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Es winkt ein Preis-betr.: "Wir sind nicht frei", taz vom 5.11.88

betr.: „Wir sind nicht frei“,

taz vom 5.11.88

Mir scheinen die Probleme der taz nicht nur ihre eifrig -stürmenden Nachwuchsschreiber zu sein, die sich in der Vergangenheit schon mehrmals vergaloppiert haben, es scheint mir eher die Doppelmoral dieser Zeitung zu sein, ihrer Macher und dessen, was an Ideologie, an Haltung und vor allem an Anspruch dahintersteckt.

Wenn Menschen sich über das Ableben anderer Menschen erfreuen, klammheimlich, verdeckt oder ganz offen, dann hat das immer mit Verformung menschlichen Zusammenlebens zu tun, es ist im höchsten Maße inhuman, und es zeigt einen Grad von Verkommenheit auf. Irgendwer hat sich über den Tod von Schleyer und Strauß, über jüdische Mitbürger und Rudi Dutschke immer gefreut. Auch die taz hielt sich nicht zurück. Aber warum auch, sind wir nicht alle Kinder eines Volkes?

Ich glaube, erst wenn begriffen wird, daß sich niemand über den anderen erheben darf - denn das tut der Mensch, der sich über das Ableben eines anderen freut -, erst dann werden wir friedvoller und liebenswerter miteinander leben können. Und es geht auch darum, die Dinge beim Namen zu nennen. Die taz könnte mit gutem Beispiel vorangehen, denn bald sind nur noch wir vorhanden, die Kinder von Verdrängern und Mutlosen, von Menschen, die überwiegend wegsahen, als sie hinsehen sollten. Ein übles Erbe; Verdrängung und daraus resultierende Verformung, garniert mit Atomkraftwerk -Restrisiko als konsequenter Fortsetzung einer lebens- und menschenverachtenden Moral und Politik.

Ein sehr übles Erbe, das wir annehmen müssen, wir haben kein anderes. Und mit der Annahme der Erbschaft übernehmen wir auch den Antisemitismus, den wir auch nicht abspalten in rechts oder links, dadurch wird er nicht besser oder schlechter, es bleibt meiner und deiner. (...)

Und was den Unterschied zwischen sprachlichem Übel und realem Totschlag betrifft, so ist das u.a. auch ein zeitlicher. Sprache als Fundament für Pogrome und Auschwitz als konsequente Fortsetzung. Ich denke, wir sind verpflichtet, schon beim sprachlichem Übel zu reagieren, auch bei uns selbst, so rechtzeitig und eindeutig, daß es nie wieder zum Totschlag kommen kann. Niemand sagt, daß es leicht ist; es ist lebensnotwendig und es winkt ein Preis: Befreiung und Emanzipation. (...)

Georg Goedke, Berlin 12

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