: Ein Hardliner im Schafspelz
■ Der Gauweiler-Nachfolger Dr. Günther Beckstein
Nürnberg (taz) – Der abrupte Abstieg des Blaulicht –Fetischisten Dr.Peter Gauweiler brachte dem Nürnberger Rechtsanwalt Dr.Günther Beckstein (44) den lang ersehnten Aufstieg. Die geradlinige Karriere des blassen Beckstein begann beim CVJM. Als Bezirksvorsitzender der Jungen Union kam er 1974 in den Landtag. Seit 1978 steht der Ehrenvorsitzende des Polizeichores an der Spitze des Sicherheitsausschusses des Bayerischen Landtags, eines maßgeblichen Gremiums bayerischer Innenpolitik. Jetzt ist er als Staatssekretär im Innenministerium unter anderem für Polizeiangelegenheiten zuständig. Das ist sein Metier.
Doch zunächst wurde ihm 1984 die undankbare Aufgabe übertragen, drei Jahre später die vermeintlich „sturmreife rote Hochburg Nürnberg“ zu stürzen. Rechtzeitig vor seiner Nominierung als Oberbürgermeister-Kandidat löste Rechtsanwalt Beckstein sein Mandat mit Nürnbergs Unterwelt und Porno-König Kurt Stiegler. Dem etwa 20 Millionen schweren Chef über 39 Lokale, Saunen und Bordelle hatte Beckstein bis dahin die Konzessionen beschafft. Dabei geriet er in Verdacht, die aufwendige Polizeirazzia gegen Stiegler im November 84 verpfiffen zu haben. Beckstein bestritt den Vorwurf. Weder als Vorsitzender des Sicherheitsausschusses noch als Mitglied der Telefon-Abhörkommission „G10“ wollte er damals von der bis dahin größten Razzia in Nürnbergs Polizeigeschichte erfahren haben. SPD-Parlamentarier witzelten über „zarte Bande zwischen den Herrschern auf dem Markt der käuflichen Liebe und christlichen Politikern“.
Doch Skandale und Inkompetenz gereichen der Karriere eines CSU-Politikers im Freistaat fast immer zum Vorteil. Becksteins Mandatsverhältnis zu einem Nürnberger Immoblienspekulanten kratzte dabei ebensowenig an seinem Ansehen wie seine falschen Ausführungen zu Atommülltransporten durch Nürnberg oder die Vorführung polizeiinterner Videofilme zum Thema Wackersdorf bei CSU –Veranstaltungen. Bildschirmfüllend waren dabei nicht nur die Gesichter von Demonstranten, sondern auch deren aufgeschlagene Personalausweise zu sehen.
Mehr als eine halbe Million Mark setzte die CSU in den Sand, um dem blassen OB-Kandidaten Beckstein ein liberales Image zu verpassen. Doch gegen Ende des Wahlkampfes kam unter dieser Maske immer mehr der Hardliner zum Vorschein, der sich schon zuvor für den CS-Gaseinsatz und eine Bannmeile um die WAA, für Aids-Zwangsuntersuchungen und Strafrechtsverschärfung bei Vermummung sowie für auch straffällig gewordene V-Männer ausgesprochen hatte.
Abgeschlagen mit 42,4 Prozent zog Beckstein bei der OB-Wahl den kürzeren. Aus seiner vollmundigen Ankündigung, im Falle einer Niederlage werde er die Politik an den Nagel hängen, wurde nichts. Mehrfach war er für einen Regierungsposten im Gespräch, bevor er jetzt als Staatssekretär an Stoibers Seite „glänzen“ kann. Sein Versuch, auf der Welle der Häme und Schadenfreude über Gauweilers abrupten Fall mitzuschwimmen, schlug kläglich fehl. Bereits einen Tag später mußte er seine Ankündigung, er werde in der Aids- und Sicherheitspolitik andere Akzente setzen als sein Vorgänger, wieder zurückziehen. Einen weiteren Tag später kam der Rüffel seines neuen Chefs Edmund Stoiber. „Die Sicherheitspolitik und Aids-Politik der Staatsregierung wird konsequent weitergeführt“, stellte Stoiber fest. Alles andere sei abwegig.
Seitdem funktioniert der frischgebackene Staatssekretär, für den „Leistung immer schon eine große Rolle spielte“. Jetzt zollt Beckstein seinem Vorgänger plötzlich hohes Lob und macht sich stark für die gesetzliche Absicherung des finalen Rettungsschusses und den Plan, den sogenannten Unterbringungsgewahrsam auf 14 Tage auszuweiten. Beckstein ein Opportunist am vorläufigen Ende seiner Karriere.
Bernd Siegler
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