PANEUROPÄISCHE HARMONIE

■ Das Wochenende vom Tage

PANEUROPÄISCHE HARMONIE

Das Wochenende vom Tage

Wohlfeiles Wochenende: Einigkeit im Recht auf Freizeit. „Alles supergut“ war auf der taz/Lettre-Fete zur Einweihung der neuen Zeitschrift, die Sie am Samstag in Ihrem Briefkasten fanden. Austragungsort des philosophisch -literarischen Besäufnisses war die zukünftige Heimstatt der taz in der Kochstraße; ein Jugendstilbau, der mit bröckelndem Putz und sehr moderner Kunst das richtige Ambiente bot und zu wüsten Spekulationen Anlaß gab. („Schon gehört, warum die taz in die Kochstraße umziehen will? Das Bullenrevier ist gleich um die Ecke, da haben's die Redakteure nicht mehr so weit.“) (Tja, wer den Wedding nicht kennt... hier ist auch in unmittelbarer Nachbarschaft solch ein Revier grünlich verkleideter Herrschaften vorzufinden, man muß nur wissen, wo!! d. säzzer)

Wie es sich für ein zünftiges Betriebsfest gehört, war die Stimmung gediegen-fröhlich, die taz-Kriegsgewinnler (die sich bei Lettre was dazuverdienen dürfen) strahlten, die anderen wollten wenigstens soviel wie möglich von Sekt und Buffet mitbekommen. Der Gemeingeist war so angenehm wie die Berliner Luft kurz vorm Smogalarm: hart in der Sache, versöhnlich im Ton, es grüßt die liberale Koalition.

Enfant anarchistique Wiglaf Droste fraternisierte mit Erzfeind Hartung, ein jeder versicherte allen, die es nicht hören wollten, seiner prinzipiellen Zuneigung und auch die Musiker, die den Raum mit stickigen Hinterhof-Tangos füllten, kamen ungeschoren davon. Ob das der beschworene Paneuropäische Geist war? Zumindest ein großer Europäer hätte seine Freude daran gehabt: Bunuel. Als der Sekt zur Neige ging, passierte es dann, daß ein alkoholisierter Lettre-Redakteur sich zu Bemerkungen hinreißen ließ wie “... diese ganzen alten Herren, Enzensberger und so, die fliegen doch demnächst sowieso wieder raus, die hat man nur zu Werbezwecken angeheuert. Das soll schließlich kein liberales Seniorenblatt werden.“ (Gebe Gott, daß ich als Senior noch so lebendig bin wie diese Altherren-Riege! d. säzzer) Und ein alternder Argentinier gab eindeutig frauenfreundliche Gesten zum Besten. Akzente setzen konnten auch einige Pärchen, die zum passend tragischen Tango in ihren Sonntagsklamotten das Parkett mit einer Grazie schrubbten, die zumindest den Reinigungskräften Hochachtung abverlangt hätte. Omnipräsenz-Redner Cohn-Bendit jonglierte simultan mit einer Weinflasche und zwei Menschen, er, als Möchtegern -Literat, bewies auch das größte Fassungsvermögen. Für die Schriftsteller galt natürlich „schwerer Kopf dichtet nicht gern“ und so verschwanden sie recht schnell.

Zurück blieben die Minder-Privilegierten, die, die keiner kannte, und das Gefühl, eine Schaumstoffmatratze geküßt zu haben.

II.

Der Tag danach, Hasenheide, Neu-Kenia: die Sonne glühte über der ausgedörrten Steppe, die Menschen scharten sich am Rande der Oase (Schultheiss Park-Lokal) zusammen und erinnerten sich an verschüttete Instinkte, bedeckten schützend ihre Biergläser und schoben die Schultern über die Ohren, um dem tosenden Sandsturm zu trotzen. Die Boccia-Bahn lag wie ein verlassener Karawanen-Treck in der erbarmungslosen Glut und lediglich eine Flensburger-Pils -Expedition harrte in einem vorsorglich mitgebrachten Zelt aus.

III.

In Mariendorf feierte man am Samstag das 80. Jubiläum des dortigen Wochenmarktes mit großen Ankündigungen. Bockwürste und Wiener kosteten an diesem denkwürdigen Tag nur eine Mark und als (unfehlbare) Harmonizer wurden Erbsensuppe und Bier zu Schleuderpreisen verteilt. Am herbeigerollten Brauereiausschank manifestierte sich die hiesige Marotte, jedem zu zeigen, wessen Kindls Geist man ist: Der BERLINER verteidigt sein Revier mit derselben Inbrunst gegen Russen und Dürrekatastrophen wie gegen fremdländische Bierimporte: man trank nicht nur viel, weil es billig war, sondern das auch noch mit Überzeugung. Der wildfremde Zapfmeister wurde gedutzt und angepöbelt, er muß sich in der Umarmung eines Bären gefühlt haben, und die abgestandene Hopfenbrause wurde mit unpassend überschwenglichem Ton gefeiert: sie schien die Quintessenz des gesamtberlinerischen Empfindens der Anwesenden darzustellen.

Ein Kulturprogramm gab es auch. Die altgebliebene Rockband verfehlte das Zielpublikum deutlich, mehr Erfolg konnten dagegen die Jungs vom örtlichen Kosmetiksalon verbuchen. Während ein frischgeföhnter Schwuler die verhärmten Gesichter der Hausfrauen frisch tünchte, assistierte sein Kollege mit Sprüchen wie „Wir benutzen an diesen Stelle einen harten Pinsel, nein, nicht was Sie denken, Sie Ferkel, wir sind Visagisten und benutzen auch manchmal weiche Pinsel, obwohl ein harter Pinsel natürlich immer besser ist, haha...“ Die Damen strömten entzückt herbei, überließen ihre Männer dem wohlverdienten Schicksal an der Kante des Brauereiausschanks und einen Kinderwagen der glühenden Sonne.

Ein glücklicher Tag für die Mariendorfer und man rüstet sich dort schon frohgemut für die örtlichen Festivitäten am 4. Juni im Volkspark.

IV.

Fiebernde Aktivität für die Angehörigen der Polizei bedeutete der Tag der Offenen Tür auf dem Flughafen Tempelhof. Wie ein gezieltes Ablenkungsmanöver muß sich die Veranstaltung der Werbegemeinschaft Platz der Luftbrücke ausgenommen haben, die an diesem Tag auf der anderen Seite des Platzes um Zuspruch rang. Immer wieder ließen sich uniformierte Beamte durch den lockenden Cevapcici-Geruch vom Ziel der völligen Durchleuchtung aller Waffenschau-Besucher abhalten und streunten zwischen den niedlichen Buden herum, verstohlen jugoslawische Spezialitäten schluckend. Für einen Eklat sorgte auf diesem Fest ein angemieteter Drehorgelspieler, der den Stand des lokalen Reformhauses mit Haß überschüttete, weil man dort die Stirn besaß, vegetarische Bockwürste zu verkaufen.

V.

Alles klar auch bei Haxen-Hanne am Hansaplatz. Die Spezialität des Hauses wurde an diesem Tag weitgehend verschmäht, ansonsten ließ man es sich zwischen dichten Abgaswolken wohlgehen. Für einiges Befremden sorgten an dieser Ecke die Fahrer von Autos mit Berliner Nummernschildern, die sich nach dem Reichstag erkundigten.

Dabei ist der zur Zeit wirklich leicht zu finden: als Krönung eines Volksfestes, das sich ebenfalls dem europäischen Geiste widmet, dreht sich dort ein überdimensionales Risenrad, das den historischen Altbau ziemlich in den Hintergrund treten läßt.

In bis zu 40 Meter langen Schlangen stand man an, um Eintrittskarten zum Geldausgeben zu erstehen, ertrug diesen Umstand mit gelassener Frontstadt-Mentalität („Is ja wie im Osten hier!“) und freute sich auf den Unterhaltungsmoloch, der sich aus einiger Entfernung wie ein Stanzwerk anhörte. Die Gesichter der Überlebenden sahen jedenfalls auch aus, als wären sie gerade aus der Gummipresse gekommen. Einziger Mißton im knallbunten Treiben: Ein junger Mann urinierte unter den argwöhnischen Augen der Polizei gegen das Reichstagsgebäude.

Ansonsten: Ein Wochenende, wie es lieblicher kaum sein kann. Und wenn sich die Betreiber des griechischen Restaurants von gegenüber noch vor Morgengrauen dazu entschließen können, die Tische von der Straße zu räumen, werde ich auch noch ein wenig schlafen können.rah!