Antisemitismus und die Strategie der Entlastung

■ Versuch einer Erinnerung an für selbstverständlich Gehaltenes

Arno Widmann

Am 17.10. schrieb Thomas Kapielski im Berliner Lokalteil der taz, die Berliner Disco 'Dschungel‘ sei „bereits um acht Uhr abends gaskammervoll“ gewesen. In derselben Ausgabe schrieb derselbe Autor in einer Fernsehkritik:

“'Anselm Kiefer‘. Aha!: In Amerika erregt bei jüdischen Kennern und Sammlern der finstere Kellerbunkermuff mit KZ -Schornsteinruß und Zeltlagerstrohsack den furiosesten Kauftrieb. Und wir Deutschen sind wieder so blöd und sehen nicht, daß hier (neben oder unter Aldi, Butterhoffmann usw.) WALHALLA verborgen liegt. Aber jetzt, zur Strafe in Form von wotansteuren Bildern, die wir versäumt haben früher günstiger zu erwerben, können wir es doch im Fernsehn sehn.“

Am Montag, dem 24. 10. wurden drei Leserbriefe abgedruckt, die diese Sätze in aller wünschenswerten Deutlichkeit kritisierten. Eine Leserin forderte eine Stellungnahme der Redaktion zu Kapielskis Äußerungen. Die stand - ungezeichnet - auf derselben Seite und bestand aus einem Brinkmannzitat „Beobachtung: Sich verrenkende Glieder in Gaskammern voller Musik...“ - und dem Hinweis: „Wie auch immer, in nächster Zeit werden Überlegungen zum Problem der 'schlimmen Wörter‘ erscheinen.“

Autoren dieser Nachbemerkung sind, das hat sich inzwischen herausgestellt, Thomas Kapielski und Sabine Vogel.

Die anderen Redakteure wußten nichts von diesen Vorgängen oder äußerten sich nicht dazu. Am Montag, dem 31.10. kam es endlich - nach 14 Tagen - zu einer Auseinandersetzung über Kapielskis Texte.

Der Autor war nicht da. Die verantwortlichen Redakteurinnen (Sabine Vogel, Kulturredakteutin des Berliner Lokalteils und Regine Walter-Lehmann, Redakteurin der Medienseite) zeigten sich nicht entsetzt über die Äußerungen ihres Autors, erklärten sich vielmehr ausdrücklich „solidarisch“ mit ihm, ja fanden nichts Anstößiges an den Sätzen. Seitdem habe ich von den beiden Redakteurinnen nichts mehr gehört oder gelesen.

Gabriele Riedle (Kulturredakteurin der Berliner Lokalredaktion) hat in der gestrigen taz vorgeführt, daß auch sie nicht verstanden hat, worum es geht. Die Disko mag der Metaphorisierung so disponibel zugeneigt sein, wie Gabriele Riedle schreibt, die Frage ist, ob es stimmt, daß der 'Dschungel‘ mit einer Gaskammer verglichen werden kann. Prinzipiell ja, meint Gabriele Riedle.

Nur, die Gaskammer darf nicht als „Bildempfänger“, wohl aber als „Bildspender“ benutzt werden. Da irrt die Redakteurin. Es ist keine Richtungsfrage. Es geht darum, egal von wo aus, was mit den Gaskammern des Dritten Reiches verglichen wird. Warum sagt die verantwortliche Redakteurin, Sabine Vogel, warum sagt Gabriele Riedle nicht die einfachen Worte: Eine Disco „gaskammervoll“ zu nennen ist nicht nur falsch - „zu disparat“ - , sondern es ist ein weiterer Versuch, die Erinnerung an die industrielle Vernichtung von Menschenleben zu verhindern?

Es gibt Namen und Wörter, die uns - nach dem Dritten Reich

-an das, was damals getan wurde, erinnern. Gaskammer gehört dazu. Das Wort in x-beliebigen Kontexten unterzubringen, hilft, es von der Konnotation „Auschwitz“ zu trennen. Das ist die mal mehr mal weniger erklärte Strategie vieler von denen, die in der Bundesrepublik das Sagen haben. Ich bin dagegen. Die taz ist nicht dazu gegründet worden, der Strategie des Vergessens einen Bündnispartner zu schaffen.

Das gleiche gilt für Wiglaf Drostes „Die Fortsetzung des Holocaust mit liberal-humanistischen Mitteln“. Auch wenn Mathias Bröckers, für die Literaturkritik verantwortlicher Redakteur, in einem seiner Texte zum Konflikt den Leuten, die die Entlassung der verantwortlichen Redakteurinnen fordern „hohles Endlösungs-Pathos“ vorwirft, ist das nichts Anderes. Konrad Heidkamp, freier Mitarbeiter in Sachen Musik, gelang der verwegenste Überschlag. Wer für die Entlassung von Regine Walter-Lehmann und Sabine Vogel stimmt, reinigt „die taz bis zur geistigen Endlösung“. Sie materialisiert sich in Konrad Heidkamps kurzem Text in dem Vorschlag, Heinz Galinski als neuen Mitarbeiter der taz anzustellen.

Jede derartige Äußerung ist ein Entlassungsgesuch, dem wir schnellstens nachkommen sollten. Die trotzige Hartnäckigkeit, mit der in fast jede Stellungnahme der Kündigungsgegner Wörter wie „Endlösung“ und „Holocaust“ in den harmlosen Zusammenhang einer Kündigung eingespeist werden, zeigt, daß es den Schreiberinnen und Schreibern um diese Wörter und um deren Entlastung geht und um - so mein Verdacht - die Entlastung der Schreiberinnen und Schreiber.

Einen Schritt weiter war Thomas Kapielski mit seiner Kiefer -Passage gegangen. Anselm Kiefers Bilder, über die es seit Jahren eine erregte Debatte gibt, kanzelt er als „finsteren Kellerbunkermuff mit KZ-Schornsteinruß und Zeltlagerstrohsack“ ab. So nebenbei in einer Fernsehkritik. Dann „in Amerika“ - er wird wissen, welche Vorurteile er da bedient - „erregt (Kiefer) bei jüdischen Kennern und Sammlern den furiosesten Kauftrieb“. Da steht nicht, daß jüdische Sammler Kiefer-Bilder kaufen, aus diesen oder jenen Motiven, mit diesen oder jenen Gründen, wie der Autor aus Gesprächen mit Galeristen und Käufern erfahren habe. Nein: Kapielski kreiert ein Bild, das Bild des triebhaften Aufkäufers. So stand es auch bei Streicher. Nur konsequent ist, was folgt: „wir Deutschen sind wieder so blöd“ und können uns Kiefers Bilder nur im Fernsehen ansehen.

Wer so etwas schreibt, wer so etwas verteidigt, hat in der taz nichts zu suchen. Aber: Es gibt nicht irgendwo in der taz jemanden, der diese Sätze verteidigt, sondern es sind Redakteure, Kulturredakteure, die das tun. Es sind genau die, von denen ich erwarte, daß sie mich und unsere Leser darauf aufmerksam machen, wenn solche Äußerungen irgendwo in Deutschland veröffentlicht werden. Es sind genau die, von denen ich erwarte, daß sie ihre Intelligenz, die Schärfe ihrer Formulierungen dazu verwenden, verharmlosenden Redensarten entgegenzutreten, antisemitische Tendenzen zu bekämpfen.

Ich bin sicher, daß es im taz-Projekt keine Mehrheit für die Strategie der Entlastung oder gar für das Recht auf die Verbreitung antisemitischer Klischees in der taz geben wird. Noch freilich ist das - fast einen Monat nach der Veröffentlichung - nicht entschieden.

Arno Widmann