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E. Kmölniger-betr.: Leserbrief von Heinrich Albertz "Mehrmals gebeten", taz vom 10./11.1.89 und Leserbriefe taz vom 4.1.89, und weitere diverse Äußerungen zur Weihnachtskarikatur

betr.: Leserbrief von Heinrich Albertz „Mehrmals gebeten“, taz vom 10./11.1.89

(...) Kann man sich eine verlogenere Unterstellung vorstellen? Wer die christliche Tradition kritisiert, ist Antisemit - als ob nicht der Antisemitismus seit 1.900 Jahren ein wesentlicher Bestandteil christlicher Tradition wäre. (...)

Martin Henkel, Bochum

(...) Nun ist die Tatsache, daß Jesus Jude war, für Christen weitaus weniger wichtig, als die Tatsache, daß Jesus von den Juden umgebracht wurde, weshalb man die Juden jahrhundertelang getrost totschlagen durfte. Das schlechte Gewissen wegen der langen Verbrechensgeschichte des Christentums kann jedoch nur beruhigt werden, indem man sich selbst und seinesgleichen zum Opfer, zum „Juden von heute“ stilisiert. Diese groteske Verdrehung bestätigt nicht nur das Vorurteil, daß Christen immer lügen, es löst vor allem nicht das Problem linker Christen, aufrichtig sein zu wollen, aber es nicht zu können. Warum kann ein Christ nicht sagen, daß ihn eine antichristliche Karikatur verletzt, weil er Christ ist? Warum muß er sich ausgerechnet auf die Juden beziehen, die unter den Christen gelitten haben? (...)

Sascha Goldschmid, Berlin 30

(...) Der einzigen überregionalen, bedeutenden, linken Tageszeitung der Bundesrepublik wird das Abo gekündigt, weil sie keine Rücksicht auf christliche Traditionen nimmt. Ich fasse es nicht. Was haben denn die AbonentInnen der taz gedacht, welche Zeitung sie da in den Händen halten? Selbstverständlich sollen alle LeserInnen, die sich als Christen fühlen, ihren Glauben auch in einer Tageszeitung respektiert und reflektiert sehen. Solche Publikationen gibt es wahrlich genug. Aber doch bitte nicht in der taz. Wenn nun auch die taz aus wirtschaftlichen Gründen (Abo -Kündigungen) gezwungen werden sollte, auf „christliche Traditionen“ Rücksicht zu nehmen, welche Zeitung bleibt dann noch für die, die bei christlicher Tradition zuerst an das „Gott mit uns“ auf dem Koppelschloß der Nazi-Wehrmacht denken. Weitere Beispiele brauche ich wohl nicht zu bringen. (...)

Werner Doerwald, Hamburg 63

betr.: Leserbriefe,

taz vom 4.1.89

(...) Die Leute bei der taz sind keine Idioten. Sie wußten genau, was kommt. Trotzdem aber brachten sie diesen Cartoon. Warum? Weil man irgendetwas sehen wollte. Man erwartete ein Ergebnis. Ob es für die taz eingetroffen ist, das weiß ich nicht, was ich aber ganz genau weiß: die taz ist echt. Taten haben mich überzeugt. Wer hat den Mut, Dinge anzufassen, die andere Blätter noch nicht mal zu denken wagen? Wer greift soziale Ungerechtigkeiten auf? Wer hilft so vielen Menschen in einsamen Zellen, im grauen Knastalltag? Wer organisiert, bettelt, spielt Bote, Kurier, spendet so oft Trost? Wer? Ihr, die Ihr Euch über einen einzigen Ausrutscher beschwert?

(...) Ich glaube auch an Gott, an Jesus Christus, deswegen aber erlaube ich es mir nicht, einen anderen Menschen zu verurteilen, wenn er die Sache anders sieht als ich. Wer echt an Gott glaubt, der weiß auch, daß alles bezahlt werden muß. Jeder hat das Recht, so zu handeln, wie er will - und wenn der andere Gott beleidigt, das ist seine Sache. Er muß dafür zahlen nicht ich. Warum also soll ich mich zum Beschützer von Gott erheben? Er ist mächtiger als ich und er weiß auch echt, wer zum ihm steht. (...)

Wolfgang Rund, Agde

(...) Ihr bringt es schamlos fertig, 70 Jahre moderne Kunst zu ignorieren, 100 Jahre Freud auf den Müll zu werfen und mit der Arroganz der süffisanten BesserwisserIn und BesserlieberIn die Worte präpubertär, analorientiert, pervers und und und zu Schimpfworten zu degradieren, dazu die Krankheitsverachtung der FaschistInnen und Nazis noch im Ohr, bleibt mir das Erstaunen darüber, wie galant Sie die Forderungen nach Zensur und „Kopf ab“ umgangen haben und daß Sie die voyeuristische Frechheit besitzen zu behaupten, Kmös Karikaturen seien Springersches Niveau. (...)

Stefan Wagner, Berlin

betr.: diverse Äußerungen zur Weihnachtskarikatur

Bitte sagt mir doch endlich, was Jesus mit Hexenverfolgung, Glaubenskriegen, Unterdrückung von Minderheiten in negativer Hinsicht zu tun hat! Ich bin halt nur ein naiver Kirchgänger und nicht so intelligent, Fehler, die die Kirche und die Menschen, die sie bilden, gemacht haben und machen, mit Jesus Worten gleichzusetzen.

Ihr haßt hier wild in der Gegend herum und vergeßt so ein bissel, glaube ich, daß Jesus eigentlich mehr das Gegenteil von dem, was so ablief, gepredigt hat. (...)

Andreas Ströbl, Göttingen

(...) Warum wurden beim Verletzen christlicher Gefühle nicht einmal bedacht, daß nicht alle Christen gleich sind? Nicht einmal alle kirchlichen Würdenträger. Da sind natürlich die, die bis heute den Namen Christi benutzen, um ihre Schweinereien zu machen. Aber es gibt auch die, die ihr eigenes Leben und ihre Existenz riskierten und riskieren, um sich für ihre Mitmenschen einzusetzen. Die gibt es hier sie bekommen meist Schwierigkeiten mit der Kirchenobrigkeit

-und viel mehr noch in anderen Ländern. (...) Wieso interessiert es Euch nicht, was diese Menschen bewegt, Christen zu sein?

Ähnlich gedankenlos finde ich Euer Beharren auf dem Materialismus. Der und nicht Christus oder andere religiöse Inhalte bestimmen doch heute das Leben und die selbstgebastelten Katastrophen. (...)

J. Hannover

(...) Ich selber bin in Fernostasien großgeworden und wundere mich gelegentlich über die Unfähigkeit, gerade hier im „christlich“ geprägten Kulturraum, verwässerte „Christlichkeit“ und institutionalisierte Kirche, von der Lehre Christi zu unterscheiden. Ich bin auch dafür, daß man sich kritisch mit dem Christentum auseinandersetzen soll. Aber Kritik heißt für mich: Augen öffnen.

Solange Kreuzritter, Päpste, CDU/CSU, Kirchensteuer, Antikommunismus/Konservatismus etc. mit dem Glaubensinhalt gleichgesetzt werden, hat man nicht mal das eine Auge offen. („Marxismus“, zum Beispiel dürfte man auch nicht durch „Stalinismus“, Unterdrückung, DKP (KPD)/SED/KPdSU, Prager Angriff, etc. erklären und verstehen). Das Wort „Christentum“ ist zu stark vorurteilsbelastet, daß jeder kritischdenkende Mensch an die Quelle dieser Lehre rangehen müßte, bevor man den Mund aufmacht.

Ja, dann sollte man vielleicht die bürgerlich-arroganten Traditionschristen und die pseudokritizistischen -arroganten Traditionsatheisten in Frage stellen - und vielleicht davor noch sich selbst. (...)

Carl, Marburg

Einige derer, die jetzt so gotteslästerlich vom Leder ziehen, sollten sich etwas näher mit kmö und ihrem Schaffen beschäftigen. Elisabeth Kmölniger ist sicher eine der besten ihres Fachs in der westlichen Hemisphäre und überhaupt auf Erden. Gegen diese junggebliebene alte Wilde wirken die meisten der so weltmännisch-subtil daherkommenden Herren Hofkarikaturisten wie eine Kongregation von altpietistischen Pinslern und Nadel-Strichlern.

In Anbetracht deren zeitgeistlich-unbefleckten Ausgeburten kann man eigentlich nur das Stoßgebet zum taz-Himmel senden: „Ich bin klein, mein Jesulein, mehr von kmö ins Blatt hinein!“

Als Leser des Wiener 'Forums‘ (wo sie Hauskarikaturistin ist) bete ich St. Elisabeth der Schlachthöfe seit Jahren an.

Ernst Bauer, Redakteur, Reutlingen

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