: „Ihr müßt euren verschwenderischen Lebensstil aufgeben“
Martin Khor, Vorsitzender des Asia-Pacific People's Environmental Network, Penang, Malaysia, zu Umweltproblemen, Rohstoffverbrauch und der Neudefinition von „Entwicklung“ ■ I N T E R V I E W
taz: Mit welchen Erwartungen kamst du zu dieser Konferenz?
Khor: Ich wurde eingeladen, um die Ansicht der Dritten Welt zu der globalen Klimaerwärmung vorzustellen. Normalerweise gilt die Meinung, daß Umweltprobleme nur die nördliche Erdhalbkugel plagen. Wir denken an die Nebenwirkungen der Industrialisierung, an Wasser- und Luftverschmutzung, an giftige Nebenprodukte der Industrie. Dies trifft aber nicht zu. Die Umweltzerstörung schreitet in der Dritten Welt sogar rascher voran als im Norden. Unsere Wälder werden abgeholzt, unser Boden erodiert, auch wir haben Giftmüllprobleme - und das alles ohne die Technologie, das Wissen und die Gesetzgebung, die eine Kontrolle ermöglichen. All dies trägt auch zu globalen Umweltproblemen bei.
In welchem Ausmaß ist der Treibhauseffekt ein Problem der Dritten Welt?
Wir werden die Auswirkungen der Erwärmung direkt erfahren. Viele Dritte-Welt-Länder erstrecken sich entlang der Küsten und würden von einer Erhöhung des Meeresspiegels betroffen werden. Die Landwirtschaft würde drastische Veränderungen erfahren, möglicherweise käme es vermehrt zu Hungersnöten. Die Ursache des Problems liegt jedoch hauptsächlich im Norden. Auch was die Zerstörung der Wälder in den Tropen angeht - die Ursache ist im Norden zu suchen. Es ist der Norden, der Holz von uns importiert. Es ist der Norden, der Rindfleisch aus Brasilien importiert und so die Brandrodung des Regenwalds im Amazonasgebiet ermutigt. Die nördlichen Industrieländer sind die Hauptverursacher der globalen Klimaerwärmung, doch unfairerweise werden wir am meisten unter den Folgen leiden.
Wie fangen wir an, dieses immense Problem in Griff zu bekommen?
Die hier auf der Konferenz angesprochenen technologischen Hilfsmittel - sparsamere Glühbirnen und Kraftfahrzeuge usw.
-sind nur auf kurze Sicht bedeutend. Mit ihrer Hilfe kann das Problem um einige Jahre aufgeschoben werden. Wenn wir die Ausführungen der hier anwesenden Wissenschaftler zu ihrem logischen Ende führen, bleibt der Schluß, daß nur eine Änderung der Lebensweise, der Kultur, nur eine Neudefinition unserer Vorstellung von „Entwicklung“, unserer Vorstellung von „menschlichem Glück“ aus der Misere helfen wird.
Wie sollen wir Menschen der Industrieländer unsere Lebensweise ändern?
Ihr müßt euren Energieverbrauch herabsetzen. Die Industrieländer mit 20 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen 80 Prozent der globalen Rohstoffe. Die Wurzel des Problems ist die vergeuderische Lebensweise des Nordens. Familien mit mehreren Autos, Kleider für die verschiedensten Funktionen, Schuhe - Schuhe für die Party, fürs Büro, für die verschiedensten Sportarten - Aerobic, Tennis, Jogging, Wandern. Immer werden Rohstoffe aufgebraucht.
Während dieser Konferenz kam wiederholt die Forderung, „Entwicklung neu zu definieren“. Wie soll diese Neudefinition aussehen - angesichts der enormen Armut in der Dritten Welt?
Der Entwicklungsbegriff in der Dritten Welt stammt aus den Industrieländern, den Lehrbüchern der westlichen Wirtschaftswissenschaft. Entwicklung heißt Wachstum, schnellstmögliches Wachstum auf Art und Weise der Industriestaaten. Eine neue Definition von Entwicklung heißt: die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen nach Ernährung, Kleidung, Obdach, Transport und Arbeit erfüllen, harmonische Beziehungen mit der Umwelt pflegen. Ein solches Entwicklungskonzept wird allen Menschen in der Dritten Welt einen annehmbaren Lebensstandard in einer ökologisch intakten Umwelt erlauben. Aber dies ist nur möglich, wenn uns die reichen Länder nicht mehr dominieren, unsere Ressourcen - Mineralien, Energierohstoffe, Holz - nicht mehr zu niedrigsten Preisen importieren. Dies bedeutet, daß die Menschen der Industrieländer ihren verschwenderischen Lebensstil aufgeben müssen.
Und damit wären wir wieder beim Treibhauseffekt.
Ja, die Struktur der Weltwirtschaft, die Verteilung der Ressourcen und der Einkommen, die Erfüllung grundlegender Bedürfnisse und die wahre Bedeutung von Entwicklung sind eng mit dem Problem der globalen Erwärmung verknüpft. Das „Global Greenhouse Network“ könnte ein Beispiel für eine gute Zusammenarbeit zwischen Dritter Welt und Industrieländern werden. Wir müssen im Bereich der natürlichen Landwirtschaft, der alternativen Energiequellen, der Nutzung von Rohstoffen usw. gemeinsam arbeiten.
Das Gespräch führte Silvia Sanides
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