht auch einen Antrag auf aufschiebende Wirkung verworfen hat, kann er sich nur noch im Rahmen einer Duldung in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Diese ist vorläufig nur bis zum 31. Dezember 1987 ausgesprochen. Als nächster Akt in diesem bizarren Verfahren steht nun die Verhandlung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof an.