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To be or Nato be in Dänemark

■ Die Neuwahlen wurden ausgelöst durch den Konflikt um atombewaffnete Schiffe in dänischen Häfen

Ein einziges Mal nur im gesamten Wahlkampf treffen Ministerpräsident Schlüter und sein sozialdemokratischer Herausforderer Svend Auken direkt aufeinander. Hier im jütländischen Braedstrup haben sich daher viele ausländische Journalisten eingefunden. Doch, wenn dies der Höhepunkt des Wahlkampfes sein sollte, wie muß es dann erst auf den anderen Wahlveranstaltungen ausgesehen haben? Seichte Polemik und tiefschürfende Wahrheiten. „Keine Rechte ohne Pflichten“ (Auken), oder „Dänemark muß zuverlässig bleiben“ (Schlüter). Alle wollen die NATO, jeder ist gegen Atomwaffen, eigentlich. Warum gibt es überhaupt Neuwahlen, fragt sich der Zuhörer? Erst vor acht Monaten ist in Dänemark gewählt worden. Von den Politikern bis zu den Wahlkampfmanagern, Werbetextern und Graphikern: alle scheinen überfordert mit der Aufgabe, sich Neues einfallen zu lassen. Die Einfallslosigkeit der Slogans und Wahlplakate ist kaum zu überbie ten. Doch immerhin hält Dänemark weiter den Weltrekord an Wahlen, wie eine Zeitung ausgerechnet hat. 19 mal seit dem 2.Weltkrieg wurden die Dänen zu Parlamentswahlen an die Urne gerufen, im Schnitt fast alle zwei Jahre. Stimmen die Meinungsumfragen, dann dürfte das dänische Folketing nach dem 10. Mai in seiner Zusammensetzung nicht viel anders aussehen als vorher. Der Stimmenvorsprung, den die Opposition noch vor einigen Wochen zu haben schien, ist danach weggeschmolzen. Vor allem bei den Sozialdemokraten, die sich auch redlich darum bemüht haben. Eine „NATO–Wahl“? Bloß nicht. Auch keine „Atomwaffen– Wahl“. Um Wirtschaftspolitik, Auslandsverschuldung, Inflation und Beschäftigungspolitik sollte es gehen, hatte die Partei–Zentrale der Sozialdemokraten als Motto ausgegeben. Aber darum ging es doch erst vor acht Monaten, oder? Und überhaupt, war nicht der Anlaß der außerplanmäßigen Wahlen der Anti–Atomschiffe–Beschluß der Linksopposition (zusammen mit der kleineren Regierungspartei Radikale Venstre)? Doch die Sozialdemokraten lassen nichts unversucht, um den Anlaß vergessen zu lassen. Was ihnen natürlich nicht gelingt, denn die Konservativen stellen sie weiter als treulose NATO–Gesellen hin, die die Glaubwürdigkeit Dänemarks als vollwertiger Alliierter gefährden. Die Sozialdemokraten vertreten ihrerseits nicht offensiv ein eigenes sicherheitspolitisches Konzept, sondern bitten schamhaft um Themawechsel. Dabei dürfte es kein NATO– Mitgliedsland geben, in dem die Bevölkerung mit solch klarer Mehrheit gegen alles eingestellt ist, was mit dem Wort Atom anfängt, ob Atomkraftwerke oder Atomraketen. Für eine mutigere Politik gegenüber den Aufrüstern in Brüssel und Washington ist also durchaus ein Boden vorhanden. Nicht zuletzt zeigten das bei der Wahl im September 1987 die Stimmengewinne der Sozialistischen Volkspartei. Mit 15 Prozent konnte sie immerhin halb soviel Stimmen wie die Sozialdemokraten erringen und wurde drittstärkste Fraktion im Folketing. „Kleines Dänemark, was nun?“ lautet dieser Tage einer der beliebtesten Anzeigenslogans der Konservativen. Bei den Wählern wird die Angst geschürt, das Land müsse bald mutterseelenallein zwischen den Großmächten zittern, aus der NATO wegen Ungezogenheit verstoßen. Und deshalb dürfe man doch, bitte schön, die NATO–Mächtigen nicht provozieren: „Es ist dänische Politik, daß wir zu Friedenszeiten keine Atomwaffen auf unserem Territorium wünschen. Das wissen unsere Alliierten. Und das respektieren sie. Aber sie wollen der Gegenseite nicht direkt erzählen, welche Schiffe Atomraketen mitführen und welche nicht.“ Ein Märchen, das auch die Sozialdemokraten verbreiten. Denn weder respektieren die NATO– Schiffe Dänemarks Atomwaffenfreiheit, noch sind Atomwaffenträger für die Sowjets ein Geheimnis. Wie die USA können sie die atomare Bewaffnung von Schiffen durch Satelliten und Flugzeuge feststellen. Gorbatschow bot den USA auf einer Pressekonferenz am 10. Dezember des letzten Jahres an, sie könnten sich gerne von der Wirksamkeit dieses Überwachungssystems ein eigenes Bild machen. Weil das die NATO–Militärs natürlich auch ganz genau wissen, können selbst die atomar bewaffneten Schiffe ganz gut mit dem letzten Parlamentsbeschluß des Folketing leben. Insbesondere in der Auslegung, die ihm selbst die Sozialdemokraten im Wahlkamf plötzlich gaben. Da soll an jeden Kapitän ein Brief ausgehändigt werden, in dem auf die dänische Politik der Atomwaffenfreiheit hingewiesen wird. Eine ausdrückliche Garantieerklärung, diese Politik werde respektiert, will nur die Sozialistische Volkspartei (SF). Der sozialdemokratische Standpunkt hierzu - vor der Ausschreibung von Wahlen klangs wie bei der SF - nach der Interpretation Aukens: Irgendeine Antwort werde nicht erwartet. Da ist der Rückzug auf die Haltung der Regierung nicht mehr so fern. Die von den konservativen beschworene Schicksalswahl ist das ganz sicherlich nicht. Holger Danske, die dänische Nationalgestalt - er soll der Sage nach aus dem Schlag erwachen, wenn es Dänemark ganz dreckig geht - kann beruhigt weiterschlafen. Dänemark ist mit seiner Zwei– Prozent–Sperrklausel auch bei der Zahl der im Parlament vertretenen Parteien Weltspitze. So tut man gut daran, noch keine Wetten auf die Zusammensetzung der nächsten Regierung abzuschließen. Mindestens neun Parteien werden es vermutlich wieder werden. Nummer Zehn könnten die Grünen sein, die letztes Jahr knapp gescheitert waren. Die „Fortschrittspartei“ Glistrups scheint auch den Konservativen nicht mehr geheuer zu sein, nachdem sie sich zu immer neuen Höhen des Antirassismus hinreißen läßt. Letzter Stand der Parolen: Alle Flüchtlinge raus aus Dänemark, jede Krone für einen Flüchtling fehlt einem dänischen Rentner. Da nach dem sicherheitspolitischen Anspruch der Radikalen Venstre die Fortführung einer bürgerlichen Minderheitsregierung unwahrscheinlich ist, könnte es eine Mitte–Links–Koalition werden. Falls die Stimmen reichen - und das könnte nach den letzten Umfragen ganz knapp werden. Reinhard Wolff

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