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Algerier bleiben unruhig

■ Fundamentalisten organisieren Demonstrationen / Algerier warten auf Fernsehansprache des Staatspräsidenten / Überfluß in Algiers Geschäften

Berlin/Paris (afp/taz) - Nachdem es in der Nacht zum Montag in der algerischen Hauptstadt Algier ruhig geblieben war, ist es am Montag erneut zu Demonstrationen gekommen. Mehrere zehntausend Menschen nahmen trotz eines von der Regierung ausgesprochenen Versammlungsverbotes an Kundgebungen teil, die von der Polizei mit Schüssen auseinandergetrieben wurden. Dabei sind nach Meldungen aus Algier mindestens zehn Menschen von Sicherheitskräften erschossen worden. Zahlreiche Personen wurden verletzt. Die Demonstration soll im wesentlichen von islamischen Fundamentalisten organisiert worden sein.

Westliche Diplomaten in der algerischen Hauptstadt teilten mit, Jugendliche hätten damit begonnen, „die Militärs zu reizen“. Es sei erneut eine „brenzlige Situation“ entstanden. Aus den Provinzstädten Algeriens liegen derzeit keine neuen Meldungen vor. Aus der Berber-Region Kabylei werden jedoch nach algerischen Rundfunkmeldungen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Soldaten gemeldet.

Bei der Revolte in Algerien sind nach neuesten Angaben von Polizisten und Krankenhausärzten mindestens 200 Menschen getötet worden. Nach offiziellen Angaben sind mehr als 900 Personen festgenommen worden. Die Unruhen waren am Dienstag nach der Erhöhung der Lebensmittelpreise ausgebrochen.

Die Regierung von Staatspräsident Chadli Bendjedid, gleichzeitig Generalsekretär der Einheitspartei FLN und Oberbefehlshaber der algerischen Armee, hatte am gestrigen Morgen für die Bewohner Algiers eine Überraschung parat. In den nach den Zerstörungen der letzten Tage notdürftig reparierten Läden wurde ein ungewöhnlich breites Warenangebot bereitgehalten. Mit diesen Lieferungen wollte die Regierung nach Angaben von Beobachtern jedes Wiederaufflammen der Revolte verhindern. „Das ist der reinste Überfluß“, staunten die Kunden. Grundnahrungsmittel wurden ohne Mengenbegrenzungen abgegeben.

Mit Spannung wurde gestern in Algerien auf die von Staatspräsident Chalid angekündigte Rede gewartet, der gestern abend im Fernsehen zu den Unruhen erstmals in der Öffentlichkeit Stellung nehmen wollte. Die relative Ruhe im Land wird darauf zurückgeführt, daß die meisten Menschen, die zuvor demonstrierend auf die Straße gegangen waren, offenbar diese offizielle Reaktion abwarten wollen. Während die europäischen Regierungen bisher große Zurückhaltung gegenüber den Ereignissen in Algerien bewahrten, äußerten sich zahlreiche ins Exil verbannte Oppositionsführer zu den Unruhen.

„Welche Glaubwürdigkeit kann eine Regierung haben, die einen arabischen Gipfel organisiert, um die jungen Palästinenser zu unterstützen, und die nun selbst auf die eigene Jugend schießen läßt?“, fragte der ehemalige FLN -Führer Hocine Ait-Ahmed in der 'Liberation‘. Andere Oppositionsführer fordern inzwischen die Einführung eines demokratischen Regierungssystems in Algerien.

gb/ger Siehe auch Seite 7

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