Entsetzen über den Sieg der Neo-Nazis

■ Überraschung und Ratlosigkeit über das Berliner Wahlergebnis / CDU fürchtet Verschärfung der Gegensätze / Gebrochene Freude bei der Opposition

Die Emotionen schlugen hoch am Sonntag abend in der kühlen Flughallenatmosphäre der Rathausflure. Wer sich in das Rathaus begeben hatte, um in aller Ruhe Small Talk zu betreiben und sich unter seinesgleichen und unter Prominenz zu tummeln, sah sich jäh überrascht. Parteiübergreifendes Entsetzen breitet sich aus, als die ersten Hochrechnungen den hohen Anteil der Republikaner anzeigen. „Das ist ja ganz entsetzlich! Das ist ja wahnsinnig“, brüllen mir zwei ältere Männer ins Ohr. Einer gibt sich als SPD-Anhänger zu erkennen. „Das sind die Polizisten“, sagt er. „Mein Bekannter ist auch einer. Der sagt, die seien alle für diese Verbrecher!“

Staatsekretär Müllenbrock (CDU) will die Niederlage für seine Partei bis zuletzt nicht wahrhaben. Er verweist darauf, daß das ja alles noch keine endgültigen Ergebnisse sind. Sein Kollege, Staatssekretär Conen, (CDU) erklärt dem Ex-Abgeordneten Oxfort (FDP), woran es lag, daß die CDU an die Republikaner Stimmen abgegeben hat: „Ist doch klar, wenn man so jemanden wie Lummer nicht im Senat läßt.“ Die Parteilinken der Christen haben da schon etwas differenziertere Erklärungen. Uwe Lehmann-Brauns und Eckhard Wruck bemängeln das Fehlen eines inhaltlichen Wahlkampfs von seiten der CDU. Lehmann-Brauns bekommt nur einmal noch einen Hoffnungsschimmer. „Das sieht doch gar nicht so leicht aus!“ ruft er aus, bis ihm jemand erklärt, daß er gerade auf die Wahltafel mit den Ergebnissen von 1985 gestarrt hatte. Wruck meint im Gegensatz zu vielen der zahlreich versammelten CDU -Anhänger, seine Partei habe auch auf die Rechte argumentativ eingehen müssen. Andere CDUler wissen genau, wer schuld ist: Die Presse, so ist immer wieder zu hören, die habe dafür gesorgt, daß die Republikaner so bekannt und damit aufgewertet wurden. Entsetzt ist Kreuzbergs Bürgermeister Krüger (CDU) über den Wahlerfolg der Rechten in seinem Bezirk: „Das wird furchtbar in Kreuzberg! Die Gegensätze werden sich verschärfen.“ (Fortsetzung auf Seite 18)

FORTSETZUNG VON SEITE 17

Emotional reagieren auch die Liberalen, als sie erfahren, daß sie wohl diesmal draußen vorbleiben werden. „Schöne Scheiße“, ruft Finanzsenator Rexrodt einem Parteifreund entgegen. Wo denn bloß die Stimmen geblieben sind, kann sich bei der FDP niemand so recht erklären. Der junge Neuköllner Kandidat der Partei versteht die Welt nicht mehr. Die CDU sei öfters angegriffen worden, aber seiner Partei sei beim Wahlkampf stets mit Sympathie begegnet worden.

Bei der Opposition braucht man keine Wunden zu lecken. Hier wird vorwärts gedacht. Zwar äußern auch alle Betroffenheit, Kopfschütteln und Entsetzen, freuen sich aber gleichzeitig auf die Zeiten, die kommen werden. „Wenn das so bleibt, dann rauchen wir den Momper in der Pfeife!“ freut sich der scheidende Abgeordnete Frank Kapek. Händereibend kommentieren auch die Genossen. „Jetzt muß sich die AL etwas überlegen.“

Als der Bundesvorsitzende der Republikaner von einem Pressestudio ins andere drängt, wird es tumultartig im Keller des Rathauses. „Nazis raus“, brüllen die Gäste, „Ausländerfeinde“ und versuchen, Schönhuber den Weg zu verstellen. Geschützt wird der Mann, wohl eher ungewollt, nur noch durch die Massen von Fotografen und Kameras, die ihn umringen. Er flüchtet schließlich mit seinen Mannen ausgerechnet in den Fraktionsraum der AL und verschanzt sich dort. „Der hat aber trotzdem noch eine auf die Schnauze gekriegt!“ freut sich ein älterer Herr im Gedränge.

Sehr schnell haben sich vor dem Rat

haus Hunderte von Demonstranten eingefunden. Der Strom reißt nicht ab. „Nazis raus“, rufen sie und „Ausländer bleiben, Nazis vertreiben.“

In Bonn ist der Einzug der Republikaner mit Bestürzung aufgenommen worden. Gleichzeitig machte sich die CSU angesichts des Erfolgs im rechtsradikalen Lager für eine Verschärfung des Asylrechts stark. Bundeskanzler Kohl zeigte sich in der „Bonner Runde“ alarmiert von der „schweren Wahlniederlage“ der CDU und den gewaltigen Stimmengewinnen der Republikaner. Kohl führte das Wahlergebnis auch auf die schwächere Wahlbeteiligung in Berlin zurück. Er gestand jedoch zu, daß die Ausländerpolitik zu Lasten der CDU gegangen sei. Aber auch die Diskussion um die Gesundheitsrefom habe eine Rolle gespielt. „Wir müssen nachdenken, was das für die Bundespolitik bedeutet“, kündigte er an. Eine Annäherung zwischen Republikanern und CDU nannte er „abwegig“. Christian Ströbele von der AL sagte, die Ausländerpolitik von Kohl und Diepgen habe den „Boden bereitet, auf dem die Republikaner wachsen konnten“. Kohl habe eine Politik eingeleitet, „die mit ausländischen Bürgern so umgegangen ist, daß das Menschen zweiter Klasse sind“. Die Republikaner hätten nur die Früchte dieser Politik geerntet und „das versprochen, was die CDU nicht laut sagt“. Der CSU-Vorsitzende Theo Waigel wertete das Wahlergebnis als Zeichen dafür, daß die großen Volksparteien nicht in der Lage seien, „das Protestpotential von links und rechts an sich zu binden“. In dieser Beziehung habe die CSU immer Profil gezeigt und werde das auch künftig tun. Waigel ergänzte, daß die CSU ihre Politik fortsetzen und sich dafür einsetzen werde, daß sie auch im Bund ver

wirklicht werde. Es gelte, den Bundesinnenminister in seinen Plänen zur inneren Ordnung, zur Ausländer- und zur Asylgesetzgebung zu unterstützen. „Wir brauchen eine Änderung des Grundgesetzes, um die Probleme der nächsten Jahre lösen zu können“, erklärte Waigel nach Angaben der CSU -Landesleitung.

Der Bundesvorsitzende der Republikaner, Franz Schönhuber, sprach sich für Zeitverträge für Gastarbeiter aus. Die Stimmen für die Republiner zeigten, daß „ein demokratisch geläuterter Patriotismus in diesem Land notwendig“ sei. Seine Partei habe „den Erfolg trotz aller Gegenwehr erzielt“. Er fügte hinzu: „Wir sind keine Extremistenpartei, keine ausländerfeindliche Partei.“ Die Republikaner seien nicht rechtsradikal, sondern rechtskonservativ. Dies heiße, „rechts von der konturlosen Berliner CDU“.

Der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff bezeichnete das Scheitern seiner Partei an der Fünf-Prozent-Hürde als „schockierend“ und „sensationell“. „Dies ist kein guter Tag für die Liberalen“, sagte er, „auch nicht für den Vorsitzenden der FDP“. Die kommende Zeit werde eine „schwierige Durststrecke“ für seine Partei.

Der Berliner CDU-Generalsekretär Klaus Landowsoy hält eine rot-grüne Koalition für eine „katastrophale Lösung“ für die Stadt. Eine solche Konstellation werde die CDU nicht kampflos hinnehmen. Auch für ihn ist es denkbar, daß es in der Stadt eine Große Koalition geben könne. Als dritte Möglichkeit nannte er Neuwahlen. Wenn es in der Stadt keine regierungsfähige Mehrheit gebe, müßten die Bürger nochmals zur Wahl gerufen werden.

taz