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Please let me the Rockmusic play

■ Die Jury der Berliner „Rock News“ tagte in Bad Bevensen. Aus den Aufzeichnungen eines Juroren.

Wiglaf Droste

Wir fahren! Wir fahren! johlt Jurorin Peters vom Beifahrersitz im quietschenden Diskant, und es stimmt: wir fahren. Am Steuer ihres kleinen silbernen japanischen Autos sitzt schwitzend und stämmig Juror Schulz, der eigentlich Knabben heißt, aber dann war er so dumm zu heiraten, und das hat er nun davon: Schulz, während im Fond des Wagens Juror Goldt und ich in ein zartes, angeregtes, tiefes und schönes Gespräch vertieft sind, das aber jäh und roh von einem mit Reitstiefeln angetanen Wachtmeister auf Verkehrskontrolle unterbrochen wird; dies nicht nur nach erst fünfhundert Metern zurückgelegter Strecke auf der Skalitzer Straße in Berlin-Kreuzberg, sondern auch noch mit der läppischen Begründung, Juror Goldt und ich seien nicht anjeschnallt, vierzich Maak für jeden, na juut, vierzich zusammen, weil ihrs seid, Jungs, schnarrt die Mehlmütze und dünkt sich jovial; zähneknirschend zahlen wir dem Petermann seine Blut und Erpressergroschen.

Gänzlich unbehelligt fahren wir dann weiter, Richtung Hamburg durch die DDR, über die ja allgemein wie im besonderen in dieser Zeitung immer sehr herzlos und revanchistisch geschimpft wird, und nachdem wir den prüfenden Blicken ihrer Kontrollorgane standgehalten und auf bundesdeutscher Seite das Deutsche Salzmuseum und das Industriedenkmal Saline Lüneburg passiert haben, sind wir in Bad Bevensen, am Ziel unserer Reise.

Hier erwarten uns schon 12 weitere Jurorinnen und Juroren und vor allem Manfred Fischer, im Berliner Musikervolksmund Senatsrockbeauftragter genannt sowie sein erfahrener Gehilfe Sandy Hobbs; alle gemeinsam werden wir in den nächsten drei Tagen aus in diesem Jahr 256 eingesandten Kassetten 21 Bands auswählen, die in der Endrunde des mit insgesamt 50.000 Mark dotierten und Rock News betitelten Wettbewerbs im Quartier Latin spielen werden. Die Jury ist zusammengesetzt aus lauter Top-Fachleuten, aus Veranstalterinnen, Musikjournalisten, Musikerinnen, Verlegern usw., und da es sich um eine Angelegenheit für junge Leute handelt, liegt das Durchschnittsalter, höflich geschätzt, bei Mitte Dreißig.

Nachdem der zuvorkommende und in diesen Dingen erfahrene Senatsbüttel Herr Hobbs den Kühlschrank des Jurorenzimmers mit allerlei Getränken gefüllt hat, beginnen wir unsere bedeutende Tätigkeit. Welcome to the victims of the fire, jault es uns von der ersten Kassette entgegen, und die Reaktionen auf diesen unerwartet frühen Schuß vor den Bug kommen prompt aus berufenem Mund: Mach den Dreck aus! Ist ja widerlich! Jedes Jahr dieselbe Rotze! usw., aber nun, da es begonnen hat, gibt es kein zurück. Den Kassetten sind Textblätter, Fotos und biographische Angaben der Musiker beigefügt, die schon bald größeres Interesse erwecken als die Musik, Kuck ma, der sieht aber scheiße aus, hehehe, und bereits um 15.53 Uhr -meine Aufzeichnungen sind in diesem Punkt unmißverständlich äußert Jurorin Peters den dringenden Wunsch, sich massiv betrinken zu wollen. Dem Antrag wird stattgegeben.

Immer bunter und munterer wird das Treiben, Kommentare wie Rias 2-Dreck, Ethno-Gesindel, Düstergetue usw. schwirren durch den Raum, aber immerhin einige Juroren gehen ihrer Tätigkeit mit dem gebotenen Ernst nach: Herr Schwerdt etwa, der für das Magazin tip tätig ist und gleichermaßen an Thomas Brasch wie Wolf Wondratschek gemahnt, hockt mit dem unwilligen Air des Schwerintellektuellen auf einem für ihn viel zu geringen Stuhl, knüllt seinen mürrischen Maulemund und schleudert mit jeder Faser seines Schweigens in die Welt, daß er a) eigentlich aus New York und b) durch und durch ein Vertreter des modernen Lebens sei.

In der Zwischenzeit hat nicht nur Frau Peters, die über und über mit Geschmeide behangen ist, den Getränken zugesprochen; Jurorin Döring etwa beginnt im Zuge der Ereignisse an Frau Fukking, die wirklich so heißt und deren Namen man nie englisch Fucking aussprechen darf, herumzukneten, was dieser so gut gefällt, daß sie einen Mund wie Flipper macht, ein Kunststück, daß sie auf allgemeinen Wunsch noch viele Male vorführen wird, sie sieht dann wirklich aus wie ein Delphin, und Juror Goldt konnte nur mit Mühe daran gehindert werden, ihr einen Hering mitzubringen; auch Juror Schulz hat seine sensiblen Musikerhände auf die Schultern von Frau Murray, die bei der Soulband The Deep singt und ihre Bühnenstrickjacke trägt, gelegt und eine Massage begonnen.

Ich kann kein Floß sein, wenn du nicht das Meer bist, quittiert Juror Schacht Kassette Nr. 55, und auch der sonst so mürbe Herr Schwerdt läßt sich zu einer angemessenen Definition der Berliner a-la-mode-Kapelle Plan B hinreißen, Big Alarm Clash B, fällt aber augenblicklich ins Erloschene zurück.

Es ist auffällig, daß etwa jede englischsingende Band die Textzeile I'm walkin‘ through the city in ihrem Repertoire hat, wobei, wie Juror Goldt sprachkritsch feststellt, das Wort city stets wie sssiddey ausgesprochen wird; die deutschen Beiträge zeichnen sich durch eine meist unerwiderte Liebe zum Gereimten aus: Stein auf Stein, entstanden im Nu, läßt unsere Liebe nicht zu, man möchte es nicht glauben, aber meine Aufzeichnungen sind auch in diesem Punkt korrekt, kein Bauer mehr geht auf Militär, der Dussel reimt sich auf Puzzle, aber auch das Englische allein ist noch keine Rettung: Please let me the rockmusic play. Heavy Metal ist heilbar. Oder?

Auch die Jury kommt im Laufe der drei Tage in Bad Bevensen mächtig ins Schleudern: Es gefällt mir nicht, aber ich finde es gut, hört man zu seinem grenzenlosen Erstaunen Jurorin Fukking im Brustton der Überzeugung sagen, mit einem dramatischen Was habe ich nur für einen entsetzlichen Geschmack! bricht Juror Schacht zusammen, Das ist doch schön, das ist doch schön beginnen unvermittelt die Jurorinnen Schütte und Peters zu jodeln, und als ich einmal schüchtern Aber die Schweineorgel ist doch prima einzuwerfen mich getraue, fertigt mich Juror Schulz stante pede mit einem häßlichen Dann kauf sie dir doch! ab.

In den Pausen spielen wir Minigolf und Federball, zu größeren Entdeckungsfahrten in die Heide sind wir nicht mehr fähig. Die Räume der Europäischen Heimvolkshochschule Bad Bevensen werden von Gruppen seltsamster Couleur heimgesucht, Collagen und Abschiedsgrüße an den Wänden künden von Zufriedenheit, Glück und Debilität des deutschen Menschen. Was fällt mir zur Lüneburger Heide ein? Schafe, Essen, Erika, Wandern und Wacholder.

Immer wieder peitscht Manfred Fischer zur Eile. Mach die Tür zu, schmeiß in die Ecke die Schuh, empfängt uns Kassette 147, auch Reggae nn-ta nn-ta ist im Angebot, Ei Mann, Eiermann, der Rastamann schafft Zaster an. Nr.155: Das Ziel der Band ist es, den Hardrock nicht sterben zu lassen. Aber dafür die Jury.

Höhepunkt der Tagung ist das mehrfache Abspielen und Anhören der Kassette Nr. 167: Niemand heißt die Band, Kikki Chaos die Sängerin. Und machen wir dann Liebe, bin ich obenauf, es ist schön dich fest zu spürn, tönt es wie Ina Deter aus dem Äther; es folgt ein anhaltendes Geräusch, das vom Textblatt mit aaarrrggh nicht ganz korrekt wiedergegeben wird, Männer die fühln sich saugut an, ich brauch was Rundes in mir, bevor ich einschlafen kann, refraint es ein ums andere Mal - leider gelingt es Juror Goldt und mir nicht, diese Band bis in die Endrunde zu bringen, unser Ansinnen wird mit humorlosen Worten vom Tisch gefegt, und auch Jurorin Murray, die uns lange Zeit stützte, läßt uns an diesem Punkt geschmacklich im Stich. Eine nicht wiedergutzumachende Nachlässigkeit der Gesamtjury und ein herber Verlust für das Berliner Musikleben.

An dieser Stelle verwirren sich meine Aufzeichnungen, auch ich habe nach dieser herben Enttäuschung wohl Trost in Alkohol und Zwiegespräch gesucht, Zeilen wie Ich stehe hier vor Sacre-Coeur oder Now is the time of life when writing poems becomes like having orgasms lasse ich teilnahmlos an mir vorüberziehen, und nicht einmal Das ist der Beweis, es steht geschrieben schwarz auf weiß will mich erheitern. Auch die juryinternen Zankereien Okay, das Tape ist mies, aber hör dir die Band mal live an! incl. rhetorischer Konter Da sind sie noch schlechter! gehen mich nichts mehr an, 21 Bands werden am Ende gewählt, aber Kikki Chaos ist nicht dabei, und auch Faux Pas werden diese Zeilen nicht singen: Das kleine Väschen oben im Regal war so hauchdünn, daß Atemzüge ihm gefährlich werden konnten.

Die Rückfahrt verbringen wir bedrückt und schweigend; das Schlimmste zu verhüten, waren wir angetreten und haben es nicht geschafft. Juror Goldt erzählt, daß er als Zwölfjähriger für seine Schwester zweihundert Flaschen Nagellack gestohlen habe, und zwar in der Drogerie, in der er auch nach der Schule gearbeitet habe; der Besitzer, ein hartherziger und böser Mensch, habe ihn angezeigt und sei dann seinerseits wg. Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz verurteilt worden, während er, Juror Goldt, damals als freier Mann nach Hause gegangen sei. So getröstet, läßt man sich vom schwitzenden, stämmigen Juror Schulz nach Hause kutschieren, und am nächsten Tag kauft man einen großen Posten Ohrenstöpsel.

Die Endauscheidung der „Rock News“ läuft vom 21.10. bis 9.12. jeweils Freitags ab 21 Uhr Im Ouartier Latin, Potsdamer Straße, 1 Berlin 30.

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