Frauenkongreß gegen Reprotechniken

■ Kritikerinnen der Gen- und Reproduktionstechnologien auf der Suche nach neuen feministischen Standpunkten

Das Max-Planck-Institut in Köln hat vor kurzem bundesweit den ersten Antrag auf die Freisetzung genetisch veränderter Petunien gestellt. Mit Hilfe eines „genetischen Fingerabdrucks“ soll derzeit in einem Berliner Vergewaltigungsprozeß der Täter überführt werden. Im „Denver -Club“ gab man jüngst „Adams Sohn“ (!), ein Leihmutterdrama a la Baby M. Und meine schwangere Schwägerin (35) ließ neulich einen Fruchtwassertest machen, wg. „Risikogeburt“.

In welchem Maße Reproduktions- und Gentechnik Einzug in unser Leben gehalten hat, machen diese Beispiele deutlich, die mir in den letzten 14 Tagen eher zufällig untergekommen sind: durch die Zeitungen, das Fernsehen, den Familientratsch.

Aber der Triumphzug dieser wachstumsorientierten Branche wird - nicht nur in der Bundesrepublik - von immer mehr kritischen Stimmen begleitet. Und das ist in erster Linie Frauen zu verdanken. 1985 organisierten Kritikerinnen den ersten internationalen Frauenkongreß gegen Gen- und Reproduktionstechnologien in Bonn. Rund 2.000 Frauen aus In und Ausland trafen sich, um über die frauenfeindlichen und naturzerstörenden Auswirkungen dieser Techniken zu diskutieren - und sie eindeutig abzulehnen. Ein bis dato einmaliger Kongreß, ein Startschuß. Denn in den folgenden Jahren setzten sich immer mehr Frauen und Frauengruppen kritisch mit Gen- und Reproduktionstechnologien auseinander. In vielfältigen Formen. Sie reichen von Informationsveranstaltungen katholischer Frauen bis zu den Anschlägen der „Roten Zora“.

Die Durchsuchung des Genarchivs Essen, die Verhaftung von Ulla Penselin und Ingrid Strobl im Dezember vergangenen Jahres sollten die radikalen Gegnerinnen der Gen- und Reprotechniken treffen. Die Auseinandersetzung mit diesen Techniken wurde zum „anschlagsrelevanten Thema“. Das fachte die Diskussion allerdings weiter an, anstatt sie mundtot zu machen. Auf dem Hintergrund der Ereignisse im Dezember wurde der zweite bundesweite Kongreß „Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologie“ geplant und organisiert. Er wird nun, vom 28. bis 30. Oktober, in Frankfurt stattfinden. Die Trägerinnen, das Feministische Frauengesundheitszentrum Frankfurt und der „Verein sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis“, Köln, rechnen mit bis zu 2.000 Teilnehmerinnen aus dem In- und Ausland. Zahlreiche Referentinnen aus Europa, den USA, Afrika und Lateinamerika sind eingeladen.

Das Programm gliedert sich in vier Schwerpunkte, die parallel in Arbeitsgruppen und unter verschiedensten Fragestellungen diskutiert werden: Bevölkerungspolitik, Naturwissenschafts- und Technologiekritik, Selbstbestimmung und Legalisierung der Reproduktions- und Gentechnik. Es geht dabei weniger um die Vermittlung von Grundlagen als um eine Bestandsaufnahme der neuesten internationalen Entwicklungen in diesem Bereich: von den „Fortschritten“ der Reproduktionsindustrie in Sachen In-Vitro-Befruchtung, Embryotransfer usw., über vorgeburtliche Diagnose, humangenetische Beratung, Bevölkerungsprogramme hier, aber auch in asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern. Thema wird auch die Entwicklung gentechnischer Anti -Schwangerschaftsimpfstoffe, Embryonenversuche in der Pharmaindustrie und Humanmedizin, die Freisetzung gen -manipulierter Bakterien und Pflanzen sein. In vielen Ländern wird derzeit an gesetzlichen Grundlagen für die Anwendung der Gen- und Reproduktionstechniken gebastelt, in der BRD zum Beispiel an einem „Embryonenschutzgesetz“. Wer schützt hier wen vor was? Ein internationaler Vergleich soll angestellt werden.

Die feministische Kritik an der patriarchalen Definition von Natur und Wissenschaft, Naturwissenschaften, hat durch die rasante Entwicklung in diesem Bereich an Schärfe und Radikalität zugenommen. Die Kritik gilt heute nicht mehr so sehr deren Anwendung als deren wissenschaftstheoretischen, philosophischen und methodologischen Grundlagen. Suche nach einer frauen- und naturgerechten Definition von Leben, Natur, Krankheit, Gesundheit. Was bedeutet Selbstbestimmung für Frauen, für lesbische und heterosexuelle, farbige und weiße, behinderte und nichtbehinderte im Zusammenhang mit diesen Technologien? Wo liegen die Gemeinsamkeiten, wo die Unterschiede? Wie wird individuelle Verweigerung zu gemeinsamem Widerstand? Und welcher Widerstand ist eigentlich gemeint?

Ulrike Helwerth

Der Kongreß findet statt in Frankfurt, Universität, vom 28. bis 30.Oktober 1988

Anmeldung: Feministisches Frauengesundheitszentrum, Hamburger Allee 45, 6000 Frankfurt/M 90, Tel: 069/701218 (di 13-16 Uhr)

Ein ausführliches Begleitheft zu Themen und AGs des Kongresses bekommt frau beim Frauenzentrum Bochum, Schmidtstraße 12, 4630 Bochum 1, gegen 5 Mark (inkl. Porto) als Verrechnungsscheck oder in bar