: Gibt es UFOs?
■ Von Fragen, die sich bei Autofahrten durch einsame Gegenden stellen
Das Buch von Hilary Evans hat mit einer untergründigen Zeitströmung zu tun. Die Entzauberung der Welt, das nüchtern rationalistische Pathos der Diesseitigkeit hat an Bindungskraft offensichtlich verloren, Okkult -Geheimnisvolles ist vom Zeitgeist wieder zugelassen worden zum öffentlichen Gespräch, es darf sich sogar gelegentlich am strengen Diskurs der Vernunft beteiligen. Und daß Evans‘ Studie über UFOs jetzt, einige Jahre nach der englischen Erstveröffentlichung, ins Deutsche übersetzt wurde, zeigt auch, daß die Verlage das breiter gewordene Interesse an Esoterischem und Rätselhaftem nicht ohne eigenen Gewinn an sich vorüberziehen lassen wollen.
Die Wiederverzauberung der Welt, ihre Trends und ihre merkwürdigen Phänomene wären selbst schon einen Gedanken wert, und zwar einen, der sich nicht schon vorm Überlegen seiner Überlegenheit sicher ist und eigentlich alles schon weiß. Aber ich hätte dies Buch trotzdem nicht gelesen, nicht einmal beachtet; vielleicht auch deshalb, weil bei den etwas randständigen Fragen die Angst vor der Lächerlichkeit regiert und man sich bei ernsthaften Leuten durch nichts schneller und leichter den Ruf des Spinners einhandeln kann, als wenn man ein wenig über UFOs spekuliert; ein Umstand übrigens, der im vernünftigen Deutschland eine spürbar größere Rolle spielt als etwa in England oder den USA.
Ich wäre wohl kaum auf das Buch von Evans gestoßen, hätte mir nicht vor einigen Wochen eine Bekannte eine merkwürdige Geschichte erzählt: Bei einer längeren Autofahrt durch eine wenig besiedelte mitteleuropäische Landschaft habe sie plötzlich drei ganz fremdartige Flugkörper gesehen, groß und flach, wie runde Scheiben; es wären gewiß keine Wolken gewesen, die Flugkörper hätten metallisch ausgesehen, aber Hubschrauber oder so seien es bestimmt auch nicht gewesen; vor ihrem Auto seien sie im Abstand von einigen hundert Metern von links nach rechts geflogen; ihre Mitfahrerin, so die Bekannte weiter, habe die schwebenden Scheiben auch gesehen, beide hätten sie erstaunt und aufgeregt darüber gesprochen, dann, nach einigen Minuten, seien die merkwürdigen Objekte rechts hinter den Hügeln verschwunden.
Ich habe keinerlei Anlaß, an der Ehrlichkeit des Berichts meiner Bekannten zu zweifeln. Zweifel allerdings sind sehr hartnäckige Wesen, und so stellen sie zwar nicht die Ehrlichkeit, wohl aber ganz einfach die Richtigkeit der Wahrnehmung in Frage: Das Problem der Zeugenaussagen also, und für alles, was mit UFOs zusammenhängt, ist es ein zentrales Problem.
„Das Beweismaterial für UFOs“, so schreibt Hilary Evans, „besteht aus Berichten von Augenzeugen, die durch eine Untersuchung überprüft wurden. Grundsätzlich beschreibt der Augenzeuge, was er beobachtet hat. Dann schätzt der Forscher den Bericht der physikalischen Gegebenheiten, der Persönlichkeit des Zeugen, seines sozialen Zusammenhangs und anderer Faktoren ein. (...) Die Frage 'Gibt es UFOs?‘ (kann) nicht einfach bedeuten: 'Gibt es fliegende Objekte, die man nicht identifizieren kann?‘ Die gibt es natürlich. Vielmehr sollten wir die Frage so verstehen: 'Gibt es über all diese Berichte, Behauptungen und Überzeugungen hinausgehende Beweise dafür, daß es Objekte gibt, die weder Fehlinterpretationen bereits bekannter Dinge sind noch Einbildungen von Dingen, die es nie gab und nie geben wird, sondern die real sind und der Wissenschaft noch unbekannt?'“
Das ist die Frage, die sich der Autor stellt: ist etwas dran an der Sache, und wenn ja, was?
Das Angenehme an Evans ist, daß er die Antwort nicht schon weiß. Seine Methode ist die des Skeptikers; ihm ist bekannt, daß bei den UFO-Sichtungen die Zahl der offensichtlichen Irrtümer und Fälschungen Legion ist, er versucht sie auszugrenzen und sich auf die bestdokumentierten Fälle zu beschränken.
Gerade von solchen gut dokumentierten Berichten aber, die man nicht einfach als gefälscht abtun und nicht ohne weiteres erklären kann, gibt es Tausende, und ihre Zahl hat in den letzten Jahren weiter zugenommen. Evans hat gut 70 solcher Fälle zusammengestellt; ein Beispiel:
„Exeter, New Hampshire, USA. 3.September 1965
Der 18jährige Norman Muscarello trampte kurz nach Mitternacht nach Hause, aber weil so wenig Verkehr war, mußte er das letzte Stück zu Fuß gehen. Als er sich Exeter näherte, sah er über einem Feld zwischen zwei Häusern ein 'Ding‘ von ungefähr 30 Metern Durchmesser mit hellen pulsierenden roten Lichtern rund um etwas, das wie eine Felge aussah. Es schwankte, während es lautlos auf ihn zuglitt. Als er fürchtete, daß er gleich getroffen würde, warf er sich in den flachen Straßengraben. Das Objekt zog sich dann langsam zurück, und Muscarello lief zu einem der Häuser. Er hämmerte an die Tür, aber es machte ihm keiner auf. Schließlich nahm ihn jemand mit nach Exeter, wo er sein Erlebnis in einem Zustand äußerster Verstörung auf der Polizeiwache meldete. Während die Polizisten noch unschlüssig waren, was sie von seiner Geschichte halten sollten, erfuhren sie von einem Streifenpolizisten, daß er eine Frau in ihrem Auto gefunden hatte, die völlig durcheinander war, weil sie etwas ganz Ähnliches gesehen hatte. Ein Polizeioffizier ging mit Muscarello zum Ort des Geschehens zurück, und er konnte das Objekt so klar erkennen, daß er die Beobachtung insgesamt bestätigen konnte. Eine weitere Streife, die das Objekt zwar gesehen hatte, aber nicht so deutlich, konnte sie teilweise bestätigen.“
Geschichten wie diese sind der Stoff, aus dem moderne Mythen geformt werden; Sternenkriege, Begegnungen der Dritten Art, die Abenteuer von ET und alle Niederungen der science ficition. Jedenfalls spielen sich die Mysterien im Himmel ab. Von dort fuhren in der Geschichte der Menschheit einst die Götter strafend heran und überzogen die Menschen mit Sintfluten und Feuer, im Himmel wohnen die Engel und Lichtgestalten, und vom Himmel herab steigt der prophezeite Erlöser. Die UFOs als technisierte Variante archetypischer Bilder, so hat sie C.G. Jung gesehen. Das UFO -Phänomen sei ein Charakteristikum unserer Epoche, sagt Jung in seiner 1958 erschienenen Schrift „Ein modernder Mythos. Von Dingen, die am Himmel gesehen werden“.
Der Kreis ist ein Ganzheitssymbol, und so sieht Jung in der runden, kreisähnlichen Gestalt der meisten UFO-Erscheinungen eine Symbolik, die in psychischen Spannungszuständen vom Unbewußten gesucht wird.
Die Begegnungen mit den himmlischen Dingen allerdings wurzeln nicht nur in den Tiefenschichten der Seele und den Galaxien des Gehirns, sie entsprechen auch in einem ganz aktuellen Sinn dem der modernen Kosmologie erwachsenden neuen Bewußtsein von der Erde und den Raumhüllen, die sie umgeben. Aus 200 Milliarden Sonnen besteht unsere Milchstraße. Es spricht vieles dafür - und in den letzten Jahren zunehmend mehr -, daß eine Entwicklung von unbelebter Materie zu belebter auch unter ganz anderen Bedingungen als jenen der Erde möglich und wahrscheinlich ist, daß tatsächlich viele ganz unterschiedliche Evolutionen im Weltall stattgefunden haben.
Nicht die These von der Existenz außerirdischen Lebens ist irrational, sondern die prinzipienfeste, stolze Annahme, unsere Evolution sei kosmisch einmalig. Die Größe des Kosmos, die ungeheure Zahl von Sternen in einer Galaxie, die ungeheure Zahl von Galaxien selbst macht wahrscheinllich, daß es viele Evolutionen gibt, die es zu hoher Intelligenz gebracht haben. Die Größe des Kosmos, dergegenüber unsere Lebenszeiten und Lebensräume so winzig sind, ist es aber auch, die einen Kontakt mit solchen fernen Evolutionen unwahrscheinlich sein läßt.
Kürzlich hat darüber Hans Jonas in einem Vortrag nachgedacht, wie wichtig denn diese Frage sei, ob es außer uns noch intelligentes Leben im Weltall gibt; welchen existenziellen Unterschied würde ein solches Wissen machen? Und Jonas gibt zur Antwort: gar keinen. Was immer es draußen geben möge, unser Schicksal entscheidet sich hier. Um die Erde sollten wir uns sorgen, als ob wir in der Tat einzig wären im All.
Über diese Dinge zerbricht sich der Autor Hilary Evans nicht den Kopf. Er denkt mehr im Common-sense-Stil nach, was es denn - verdammt noch mal - mit diesen merkwürdigen Berichten auf sich hat. Nachdem er die Fälschungen und Narreteien abgezogen hat, gibt er vier Erklärungen, mit denen man den UFO-Berichten beikommen kann:
Erstens: Es gibt ganz natürliche Erscheinungen, die sich biologisch oder meteorologisch erklären ließen; ungewöhnliche Luftformationen etwa, Kugelblitze, vielleicht auch seltene Lichterscheinungen, über die man noch wenig weiß und die in Verbindung mit geophysikalischen Kräften auftreten könnten.
Zweite Erklärung: durchaus irdische Geräte; neue Flugmaschinen z.B., die die Militärs im Geheimen ausprobieren, und deren Existenz - wenn sie dann doch gesehen wurden - von den Regierungen einfach ein bißchen abgestritten wird.
Dritte Möglichkeit: Die Bilder der unbekannten fliegenden Objekte sind psychischen Ursprungs; eine, für sich gesehen, sehr interessante Sache, besonders dann, wenn es sich um Bilder und Visionen handelt, die mehrere Menschen zugleich haben. Leser von Robert Anton Wilson wissen, wovon die Rede ist.
Und die vierte Erklärungsmöglichkeit, die Hilary Evans anbietet, ist: es bestehe - vielleicht, vielleicht - allen Einwänden zum Trotz, eine reale Wahrscheinlichkeit, daß eine große Zahl der UFOs „gestaltete künstliche Gegenstände außerirdischen Ursprungs“ sind. Allerdings enttäuscht es den Autor, daß die Außerirdischen, wenn sie uns denn beobachten sollten, so bemerkenswert unfachmännisch vorgehen. Außerdem hätte man sich, vierzig Jahre, nachdem der erste UFO-Bericht durch die Weltpresse ging, schon mal wenigstens einen hieb und stichfesten Beweis gewünscht. - Der Autor praktiziert die allzu seltene Tugend, die unübersichtlichen Fragen nicht rasch zur einen oder anderen Seite hin zu vereinfachen und zu beantworten. Er läßt sie offen.
Kann man denn nun nach vollbrachter Lektüre sagen, was die beiden Frauen bei ihrer Autofahrt gesehen haben, das da so von links nach rechts vor ihnen schwebte?
Man kann; und es wird sogar eine eindeutige Aussage: Unbekannte Flugobjekte.
Eberhard Sens
Hilary Evans: „Beweise: UFOs“, Knaur Taschenbuch Nr.3779, 1988, 218 S., 8,80DM
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