: W E S H A L B N A C H M A L L O R C A ?
■ B A D E N I N K R E U Z B E R G
Hier gibt's Urlaubsstimmung für nur drei Mark, und alles in Kreuzberg. Der Motorenlärm der Skalitzer Straße ist allgegenwärtig, im Wechseltakt nur vom Rattern des Südost -expresses übertönt. Und dann sind wir doch wiederum nicht in Kreuzberg: Die Hundescheiße fehlt, weil Köter hier nicht erlaubt sind.
Coca Cola und Popcorn, blauer Himmel und türkisfarbenes Naß. Kinder im Becken, nimmer müde werdend, die Augen vom Chlor stark gerötet. Lautstarke Wettkämpfe, mit welchem Sprungstil die größten Fontänen zu erzeugen sind; daneben kämpfen andere gegen den Herz-Kreislauf-Verfall.
Die Rotäugigen haben nur völliges Unverständnis für jene stocksteifen Greise, die langsam und gleichmäßig ihre Bahnen ziehen. Das sind die Menschen ab 25. Im Schwimmerbecken gleitet ein krampfig in den Nacken gelegter Kopf übers Wasser. Die Stirn in krause Falten gelegt, Kinn und Mund vorgereckt.
Am Beckenrand, auf rotem, heißen Stein, räkeln sich Schönheiten, die neueste und knappeste Bademode oder frisch blondierte Haare demonstrierened. Die Frauen meist mit nacktem Busen. Und immer wieder diese Düfte von Sonnenöl, vor allem Kokosnuß, penetriert vom Chlor, durchmischt mit auf heißen Platten verdunstendem Wasserdampf und Essenzen von schwitzender Haut.
Die Entblößung relativiert Normen. Zu sehen gibt es jedenfalls alles. Tätowierungen auf männlichen Oberarmen oder Brüsten. Hier ein Anker, dort ein Berliner Wappen. Goldkettchen an den Fußgelenken bei den Damen, bei den Herren am Hals.
Auf den Wiesen familiäre Idylle. Mitte Vater, rechts die Alte und zur Linken Vatis ganzer Stolz, die Tochter, die er mal neckt, mal stupst. Glücklich die, die ohne ihre Eltern hier verweilen und an der pubertären Erotik leiden, in Cliquen aufeinanderhocken, sich Träume ausgucken. Und auch die kleinen Bubis schleichen sich zu den Nackten auf der Liegewiese hinter den Pappeln. Halb verschämt, halb ungeniert betreiben sie Anatomiestudien, gehen auch mal ganz nah ran.
Zwei mittelalterliche Jogger drehen gleichmütig ihre Runden am äußeren Rand der Wiesen. Was hat Mallorca anderes zu bieten?
Thomas Werres
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
