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Schulzwang für Roma

■ Bremer Amtsgericht verurteilte polnischen Roma-Vater zu zwei Monaten auf Bewährung / Er muß seine Tochter täglich in der Schule abgeben

In seiner bisherigen Praxis könne er sich nur an einen Fall erinnern, in dem es wegen „Entzugs des Schulbesuches“ zur Strafanzeige gekommen war, begründete der Richter Nordhausen gestern die Bedeutung des Falles. Auf der Anklagebank saß ein 32jähriger polnischer Vater. Sein Vergehen: seine 14jährige Tochter war seit anderthalb Jahren nicht mehr zur Schule gekommen.

1985 war die Romafamilie aus Polen nach Bremen gezogen. Das Mädchen wurde im Sommer 1985 eingeschult. Obwohl sie kaum deutsch sprach, besuchte sie den Unterricht regelmäßig bis zum Sommer 1987. Gelegentlich war es zu Fehlzeiten gekommen, wenn der Vater mit seiner kran

ken Frau dringend zum Arzt mußte und das Mädchen auf den kleinen Bruder aufpassen mußte. Seit April 1987 war es dann gar nicht mehr in der Schule gewesen.

Gespräche und selbst ein Bußgeldbescheid änderten nichts an diesem Zustand. Inzwischen ist das Mädchen, das der Tradition und Lebensweise der Roma verbunden ist, verlobt.

Den Schulbesuch empfindet sie im Gegensatz zu ihrem Vater als unnötig, zumal sie beabsichtigt, mit ihrem zukünftigen Ehemann nach Polen zurückzukehren. Immer wieder erklärte der Vater, daß er versucht habe, seine Tochter zur Schule zu bringen: „Was soll ich denn machen, ich kann sie doch nicht zwingen oder verprügeln?“ Auf die Fragen des Staatsanwaltes und des Richters, warum er seine Tochter nicht täglich zum Unterricht brachte und sie wieder von der Schule abholte, um sich zu vergewissern, daß seine Tochter der Schulpflicht nachkomme, versuchte er, die schwierigen familiären Verhältnisse zu beschreiben, die dies bisher verhindert hätten.

Aus Sicht der Schulbehörde, deren Vertreter neben einer ehemaligen Lehrerin als Zeuge geladen war, war es unumgänglich, in diesem Fall Strafanzeige wegen Verstoßes gegen den § 47 des Bre

mischen Schulgesetzes zu erstatten: fortgesetzter „Entzug des Schulbesuchs“.

Der Staatsanwalt befand, daß dies zu bestrafen sei, da weder Verwarnungen noch Geldstrafen etwas bewirken würden. Er empfahl eine Freiheitsstrafe von zwei Monaten auf Bewährung mit der Auflage, daß der regelmäßige Schulbesuch des Kindes gewährleistet wird. Der Richter folgte in seinem Urteil dem Strafantrag des Staatsanwaltes.

Der Richter wies den Angeklagten darauf hin, daß er ab nächsten Montag seine Tochter persönlich der unterrichtenden Lehrerin oder Lehrer zu übergeben habe und daß es seine Aufgabe sei seiner Tochter klarzumachen, daß dem Vater eine Strafe droht, wenn sie sich weiter dem Schulbesuch widersetze. Unter Umständen könnte sie sogar selbst für ihr Handeln verantwortlich gemacht werden.

Der Angeklagte akzeptierte das Urteil, bat aber ausdrücklich darum, daß eine ehemalige, polnisch sprechende Lehrerin seiner Tochter die Bedeutung dieses Urteil erklärt.

cj

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