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LIE AND CHEAT

■ Herman Brood and His Wild Romance im Quasimodo

Sommer 1984 in Neukölln, Junimond hängt im Himmel, auf dem Balkon rumlümmeln, Zigarettchen rauchen, alle Fenster zum Innenhof sind weit geöffnet, und aus einer der Wohnungen hört man die Geräusche, die zwei Menschen verschiedenerlei Geschlechts miteinander veranstalten, wenn sie wieder einmal dem Hange erliegen und nachprüfen wollen, ob denn die Teile auch noch ineinander passen: Mmhh... Aaahh... Ooohh... Uuuhh usw. In landesüblich flottem Tempo geht die Angelegenheit rasch ihrem Ende, fälschlich gerne auch „Höhepunkt“ genannt, entgegen, und eine Frauenstimme seufzt emphatisch: ooh... ooh... ooh... oooooohh... oh... Herrmann!

Mit Herman Brood verhält es sich genauso: Natürlich weiß man, die Teile passen prima ineinander, aber man läßt keine Gelegenheit aus, die Forschungsergebnisse zu verifizieren. Man muß da immer wieder hinlaufen, Herman Brood ist ein Magnet für alle Süchtigen: die Verrückten sind da, die Durchgedrehten, die Spritter, die Streuner, die Kaputtniks; eine Frau erscheint an der Kasse und hebt den Pullover, Stempel auf die linke Brust kichert sie leicht weggetreten, der Mann an der Kasse zuckt die Achseln und waltet seines Amtes.

Herman Brood hat Grippe. Ik brauch ein Krankenswester, erklärt er bei seiner Ankunft in Berlin, aber eine gehorrßame. Ziemlich sexistisch irgendwie. Das Quasimodo ist bereits um zweiundzwanzig Uhr dschungelvoll, eine dampfende Höhle, die Wände schwitzen zurück, alles wogt und brodelt. Broods Stimme ist heiser, die Band spielt zurückhaltend und gedämpft, damit er seine Stimme etwas schonen kann, aber trotzdem zeigt die Droge Wirkung, kriecht den Rücken hoch, pulsiert, stampft und kreist, und wie eine Woche vorher im Willy-de-Ville-Konzert weiß man plötzlich, was das ist: Sucht, warum wir saufen, bis zum Zerfetzen durch die Straßen irren, die Kanüle in die Armbeuge jagen, es hat mit Verzweiflung zu tun, mit Leidenschaft, mit Sehnsucht, mit Liebe, und die Satten werden es nie kapieren.

Herman Brood hat alles, was die taz nicht hat: Kraft, Rhythmus, das dreckige Lachen, Herz und Sex. Noch eine Veranstaltung gab es am Samstag, ein „Nationales Plenum“ der taz, bei dem die Redakteurinnen Sabine Vogel und Regine Walter-Lehmann erwartungsgemäß entlassen wurden, nein, da mußte man wirklich nicht mehr hingehen. Lie and Cheat singt Herman Brood, Lügen und Betrügen, manche haben das von der Pieke auf gelernt, Tucholsky sagte das schon ganz richtig: Die Welt will betrogen werden, ja, sie nimmt dir sogar ernstlich übel, wenn du es nicht tust. Herman Brood steht da, die Fegereleganz in Person, mehr als zehn Jahre auf der Straße und nichts eingebüßt von seinem Biß, ihr ßeit ja ßo unkedulldik, grinst, und die Band spielt und spielt und rollt und rollt und groovt und groovt, das Honkytonkklavier hämmert, und man weiß wieder, daß es ums nackte Leben geht, immer, in jedem Augenblick, zu jeder Stunde.

Checkin out in your last hotel singt Herman Brood für Chet Baker und dazu die bestmögliche Version von Knockin on heaven's door. Love so strong - es ist klar und unmißverständlich für jeden, der es verstehen will. Es ist ein Rausch, ein Herzhämmern, ein Pulsjagen, man muß sich mit den Armen umschlingen, damit es einen nicht zerreißt, feel like doin it, aber wer davon nichts weiß und den Erstickungstod vorzieht, dem ist nicht zu helfen, nicht einmal mit Herman Brood.

wiglaf droste

Herman Brood and His Wild Romance spielen noch heute und morgen jeweils ab 22 Uhr im Quasimodo.

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