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WOHER DER MUT ZUM BANKRAUB KOMMT

■ Die Knastkarriere eines 38jährigen

1969 bin ich als 19jähriger eine Muß-Ehe eingegangen. Dieses war „notwendig“, da beide Elternteile im öffentlichen Rampenlicht standen.

1972 wurde diese Ehe zwangsläufig geschieden. Meine geschiedene Frau und unser nunmehr zweieinhalbjähriges Kind zogen zu ihren Eltern. Hierzu ist unbedingt anzumerken, daß ich seinerzeit die Scheidung eingereicht habe. Mein Vater verstarb im Februar 1972, wobei meine Noch-Ehefrau, nur weil wir wieder mal Streit hatten, nicht an der Beerdigung teilnahm. Dieses war für mich dann der Anlaß, die Scheidung einzureichen. Mit einer so kalten und gefühllosen Frau konnte ich keinen Tag mehr länger zusammenleben. Hinzu kommt noch, daß sich meine Frau seinerzeit sehr gut mit meinem Vater verstanden hat.

Mein Schwiegervater, ein hohes Tier und Alkoholiker bei der Bundeswehr, drohte mir noch am Scheidungstag damit, mich finanziell fertig zu machen. Dennoch konnte später durch unsere Anwälte vereinbart werden, daß meine Frau auf Unterhalt für sich verzichtete, wenn ich alle anstehenden Schulden übernehmen würde. Die Schulden beliefen sich seinerzeit auf ein Einrichtungsdarlehen von 16.000 Mark sowie einen PKW, der finanziert wurde, von 13.000 Mark. Also stand ich vor einem Schuldenberg von etwa 30.000 Mark. Dazu kamen dann später noch Anwalt und Gerichtskosten.

Bis zu meiner Scheidung war ich nicht nur sehr gewissenhaft, sondern auch beruflich erfolgreich. Gewiß verdiente ich auch seinerzeit weitaus mehr als andere in meinem Alter. Dennoch mußte ich erkennen, daß von meinem Lohn, nachdem ich alle Raten sowie Unterhalt für meinen Sohn bezahlt hatte, nicht mehr viel für mich selber übrig bieb.

Etwa zwei Jahre hielt ich dieses Dilemma durch. Doch irgendwann überkam mich Frust und Lustlosigkeit, so daß ich aufhörte zu arbeiten. Durch die hohen Zinssätze einer Umschuldung bei einem sogenannten Kredithai, zahlte ich im Prinzip nur noch die Zinsen/Verzugszinsen mit meiner monatlichen Ratenzahlung. Der Schuldenberg selber aber verringerte sich kaum bemerkenswert. Ich ging somit also nur noch der Schwarzarbeit nach. Mahnbescheide, Pfändungen und der Offenbarungseid waren die Folge. Heillose Schwarzarbeit, unregelmäßige Ratenzahlungen sowie nun auch des Unterhaltes für meinen Sohn bestimmten die Folgezeit.

1974 stand ich dann erstmals wegen Unterhaltsverletzung vor Gericht. Da ich mich seinerzeit unangemeldet in Berlin aufhielt und somit für die Behörden lange nicht greifbar war, kam ich in Berlin-Moabit in U-Haft. Es folgte Abschiebung nach Westgermany. Nach drei Monaten U-Haft hatte ich dann Termin und kam auf Bewährung (acht Monate) wieder frei.

Hiernach raffte ich mich dann nochmals auf und ging wieder einer geregelten Arbeit auf Lohnsteuerkarte nach. Doch schon nach wenigen Wochen erhielt mein Arbeitgeber erst eine, dann mehrere Pfändungen. Somit wurde ich für die Firma untragbar, was dann eine Entlassung nach sich zog.

Danach wiederholte sich die Situation: neue Arbeitsstelle, Pfändung, Entlassung - und das mehrmals. Eine feste Arbeitsstelle anzunehmen, war einfach unmöglich geworden. Ich war in einen Kreislauf geraten, aus dem ich heraussuchte - aber das war einfach unmöglich geworden.

Ende 1974 stand ich erneut wegen Unterhaltsverletzung vor dem Kadi. Diesmal verurteilte man mich zu acht Monaten ohne Bewährung. Bei meiner Entlassung hatte ich genau 261,40 Mark in der Tasche, keine Wohnung - aber dafür stand ich nun vor einem noch größeren Schuldenberg, unter anderem Unterhaltsnachzahlungen.

Nun war ich nicht nur in einen Kreislauf meiner Schulden, sondern auch in einen Kreislauf der Justiz geraten, was mir endgültig das Rückrat brach und eine Schuldenregulierung immer aussichtsloser werden ließ. Irgendwann kommt man dann in einen Zustand der Lethargie und mir wurde alles egal: laß kommen was will.

1975 wurde ich dann erneut wegen Unterhaltsverletzung zu einem Jahr Knast verurteilt. 1976, nachdem ich auf Bewährung entlassen wurde, erneut zu 18 Monaten plus vier Monaten Bewährungswiderruf. Welch ein Glück ich hatte, wieder auf Bewährung entlassen zu werden. Doch welch ein Pech, nun vor einem noch größeren Schuldenberg zu stehen.

Bis Mitte 1977, nachdem ich Anfang 1977 aus der Haft entlassen wurde, hatte ich mich sehr schnell gefangen und kämpfte erneut gegen den nunmehr noch größeren Schuldenberg an. Ich hatte das Glück, eine gute und lukrative Außendiensttätigkeit zu finden, die ich natürlich nicht gewerblich angemeldet habe. Aber nur so hatte ich eine Chance, meinen Schuldenberg abzutragen und vor allem mich vor Pfändungen beim neuen Arbeitgeber zu schützen. Das ging auch einige Monate gut, bis ich Ende des Jahres meinen Führerschein (1,2 Promille) verlor.

Durch den Verlust des Führerscheins war nun abermals meine Existenz gefährdet. Außendienst ohne Führerschein und Fahrzeug - einfach undenkbar. Schlimm war für mich auch die Erkenntnis, daß ich eigentlich nur selten Alkohol konsumierte, was mir letztenendes auch den Namen Mineralwasserkönig einbrachte. Aber das Schicksal hatte es abermals auf mich abgesehen.

Nun stand ich vor der Entscheidung: Außendienst aufgeben und somit wieder alles verlieren und auch den Schuldenberg nicht mehr abtragen können oder ohne Fahrerlaubnis weitermachen. Ich entschied mich für das letztere. Folge: Trotz stetigen Fahrzeugwechsels kam ich in der Folgezeit etwa 20 Mal in Fahrzeugkontrollen. Anzeigen und erneute Prozesse folgten. Mitte 1979 wurde ich erneut inhaftiert. Strafmaß, Strafzusammenzug etc., kann ich wegen der Vielfalt gar nicht mehr nachvollziehen. Auch wollte ich das damals gar nicht mehr - mir war inzwischen alles sch...egal. All meine Bemühungen waren nicht nur umsonst gewesen, sondern auch aussichtslos.

Im Dezember 1982 wurde ich unerwartet auf zwei Drittel mit gleichzeitiger Weihnachtsamnestie entlassen; für mich aber, wie nachstehend erkennbar, kein Grund zur Euphorie.

Während dieser letzten Haftzeit, lernte ich eine Frau durch Inserat - aus Hannover kennen. Wir hatten über Monate hinweg eine offene und herzliche Brieffreundschaft, woraus eine feste Beziehung und Zuammenziehen nach meiner Entlassung vereinbart wurde. Nach ihren Angaben hatte sie zwei Kinder und war geschieden.

Da ich morgens bei der Strafvollstreckungskammer Anhörung hatte und schon gegen Mittag entlassen wurde, konnte ich diese Frau nicht mehr postalisch informieren. Da ich derzeit aber glaubte, sie mit meinem Besuch und vorzeitiger Entlassung überraschen zu können, unterließ ich es auch, sie telefonisch zu informieren. Meine Überraschung wurde auch zum „Erfolg“. Sie hatte zwar zwei Kinder, doch leider auch noch einen Ehemann mit dem sie in einer glücklichen Ehe und Eigenheim lebte.

Außer dem emotionalen Schock hatte ich auch ca. 350 Kilometer Bahnreise vergeblich getan. Schlimmer aber war, daß ich ein Drittel von meinem Geld, das ich derzeit besaß, vergeudet hatte und nun auch noch auf der Straße stand. Erschwerend kam noch hinzu, daß es tiefer Winter war und ich nur mit Sommerkleidung ausgestattet war. Da wir nun den 22. Dezember schrieben, entschied ich mich, erst einmal über die Weihnachtstage im selben Raum zu bleiben. Ich kam glücklicherweise in einer billigen privaten Pension unter. Ich bezahlte pro Übernachtung zehn Mark einschließlich „Frühstück“. Ohne Radio, Fernsehen oder einer Menschenseele, die ich kannte, verweilte ich dort bis zum 2. Januar 1983. Vielleicht für viele unverständlich, aber ich sehnte mich oftmals wieder nach dem Knast zurück.

Am 2. Januar 1983, etwa gegen Mittag, traf ich wieder in meiner „Heimatstadt“ ein. Mit noch 80 Pfennig, Kohldampf und total durchfroren, marschierte ich vom Hauptbahnhof - etwa sechs Kilometer - zum Gericht, wo sich meine Strafvollstreckungskammer befand. Leider traf ich den für mich zuständigen Richter nicht mehr an. Ich bekam aber einen Termin für den nächsten Tag, etwa gegen Mittag.

Die darauf folgende Nacht verbrachte ich im Bahnhof, da ich ja für Hotel oder ähnliches kein Geld mehr hatte. Daß ich in dieser Nacht nicht erfroren bin, grenzt schon an ein Wunder. Mit Sehnsucht erwartete ich den nächsten Morgen, um mich in den Kaufhäusern aufzuwärmen. Aber nachdem ich nun schon fast 48 Stunden nichts mehr gegessen hatte, fror ich auch noch nach stundenlangem Aufenthalt in den Kaufhäusern.

Gegen Mittag marschierte ich dann abermals die ca. sechs Kilometer zur Strafvollstreckungskammer. Abermals durchfroren und ausgehungert traf ich beim Gericht ein und auch den Richter an. Der Richter lobte mich zwar, keine Straftat begangen zu haben, doch helfen konnte auch dieser mir nicht. Ich wurde an das Sozialamt verwiesen.

Noch am gleichen Tag suchte ich das Sozialamt auf, wurde jedoch auf den nächsten Tag verwiesen, da das Sozialamt nur vormittags geöffnet hat. Es folgte noch eine Nacht im Freien und mit Kohldampf bis zum Magenkrampf.

Am 4. Januar 1983 suchte ich erneut das Sozialamt auf. Da ich weder Ausweis noch Reisepaß besaß, hatte ich auch erhebliche Probleme beim Sozialamt. Hierzu ist anzumerken, daß ich mich während meiner Haftzeit bemüht hatte, einen Ausweis zu erhalten. Mit der Begründung, den können sie sich auch noch nach der Entlassung machen lassen, wurden meine Anträge abgeschmettert. Mein Haft-Entlassungsschein half mir jedoch erst einmal „großzügiger Weise“ weiter. Ich bekam 26 oder 29 Mark und sollte mich wieder melden. Auch bekam ich eine Adresse von einem Männerwohnheim, wo ich erst einmal wohnen konnte und das Sozialamt die Kosten trug.

Zuerst einmal stillte ich meinen Kohldampf mit Brötchen und Billigwurst. Danach suchte ich das Wohnheim auf. Ich war total geschockt, als ich mein neues Heim in Augenschein nahm. Ein Raum, etwa 1,5mal so groß wie meine frühere Zelle. In meiner Zelle vegetierten wir zu drei Personen. In diesem Wohnheim aber nun zum fünf Personen. Schlimm war für mich auch, daß es die gleiche blau-weiß-karrierte Bettwäsche gab. Auch der Alkoholkonsum von meinen Mitbewohnern war für mich erschreckend und ekelerregend. Ich galt schnell als Außenseiter, da ich mich diesem Saufgelage nicht anschließen wollte und konnte. Auch die Sauberkeit, insbesondere die Körperhygiene meiner Mitbewohner, brach Ekel in mir auf. Von acht bis zwölf Uhr mußten wir unsere Zimmer alle verlassen haben - wegen Reinigung und Betten machen. Im Prinzip war ich nun wieder im Knast - oder noch schlimmer!

In den nächsten Tagen suchte ich erneut das Sozialamt auf, denn knapp 30 Mark sind auch für einen Genügsamen wie mich bald aufgebraucht. Das Sozialamt verweigerte mir weitere Zahlungen mit dem Hinweis auf meinen Entlassungsschein (Haft) und daß ich während meiner Haftzeit gearbeitet habe. Somit wandte ich mich an das für mich zuständige Arbeitsamt.

Das Arbeitsamt war im Prinzip bereit, mir Arbeitslosenhilfe zu gewähren. Doch dafür war eine Bescheinigung vom Sozialamt erforderlich, daß ich keine Sozialhilfe erhalte. Ich bemühte mich erneut zum Sozialamt um gewünschte Bescheinigung zu erhalten. Das Sozialamt aber verweigerte mir die entsprechende Bescheinigung mit dem Hinweis, daß ich ja Sozialhilfe bekommen könne, vorausgesetzt ich habe mich arbeitslos gemeldet und könne dem Sozi das auch nachweisen. Ich ging wieder zum Arbeitsamt. Genau drei Tage lang machte ich diese Willkür mit - lief hin und her zwischen Sozi und Arbeitsamt ohne Erfolg zu haben. Am dritten Tag hatte ich die Schnauze endgültig voll und setzte das Sozialamt mit den Worten „Wenn ich heute hier kein Geld bekomme, gehe ich direkt von hier aus zur nächsten Bank um diese auszurauben“ unter Druck. Nun auf einmal kam Bewegung ins Geschäft. Der Sozialarbeiter rief beim Arbeitsamt an und klärte die Sachlage ab. Danach ging ich wieder zum Arbeitsamt. Nunmehr wurde endlich ein Antrag auf Arbeitslosenhilfe ausgefüllt. Mir wurde noch mit auf den Weg gegeben, eine Haft beziehungsweise Arbeitsbescheinigung nachzureichen aus der hervorgehe, was ich während der Haft verdient habe. Auch möge ich umgehend einen Ausweis machen lassen und dem Arbeitsamt vorlegen. Ich schrieb noch am gleichen Tag die Vollzugsanstalt an mit der Bitte, mir entsprechende Bescheinigung zuzusenden.

Am gleichen Tag bemühte ich mich auch noch zum Einwohnermeldeamt um einen Ausweis anfertigen zu lassen. Doch da hatte ich die Rechnung ohne unsere Bürokraten gemacht. Ein Ausweis ohne festen Wohnsitz kann nicht ausgestellt werden. Klar, das wußte ich ja, doch wußte ich nicht, daß meine derzeitige Unterkunft nicht als fester Wohnsitz galt.

Nach dieser Erkenntnis begab ich mich abermals zum Sozialamt. Eine Wohnung, Appartement oder Zimmer wurde mir auch genehmigt beziehungsweise dafür die Kosten zu übernehmen. Doch mußte ich erst einmal etwas gefunden haben, wofür die Kosten übernommen werden können. Ich also auf Wohnungssuche.

Ein regelrechter Wahnwitz, was ich nun erleben mußte. Ich fand tatsächlich ein schönes Appartement um die 350 Mark. Mit neuem Mut ging ich abermals zum Einwohnermeldeamt. Nun mußte ich mir aber sagen lassen, daß ich keine Wohnung ohne Ausweis anmelden könne. Also keine Wohnungsanmeldung ohne Ausweis - kein Ausweis ohne Wohnungsmeldung. Langsam aber sicher zweifelte ich nunmehr an der gesamten Menschheit. Ich verblieb vorläufig erstmal ohne Wohnung und Ausweis weiter im Asylheim.

Ich teilte dem Arbeitsamt mit, daß eine Ausweisbeschaffung derzeit nicht möglich sei und begründete dies auch entsprechend. Gleichzeitig legte ich ihnen die zwischenzeitlich erhaltene Arbeitsbescheinigung der JVA mit in den Brief.

Als ich nach etwa fünf bis sechs Wochen noch immer keinen Bescheid vom Arbeitsamt erhalten hatte, bemühte ich mich abermals persönlich dorthin. Hier muß ich aber noch anmerken, daß ich zwischenzeitlich, zwar mit viel Kampf und viel Theater, vom Sozialamt unregelmäßige Unterstützung erhalten hatte.

Beim Arbeitsamt angekommen wurde mir eröffnet, daß zwar eine Kartei von mir vorhanden, doch ein Antrag auf Arbeitslosenhilfe nicht vorhanden sei, ich also noch keinen gestellt habe. Seltsamerweise befand sich aber die Arbeitsbescheinigung der JVA in meiner Akte. Diese konnte natürlich nicht anerkannt werden, da daraus nur erkennbar war, daß ich gearbeitet habe, aber nicht wieviel ich verdient hatte. Außerdem fehlte noch die Vorlage meines Ausweises, wurde mir noch nahegelegt. Komisch, die Arbeitsbescheinigung der JVA war da und der Mann wußte von meinem Ausweisproblem. Wieso aber war mein Antrag auf Arbeitslosenhilfe nicht vorhanden? Meine Erklärung, warum ich immer noch keinen Ausweis hatte und auch vorläufig nicht erhalten würde, interessierte diesen Herrn genauso wenig wie den, den ich beim ersten Gespräch hatte.

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Nun fing alles wieder von vorne an. Ein Spießrutenlaufen ohne Ende. Das Sozialamt strich mir nun erst einmal weitere Hilfe. Ich hatte ja keinen Antrag, wie gefordert, auf Arbeitslosenhilfe gestellt. Wie sollte ich auch nachweisen, daß ich es doch getan hatte? Ein oder zwei Tage später stellte ich einen neuen Antrag auf Arbeitslosenhilfe. Ich bestand aber darauf, daß man auf diesen Antrag „Zweitantrag“ vermerkte. Verdienstbescheinigung aus der JVA und einen Ausweis sollte ich wie gehabt nachreichen.

Ich schrieb erneut die JVA an und bat um eine neue Arbeitsbescheinigung aus der die genauen Verdienstdaten hervorgingen. Nach etwa 14 Tagen bekam ich auch ein Schreiben der JVA. Ich zitiere: „Mit Schreiben vom... hatten wir ihnen eine ordnungsgemäße Verdienstbescheinigung zukommen lassen. Eine andere ist unüblich, kann ihnen somit auch nicht zugestellt werden.“ Einen Personalausweis konnte ich ebenfalls nach wie vor nicht beschaffen. In der Folgezeit kassierte ich weitere Almosen vom Sozialamt, was jede Woche einen erneuten Bettelkampf darstellte.

Genau sechs Wochen nach Zweitantragstellung beim Arbeitsamt bekam ich von denen einen ablehnenden Bescheid. Ominöserweise wurde aber nicht mein Zweitantrag abgelehnt, sondern mein erster Antrag, den ich ja nicht gestellt haben sollte.

Wegen zwei schwerer Schädeloperationen, die während meiner letzten Haftzeit durchgeführt wurden, mußte ich auch nach meiner Entlassung im Dezember 1982 stetig zur Nachuntersuchung. Durch die nunmehr monatelange Lauferei zum Sozial- und Arbeitsamt, hatte ich dies aber außer Acht gelassen. Anzumerken ist hier aber noch, daß die beiden Operationen nur deshalb notwendig waren, weil man mich während der Haftzeit als Simulant hingestellt hatte. Bei den Operationen stellte sich dann ein fortgeschrittener Knochenfraß heraus. Wie der Chirurg mir erklärte, hätte es nur noch wenige Tage gebraucht, bis der Eiter durch die Schädeldecke ins Gehirn vorgedrungen wäre. Als etwa Mitte Mai '83 erneute Schmerzen auftraten, besorgte ich mir vom Sozialamt einen Kostenübernahmeschein für die ärztliche Behandlung. Ich suchte damit drei verschiedene Ärzte auf. Jeder wies mich freundlich, aber bestimmt ab. Die Argumente waren jeweils die gleichen: Vom Sozialamt nehmen wir keine Patienten an, da die Abrechnungen mit der Behörde immer so lange dauern.

Nach dieser Erfahrung warf ich die Kostenübernahme vom Sozialamt in den Papierkorb. Nun hatte ich endgültig die Schnauze von allen Behörden voll. Ich brach dann alle Kontakte zu den Behörden ab und zog aus dem Asylheim aus.

Durch mehrere Eigentumsdelikte in den nächsten Tagen verschaffte ich mir nun soviel Geld, daß ich mir eine Wohnung mieten konnte. Ich meldete mich in einer anderen Stadt ordnungsgemäß an und erwarb einen Ausweis und Reisepaß. Erst jetzt wurde mir bewußt, daß ich kriminell gehandelt hatte und von den Behörden dazu regelrecht genötigt worden bin.

Ende 1983 kamen dann wieder alle Fallen auf einmal auf mich zu. Zuerst verschlechterte sich mein Gesundheitszustand, was mit erheblichen Schmerzen verbunden war. Zum Arzt konnte ich nicht gehen, da ich nicht versichert war. Als nächstes kamen dann Gerichtskosten, Unterhaltsforderungen und verschiedene Banken auf mich zu, teils per Mahnbescheid, teils in Gestalt des Gerichtsvollziehers.

Da ich nicht wieder in den alten Kreislauf geraten wollte Arbeitsstelle, Kündigung wegen Pfändung... - hatte ich mir auch keine feste Arbeit gesucht. Ich lebte also nur von gelegentlichen Arbeiten und weiteren kleinen Eigentumsdelikten. Ich konnte davon zwar meine Miete bezahlen und leben, doch keinesfalls Schulden abtragen.

Der Druck der Gläubiger und die Besuche des Gerichtsvollziehers drängten mich dermaßen in die Ecke, daß ich regelrechte Existenz- und Überlebensangst bekam. Dazu kam, daß ich schon seit Wochen nur noch von Schmerztabletten und Valium lebte, um meine ständigen und sich steigernden Schmerzen zu unterdrücken.

Dieses ganze Paket von Belastungen ohne überhaupt eine Chance auf Abänderung zu erkennen, gab mir dann im Februar 1984 den Mut und die Kraft, einen Raubüberfall durchzuführen. Ich hatte niemals geglaubt, dazu fähig zu sein. Doch in der Situation, in der ich mich seinerzeit befand, wird man zu allem fähig.

Der Raub scheiterte - und nun hat der Staat erreicht, was er wollte: mich zu einem Kriminellen gemacht, mich wieder eingesperrt, um mich weiterhin ausbeuten zu können. Ich habe während meiner Haftzeit keine Resozialisierung oder Behandlung kennengelernt. Aber angenommen es gäbe sie: was würde sie nutzen, wenn ich bei meiner jetzigen Entlassung vor rund 70.000 Mark Schulden stehe?

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