Lebenslänglich für „Auschwitz-Tell“

Heute 66jähriger für seine grausamen Morde als KZ-Wächter verurteilt / Zeugin aus Ungarn bedroht  ■ Aus Wuppertal F. Roeingh

Ein ehemaliger SS-Unterscharführer, der sogenannte „Wilhelm Tell von Auschwitz“, ist von einem Wuppertaler Gericht wegen fünffachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Gottfried Weise konnte nach dem Krieg noch hoffen: „Meine Schwierigkeiten aufgrund der vergangenen Zeiten habe ich alle bereinigen können.“ Dieser 1947 geäußerte Optimismus des gerade für 50 Reichsmark entnazifizierten Auschwitz-Aufsehers trog. Nach über 40 Jahren wurde der ehemalige SS-Mann gestern vor dem Schwurgericht von seiner Vergangenheit eingeholt. Der 66jährige pensionierte Bauleiter aus Solingen war keiner der sogenannten „großen Täter“ der NS- Vernichtungsmaschinerie. Die 15monatige Beweisaufnahme eines der letzten NS-Prozesse hat aber einen Täter entlarvt, der sich nach den Worten des Vorsitzenden Richters Wilfried Klein „selbst zum Herrn über Leben und Tod aufgespielt und die Opfer zum Spielball seiner Launen gemacht hat“.

Mit schmerzender Genauigkeit rief der Richter in der Urteilsbegründung noch einmal in Erinnerung, wie der damals 22jährige Weise als „Wilhelm Tell von Auschwitz“ berüchtigt wurde. So hatte eine Zeugin aus Ungarn, die wegen Drohanrufen aus der Bundesrepublik zunächst nicht in Wuppertal aussagen wollte, unter Tränen berichtet, wie Weise einen achtjährigen jüdischen Jungen, der ihn um Brot angebettelt hatte, vor den Gefangenen quälte, bis er ihn erschoß. Der Junge hatte sich Blechdosen auf Kopf und Schultern stellen müssen, die der KZ-Aufseher eine nach der anderen abschoß. Fortsetzung aus Seite 2