: „Es wurde fair diskutiert“
■ Plädoyer für menschlichere Kündigungsformen in der Selbstverwaltung
Peter Gäng
Um es vorweg zu sagen: der wichtigste Tagesordnungspunkt des Plenums, die „Konzeptdebatte“, wurde verschoben. Die Zeit reichte nicht aus, denn es ist einer der „Sachzwänge“ der taz, daß sie immer nur einen Tag lang tagen kann, einen Samstag, den einzigen Tag, der frei ist vom Zwang zur Produktion dieser Zeitung.
Trotzdem stimmt das nur formal. Dis Diskussion um die künftige Konzeption der taz war in allen anderen Tagesordnungspunkten immer gegenwärtig. Besonders in der wichtigsten Auseinandersetzung dieses Plenums, der Kündigung der beiden Redakteurinnen, die für die beiden Artikel von Kapielski, die in den letzten Wochen die Diskussionen in und um die Zeitung bestimmt haben, die „politische Verantwortung“ zu tragen hatten.
Nur zur Erinnerung: Kapielski hatte in zwei Artikeln sich in einer Weise ausgedrückt, die am Ende die meisten tazlerInnen und LeserInnen untragbar fanden. Die beiden Redakteurinnen haben sich der darauf folgenden Diskussion ausgelöst durch den Brief einer Leserin! - entzogen, fanden im Prinzip auch weiterhin an den Artikeln nichts auszusetzen, hielten sie für eine provokativ-experimentelle Schreibweise, die in der taz möglich sein müsse. 37 RedakteurInnen haben daraufhin einen Antrag auf Kündigung gestellt, über den das Plenum zu entscheiden hatte.
Die Diskussion über diesen Antrag war überraschend fair besonders im Vergleich zu der Auseinandersetzung auf den Seiten der taz. Aber daß die Diskussion so fair war, macht gerade das Inhumane des ganzen Verfahrens sichtbar: 150 diskutieren und entscheiden, ob zwei entlassen werden. Um das zu verdeutlichen, muß man sich nur vorstellen, was passiert wäre, wenn die taz wie eine ganz normale Zeitung organisiert wäre: Entweder wären diese Artikel bei der Redaktionsleitung hängen geblieben, wenn nicht - was durchaus wahrscheinlich ist, da die taz ja erst durch eine Leserin aufmerksam gemacht wurde -, hätte die Redaktionsleitung Selbstkritisches äußern oder gar zurücktreten müssen. Oder die beiden Redakteurinnen wären von der Redaktionsleitung herbeizitiert, verwarnt, vielleicht innerhalb der Zeitung versetzt worden. Hätten sie darauf bestanden, daß derartige Artikel („provokativ und experimentell“) in der taz notwendig seien, dann hätte die Redaktionsleitung auf jeden Fall dafür sorgen müssen, daß künftig keine Seite der taz direkt vom Schreibtisch der Beiden in den Druck gehen darf. Alles machbar. Vielleicht wären sie sogar gekündigt worden, individuell schlimm, aber keine Katastrophe. Und so?
Es wurde fair diskutiert. Vor allem aber: der sogenannte Rechts-Links-Gegensatz spielte keine Rolle. Die beiden Redakteurinnen hatten durchaus auch FürsprecherInnen. Einige haben versucht, ihnen eine Brücke zu bauen: daß sie vielleicht nur Angst gehabt hätten, sich in der verhärteten Diskussion - von Inquisition war die Rede - noch zu äußern. Schließlich nahmen sie selber Stellung. Die Eine las einen kurzen Text vor, wo sie sich zur experimentellen Provokation bekannte. Die Andere sagte, sie hätte keineswegs Angst (ich hätte in einer vergleichbaren Situation vor Angst gezittert und sie, wie ich glaube, auch). Sie erzählte, woran sie das Verfahren erinnere: sie habe als Kind bei den jungen Pionieren, in deren gerechtem Antifaschismus sie sich aufgehoben und zuhause gefühlt habe, mal das westlich -dekadente Lied „ciao, ciao bambina...“ gesungen und sei für diese schändliche Tat wochenlang ausgestoßen worden. Dann habe sie als öffentliches Schuldbekenntnis und als Buße das Lied vom kleinen Trompeter singen müssen. Ihre Frage ans Plenum: „Soll ich auch hier wieder das Lied vom kleinen Trompeter singen?“ Mag sein, daß jemand das für eine geschickte Verteidigung hält, mag sein, daß jemand findet, das kehre die Fronten um, mache aus Leuten, die für etwas verantwortlich sind, plötzlich Opfer. Ist sicher alles richtig und doch falsch: Ich hatte das Gefühl, daß sie das alles ehrlich genauso gemeint hat. Mit großer Mehrheit wurde die Entlassung beschlossen. Aber das ist eben keine Entlassung. Wenn ich normal entlassen werde, habe ich die Freiheit, aufrecht zu gehen, ich kann dem, der mich entläßt, sagen, „du Arschloch, vor dir geh ich nicht in die Knie“, ich kann auch im Herzen einsehen, daß er recht haben könnte. Aber die beiden wurden nicht entlassen, sie wurden aus der Gemeinschaft ausgestoßen. (Ja und? Die eigene Freiheit, aufrecht zu gehen, wie du es so schön nennst, kann niemandem von wem auch immer genommen werden! d. S.in) Das läßt nicht viel Möglichkeiten offen.
Und der Vergleich, der geäußert wurde: So hätten auch unsere Eltern reagiert, als wir sie aufs Dritte Reich angesprochen haben. Sie seien für nichts so richtig verantwortlich gewesen und wären am Ende selber die Opfer. Stimmt der Vergleich? Waren wir vielleicht auch da schon so selbstgerecht, daß uns gegenüber niemand seine Schuld eingestehen konnte? Sind wir auch heute noch so erbarmungslos gut, daß die „Bösen“ von damals (und von heute) uns nur hassen können?
Das hier soll übrigens kein Plädoyer dafür sein, daß die taz wie eine bürgerliche Zeitung aufgebaut sein müsse. Wohl aber für eine Struktur, in der Menschen gewählt und mit Macht ausgestattet werden, die dann auch für das, was sie tun, verantwortlich sind. (Und die anderen? Sollen die dann ihre Verantwortung abgeben? Was übrigens nicht geht!! d.S.in) Dann hätte sich auf diesem Plenum eine Redaktionsleitung der Diskussion stellen müssen und wäre abgewählt worden. So aber wurden zwei Redakteurinnen - die katastrophal falsch gehandelt haben, die nicht bereit waren, ihre Fehler zu sehen, die demnach auch nicht garantieren konnten, künftig nicht die gleichen Fehler zu machen, die zu entlassen es also sicher gute Gründe gibt - für die Strukturlosigkeit der taz geopfert. Das kann nicht der Sinn eines linken Projektes sein.
Der zweite große Komplex, der auf dem Plenum verhandelt wurde, umfaßte die Berichte des Vorstands und die Neuwahlen. In den Berichten wurden zwei Punkte deutlich: daß die gegenwärtige Strukturlosigkeit der taz von allen als Mangel empfunden wird und daß die taz finanziell in einem Tief steckt. Auf beide Punkte soll erst die Konzeptionsdebatte Antworten finden, und so blieb alles im Nebel. Die finanzielle Situation wurde dramatisch dargestellt, die Verluste sind zu groß und können im Wesentlichen nur durch Entlassungen einerseits und durch Auflagensteigerung andererseits aufgefangen werden. Letzteres soll durch eine klarere Konzeption der Zeitung, ein neues Layout, Werbung ermöglicht werden - wieder alles Punkte, die zunächst verschoben werden mußten. Der Vorstand - was er wirklich für Kompetenzen hat, ist mir nicht klar geworden - soll in dieser Richtung vorbereitend arbeiten. Überraschend waren dann die Wahlen zum Vorstand: ganze fünf Minuten wurden für die einzelnen Kandidierenden zur Befragung angesetzt, und auch diese fünf Minuten waren zunächst nicht vorgesehen. Die einzelnen KandidatInnen äußerten ihre Vorstellungen vage bis auf die Gretchenfrage: Einheitslohn. Der wird zwar von allen als ungerecht empfunden (Wie bitte? Alle? d. sin) einheitlicher Monatslohn bei ungleicher Arbeit und Wochenarbeitszeiten zwischen 30 und 60 Stunden (was nichts darüber aussagt, wie diese Stunden „zugebracht“ werden von wegen Hetze, Streß, Bildschirmarbeit etc.) aber die Mehrheit scheint das noch für die beste aller ungerechten Möglichkeiten zu halten, über andere Möglichkeiten nachzudenken, gilt fast schon als unanständig.
Bleiben noch ein paar kleinere (kleiner der Raum, den sie in der Debatte einnahmen) Punkte. Die Sammlung für Waffen für den Befreiungskampf in El Salvador soll neu belebt werden. Die taz Hamburg wird autonom. Und zum Schluß ein subjektiver Eindruck: die RedakteurInnen und die übrigen tazlerInnen können sich gegenseitig nicht leiden. So kann das auf die Dauer nicht gut gehen. Da niemand zur Zuneigung (Es geht wohl kaum um „Zuneigung“, sondern um Akzeptieren von Unterschiedlichkeiten, und darum, diese nicht automatisch zu be- und verurteilen d.S.in.) gezwungen werden kann, muß die taz Arbeitsbeziehungen entwickeln, in der die Zuneigung oder die Abneigung nicht mehr die Beziehungen unter KollegInnen bestimmt.
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