: Acht Monate für Volksverhetzung
■ Urteile auf Bewährung für zwei Angeklagte, die einen jüdischen Arzt beleidigt und bedroht hatten
Aus Frankfurt Antje Friedrich
Der Wunsch eines Kirchendieners nach Zyklon B auf dem Dach des jüdischen Arztes Dan Kiesel und nach einer Mistgabel, an der er aufgespießt werden sollte, wurde in dieser Woche vor dem Niddaer Amtsgericht verhandelt. Neben dem ehrenamtlichen Kirchendiener, einem 57jährigen Arbeiter, war auch ein vierzigjähriger Postbeamter wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Bedrohung angeklagt. Beide hatten Kiesel vor der Burckhardter Kirche (Vogelsbergkreis) gleich im Anschluß an den Gottesdienst beschimpft und beleidigt. Dan Kiesel war Opfer einer mehrmonatigen antisemitischen Kampagne gewesen, auf de ren Höhepunkt sein Haus unter ungeklärten Umständen abbrannte. Das Amtsgericht verurteilte die beiden Männer zu je acht Monaten auf Bewährung, sowie Geldstrafen von 3.000 DM für den Beamten und 1.800 für den Kirchendiener. Während der Verhandlung sagten die Beschuldigten nach Angaben eines Prozeßbeobachters aus, sie hätten lediglich die Hunde der Lebensgefährtin des Mediziners beschimpft. Auch der evangelische Dorfpfarrer glaubte, den Leumund seines ehrenamtlichen Kirchenhelfers retten zu können. Er versuchte während der Verhandlung den Beweis zu führen, daß dieser gar nicht wisse was Zyklon B sei. „Wir habens nicht gewußt“ hat Tradition in diesem Land, d.S. Auch der Verteidiger der beiden Angeklagten fiel nach Angaben eines Prozeßbeobachters mehrmals aus der Rolle. So stellte er einen Beweisantrag, anhand dessen geprüft werden solle, ob Kiesel tatsächlich Jude sei. Fritz Hertle von den Grünen in Fulda wertet den Prozeß als Auftakt einer Reihe von Verfahren wegen Volksverhetzung, Brandstiftung und Beleidigungen. Der Verhandlung wohnte als Prozeßbeobachter auch der Gießener Oberstaatsanwalt bei. Dan Kiesel selbst äußerte im Anschluß an die Urteilsverkündung, er freue sich über die „faire Verhandlung“, da er keinen „Racheprozeß“ habe führen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen