: Besser anders studieren
■ Bremer StudentInnen mit unterschiedlichen Vorsätzen: Streik - gemütlich, radikal oder gar nicht? / Vollversammlung entscheidet heute über Bremer Aktionen
Geisteswissenschaft findet während der Regelstudienzeiten der Bremer Universität zwischen Mehrzweckhochhaus und Sportturm statt, im Gebäude 2 der Geisteswissenschaften, sprachökonomisch kurz „GW 2“ genannt. Im GW 2 zu sehen sind seit gestern Hamburger StudentInnen, die Transparente malen, Hamburger StudentInnen, die rauchen, Hamburger StudentInnen, die Reden vor Hamburger StudentInnen halten, Hamburger StudentInnen, die Feten feiern, Hamburger StudentInnen, die sich aneinanderkuscheln, Hamburger StudentInnen, die über Streikforderungen diskutieren. Alles auf 68 Zentimeter Bilddiagonale. Um die Bilder herum stehen in fernsehgerechter Distanz Bremer StudentInnen, die rauchen, Streikforderungen diskutieren, sich aneinanderkuscheln und Transparente malen. Frisch aus den Weihnachtsferien zurückgekehrt, findet für die Bremer StudentInnen der Streik für bessere Studienbedingungen zunächst mal vorm Fernseher statt. Sozusagen zur Einstimmung der gut erholten, aber möglicherweise vergeßlichen Neuankömmlinge, hat das Streikbüro direkt neben dem Haupteingang eine Videoanlage mit Streikszenen aus der Nachbar-Hansestadt installiert.
Aber längst nicht nur. Direkt nebenan haben Männer nichts zu suchen, Frauen dafür viel zu tun. Neben dem „geschlechtsunspezifischen“ allgemeinen Streikbüro haben Frauen ein eigenes Streikbüro eingerichtet. Auf einem Flugblatt steht auch warum: „Es ist bezeichnend, daß die Diskriminierung der Frauen nur Frauen auffällt (und da noch längst nicht allen).“ Um das zu ändern, haben die Frauen für die kommenden Streiktage eigene Arbeitsgruppen geplant. Zum Beispiel über die Frage „Was ist feministische Wissenschaft?“ oder „Das Bremer Reformmodell und was für Frauen daraus wurde“.
Direkt unter der Waschbeton-Freitreppe ein paar Schritte weiter haben Jura-StudentInnen sich
Mühe gegeben, es sich so gemütlich wie unter Betontreppen eben menschenmöglich einzurichten: Kerzen im gesuchten Schummerdunkel auf grünlichen Holz-Imitat-Lern-Tischen, drüber Luftballons und Luftschlangen, mittendrin selbstgemachte Gitarrenmusik, dazu Kaffee, wahlweise Sekt oder Tee und natürlich Streikdebatte.
Die scheint irgendwie auch nötig. Nicht alle StudentInnen sind - wie ein nicht-repräsentativer Rundgang durch den Raucherbereich der Cafeteria lehrt - mit den guten Streikvorsätzen in die Uni zurückgekehrt, mit denen sie sie laut Vollversammlungs-Beschlußlage in die Ferien verlassen hatten. Die einen sind „natürlich“ gekommen, um den großen Streik vorzubereiten, die anderen sind „selbstverständlich“ in ihre Vorlesungen gegangen, und die dritten sind einfach mal gekommen, um sich „überraschen“ zu lassen. Im Nichtraucherbereich z.B. sitzen drei Produktionstechniker, rauchen nicht und sehen nicht den geringsten Anlaß, gegen überfüllte Hörsäle und unzumutbare Studienbedingungen zu streiken. Für genügend Platz im Seminarraum sorgt spätestens nach dem 2. Semester die Studienordnung ganz von selbst: „Dann ist die Hälfte von uns durch die Zwischenprüfung gefallen.“ Die Leute haben Hoffnung.
Mit Hoffnungen ganz anderer Art sind ganz andere StudentInnen aus den Ferien zurückgekommen. Einem fallen gar nicht genug Superlative ein, um seine Erfahrung zu beschreiben. „Tierisch“ war's, „grandios“, „überwältigend“, „einmalig“. Gemeint: Drei Tage Berlin mit einem bundesweiten Un(i)mut-Kongreß, vollgepackt mit Arbeitsgruppen und Diskussionen über „Hochschulausbildung im Kapitalismus“, „Abhängigkeit und Unabhängigkeit von Wissenschaft“.
Das ist Berlin. Aber auch in Bremen verändern sich sozusagen unter der Hand und unter Einfluß anderer Universitätsstreiks
-Forderungen und Inhalte. Die StudentInnen, die vor 14 Tagen Aktionen beschlossen, daß sie unter besseren Rahmenbedingungen studieren wollen, beschlossen gestern z.T., was sie unter besseren Bedingungen studieren wollen. Neben der Größe der Hörsäle, der Höhe des Bafög und der Aktualität der Bibliotheksbestände stehen inzwischen auch Studienformen und Inhalte zur Debatte. Ein paar Sozialwissen
schaftlern wurde selbst ein bißchen mulmig, als sie ihre neuesten Forderungen erzählten: Über die Abschaffung von Klausuren und Scheinen wurde da laut nachgedacht und über die Forderung „Paritätische Gremien oder gar keine.“ Einer der Beteiligten: Die Frage „Streik - ja oder nein“ ist bei uns entschieden.
Heute um 10 Uhr tagt zu dieser Frage eine Gesamtvollversammlung in der Mensa.
K.S.
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