: Dilemma
Zum Straßenkampf vor dem ICC ■ K O M M E N T A R
Die FAZ sah und kommentierte den Überfall „Notorische Steinewerfer“. Die taz sah in dem provokatorischen Verhalten der Polizei die Auslösung der Steinewerferei. Die FAZ denunzierte, traf aber das politische Problem; die taz berichtete richtig, vermied aber das Problem. Das Problem: Seit Jahren ist der „antifaschistische Kampf“ die wichtigste Legitimation für Militanz. Eine Legitimation, die sich von dem gemeinsamen Nenner und der allgemeinsten Überzeugung der Linken nährt, daß es ihr historischer Auftrag ist, das „Nie wieder Faschismus“ zu garantieren.
Ebensolange wie diese Überzeugung regiert, besteht das Dilemma gegenüber der real existierenden Rechten: soll man sie demonstrativ angreifen, wo immer sie auftaucht - Wehret den Anfängen - oder: Soll man eher vermeiden, daß sie dadurch eine unverdiente und politisch weitaus gefährlichere Publizität erlangt? Beide Argumente sind richtig. Prinzipiell ist das Dilemma unlösbar. Die richtige politische Reaktion hängt ab von der Definition der „faschistischen Gefahr“. Tagte also am Mittwoch im ICC die Spitze des Eisbergs, oder war es nur eine treibende Scholle? Da von der Linken bis zum Verfassungsschutz die Rechtsradikalen als ein Problem der Unterdrückung und der Kontrolle begriffen werden, kann kaum über die Größenordnung der „faschistischen Gefahr“ zutreffend geredet werden.
Die Republikaner sind keineswegs die Faschisten, sie sind eher der organisierte rechte Rand der CDU - also vor allem ein Problem der CDU. Zumal im Wahlkampf. Allerdings, sie bündeln - von Ausländerhaß bis zum Sexualneid - die entscheidenden Motive einer denkbaren faschistischen Bewegung. Ihre wesentliche, mobilisierende Botschaft ist aber, daß sie Unterdrückte sind. Daß sie den Mut haben, das zu sagen, was andere denken. In dieses Propagandaschema paßt nun lupenrein die antifaschistische Militanz. In diesem Sinne könnten die Republikaner am Mittwoch abend Polizeiprovokation hin oder her - durchaus ihr Ziel erreicht haben.
Klaus Hartung
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