: Rumänien - der Keller im „europäischen Haus“
Der „Conducator“ Ceausescu hat sein Land an den Rand der wirtschaftlichen Katastrophe gebracht / Viele Rumänen hungern / Oppositionelle werden verfolgt und eingesperrt / Jetzt sollen die Traditionen des Bauern- und Hirtenvolkes vernichtet werden ■ Von Rüdiger Rosenthal
Ein Gespräch mit dem Schriftsteller William Totok (37), der bis 1987 im rumänischen Banat lebte.
taz: Sie haben bis vor kurzem in Rumänien gelebt. Was treibt die Menschen dort zu Revolten, wie sie im November vergangenen Jahres in Brasov (Kronstadt) ihren vorläufigen Höhepunkt fanden, als tausende Arbeiter das Rathaus und das örtliche Parteigebäude stürmten?
Totok: Es ist so, daß der Großteil der rumänischen Bevölkerung sich täglich mit den schwierigen Ernährungsproblemem auseinandersetzten muß. Die Wirtschaft des Landes ist so ruiniert, daß viele Menschen nicht wissen, was sie am nächsten Tag essen sollen.
Welches sind die Ursachen für diese katastrophale Versorgungslage?
Sie liegen ganz klar in der falschen ökonomischen Politik der Ceausescu-Regierung. Sie betreibt eine konservative stalinistische Industrialisierung, wie wir sie aus den 30er Jahren in der Sowjetunion kennen. Rumänien ist heute total verschuldet, die Regierung versucht, diese Westverschuldung abzubauen und exportiert deshalb den größten Teil der Nahrungsmittel. Die rumänischen Tomaten in den Supermärkten der BRD sind auch ein Preis für die Politk, den das Volk zu zahlen hat, indem es hungert.
Wie wirkt sich diese Lage auf das politische Leben im Land aus?
Rumänien ist heute ein klassischer Polizeistaat. Die Macht im Land hat nicht die Partei, sondern der Geheimdienst, der die gesamte Gesellschaft kontrolliert. Dieser Apparat dient dazu, die Herrschaft der Ceausescu-Familie abzusichern. Die meisten Angehörigen dieser Familie sitzen mittlerweile in Schlüsselpositionen. Eine organisierte Opposition, wie sie in anderen osteuropäischen Ländern exisiert, gibt es in Rumänien nicht, weil die Menschen eingeschüchtert sind und Angst haben. Außerdem gibt es in Rumänien keine Tradition einer Opposition in der Geschichte.
Bei der Hungerrevolte in Kronstadt wurden etwa 300 Menschen verhaftet. Ein Teil kam bei einer Amnestie anläßlich des 70.Geburtstages Ceausescus im Januar frei. Die meisten politischen Dissidenten sitzen allerdings weiterhin in den Gefängnissen. Radu Filipescu, einer der Unterzeichner des Appells (s. Kasten), war selbst zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt und wurde dank massiven Drucks seitens humanitärer Verbände - darunter amnesty international - aus der Haft entlassen. Der mehrmals inhaftierte rumänische Schriftsteller Dan Petrescu steht unter permanenter Bewachung des Geheimdienstes.
Welche Rolle spielt der „Führer“ der Kommunistischen Partei, der sich selbst „Conducator“ nennen läßt?
Ceausescu ist Generalsekretär der KP, gleichzeitig aber auch Präsident der Republik, Oberster Befehlshaber der Streitkräfte, Vorsitzender der sogenannten Front der sozialistischen Demokratie und Einheit, Ehrenvorsitzender der Akademie usf. Mitglieder seiner Familie besetzen die wichtigsten Partei- und Staatsämter. Beispielsweise ist seine Frau Elena Leiterin der Kaderabteilung im ZK - eine der wichtigsten Funktionen im Parteiapparat. Sie ist zudem stellvertretende Premierministerin und „Chemikerin von Weltrang“, das heißt sie ist diejenige, die die wahnwitzigen Industrieprojekte, vor allem im Bereich der Petrochemie, vorantreibt und somit für die derzeitige ökologische Katastrophe die Hauptverantwortung trägt. Schuldig an der jetzigen Lage sind selbstverständlich auch die Mitläufer des Systems.
Die Revolte im November soll ja auch etwas mit den damals stattgefundenen Kommunalwahlen zu tun gehabt haben. Welche Rolle spielen die Wahlen überhaupt in Rumänien?
Die Wahlen sind eine reine Farce. Allerdings kann man von einer mißverstandenen, total verzerrten „Perestroika“ sprechen, auf die sich ihr Erfinder Ceausescu jetzt beruft: In Rumänien wurde vor Jahren das Wahlsystem reformiert, indem mehrere Kandidaten zugelassen wurden, die aber alle von der Partei und dem Geheimdienst nominiert werden. Im Endeffekt ist es völlig egal, wer aus dem „Wahlkampf“ siegreich hervorgeht. Die latent bestehende Unzufriedenheit löste in Kronstadt die Revolte aus, als die dortigen Arbeiter zu den Wahlurnen befohlen wurden. Die Wahlkundgebung geriet außer Kontrolle und verwandelte sich spontan in eine Anti-Ceausescu-Demonstration, die von der Bereitschaftspolizei und der Securitate niedergeschlagen wurde. Fazit dieser Hungerrevolte war die Verhaftung von „Anstiftern“ sowie die Entlassung eines Fabrikdirektors, dessen Schuld darin bestand, die ökonomischen Anweisungen Ceausescus befolgt zu haben.
Seit einiger Zeit verlassen tausende Einwohner Rumäniens, meist Angehörige der deutschen oder ungarischen Minderheiten, das Land.
Richtig. Die Politik der rumänischen Regierung gegenüber den Minderheiten im Lande kann als kultureller Genozid bezeichnet werden. Bereits seit den 60er Jahren emigrieren Menschen aus allen ethnischen Gruppen einschließlich der rumänischen. Die ungarische und deutsche Minderheit unterliegt besonderen Bedrohungen ihrer Identität. Ein neues Phänomen ist die Emigration von rumänischen Staatsangehörigen in das sozialistische Ungarn. In Budapest existiert eine geduldete Organisation „Freies Rumänien“. Zusammen mit der demokratischen Opposition in Ungarn organisierte sie am 27.Juni die große Demonstration der 100.000 auf dem Milleniums-Platz. Inzwischen hat die rumänische Regierung das ungarische Kulturinstitut in Bukarest und das Konsulat in Cluj geschlossen und Ungarn die Einreise verweigert.
In ländlichen Gebieten sollen 5.000 Dörfer eingeebnet werden, um „Agroindustrielle Zentren“ zu errichten in der Absicht, große Bodenflächen zu gewinnen. Diese „Bulldozerpolitik“ vernichtet jahrhundertealte ländliche Traditionen von rumänischen, ungarischen und deutschen Dörfern. Für die Minderheiten kann es das Ende ihrer Existenz bedeuten.
Im Herbst erscheint von William Totok im Junius -Verlag/Hamburg ein Buch zum Thema mit dem Titel „Die Zwänge der Erinnerung - Aufzeichnugen aus Rumänien“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen