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Freispruch für NS-Verbrecher

■ Bonner Schwurgericht läßt SS-Hauptsturmführer Korff straffrei ausgehen / Tumulte im Gerichtssaal

Bonn (dpa/taz) - Das Bonner Schwurgericht hat den wegen Beihilfe zum Mord angeklagten SS-Hauptsturmführer Modest Graf Korff gestern freigesprochen. Aus Frankreich angereiste Hinterbliebene der Opfer unterbrachen empört die Urteilsverkündung mit Zwischenrufen wie „Mörder“ und „Nazi“. Der Vorsitzende Richter Martin Lickfell ließ daraufhin den Saal räumen. Unter denen, die den Saal verließen, befand sich auch der Nebenkläger in diesem Prozeß, der französische Rechtsanwalt Serge Klarsfeld. Sein Kommentar zu dem Richterspruch: „Mich verwundert das Urteil nicht. So ist eben die deutsche Justiz. In Frankreich wäre Korff verurteilt worden.“

Der 79jährige Korff war SS-Hauptsturmführer und Kommandeur des Sicherheitsdienstes in Chalons sur Marne. Laut Anklage hat er in den Jahren 1942 und 1943 Sammeltransporte mit mindestens 220 Juden aus Frankreich in das Vernichtungslager Auschwitz organisiert. Dies hatte der Angeklagte auch gar nicht bestritten. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Das Gericht hingegen urteilte „im Zweifel für den Angeklagten“. Das Gericht hielt Korffs Aussage, er habe nicht gewußt, daß die Deportierten in Auschwitz umgebracht werden sollten, für „unwiderlegt“ und begründete damit den Freispruch. Daß der Graf seinerzeit geglaubt habe, die Deportierten würden nur zum Arbeitseinsatz in den Osten verschickt, nimmt ihm die Staatsanwaltschaft auch nicht ab. Sie will in Revision gehen. Ihre Strafandrohung (sechs Jahre) hatte sie unter anderem damit begründet, daß unter den Deportierten viele für Arbeitseinsätze gar nicht geeignete Greise, Kranke, Kinder und Säuglinge waren. Dies mache die Behauptungen des Angeklagten unglaubwürdig.

Der Prozeß richtete sich ursprünglich einmal gegen vier Angeklagte. Anklage erhoben wurde bereits 1983 (!). Nach mehrjähriger Unterbrechung blieb zum Schluß nur noch ein Angeklagter übrig. Die anderen schieden aus dem Verfahren wegen „irreversiblen Altersabbau“, Selbstmord und natürlichen Todes aus.

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