: Funktion unbekannt
■ Die bekannte Hellseherin über drei Ausstellungen afrikanischer Kunst in München und die Praktiken der Kunsthändler
Luisa Francia
Zur Zeit gibt es in München gleich drei Ethno-Kunst -Ereignisse. Im Völkerkundemuseum eine Senufoausstellung, bestückt von diversen Sammlern aus Zürich, eine Aboriginal-Kunst-Schau, zusammengestellt von Katharina und Andreas Lommel, und schließlich noch die Eröffnung der hochgelobten Müller-Barbier-Ausstellung die schlicht „Afrikanische Kunst“ heißt und „Spitzenstücke“ aus der Genfer Sammlung zeigt. Das Ganze findet im Haus der Deutschen Kunst statt, wie der neoklassizistische Bau bei den Nazis hieß. In solchen Räumen mit solchen Ausstellungsstücken ist Sensibilität angebracht, aber dazu später.
Ich beginne meine Ethno-Entdeckungsreise im Völkerkundemuseum, Aboriginal-Kunst. Im Prestelkatalog, der seine 86 Mark immerhin wert ist, denn die Aboriginalkunst ist hin, und hier ist sie wenigstens dokumentiert, schreibt Frau Katharina Lommel unbekümmert über „unsere Esel“, „unsere Pferde“ und „unsere Eingeborenen“. Selbstverständlich war damals alles wunderschön und noch nicht „vom Tourismus verdorben“. Denn heute kann man ja all diese heiligen Orte mit dem Landrover erreichen, so daß es kein Wunder ist, daß sie entweiht und zerstört werden. Einen Zusammenhang ihres eigenen Verhaltens zur Zerstörung stellen die Forscher nicht her. Unbekümmert kopieren und pausen sie heilige Bilder ab und lächeln über die Angst der „Eingeborenen“, die eine Rache der Wondschinas befürchten. Ach woher denn, was soll denn da passieren! Natürlich passiert den Lommels nichts, außer daß sie eine wunderbare Kunstsammlung angelegt haben; die Aboriginalkultur dagegen mit ihren Bräuchen, ihrer Kunst, ihren sozialen Geflechten, ist, wie die AutorInnen des Katalogs bekümmert zugestehen, restlos zerstört.
Auf meiner Wanderung zwischen Kultsteinen und bemalten Klanghölzern, zwischen Senufo-Ahninnen und Holzbetten werde ich urplötzlich von einer Ausstellungsfinsternis überrascht. Ich schreibe die Dunkelheit meiner eigenen düsteren Stimmung zu und warte zuerst einmal ab. Dann aber, als nichts mehr zu hören und zu sehen bleibt, taste ich mich an warmen Holzleibern und kühlen Vitrinen entlang zur Ausgangstür. Sie ist verschlossen, ich bin eingesperrt. Ich schiebe die Unruhe beiseite und genieße, was ich noch nie genießen durfte: Haut an Haut mit alten Kraft-Objekten im Gefängnis zu sein. Unter meinen übermütigen Gesängen scheinen die Malereien auf den Kultsteinen aufzuleuchten. Oder ist es nur das Licht, das durch die Türritzen scheint wie in einem Science-fiction-Film? Erst als mir klar wird, daß es in diesen Räumen kein Klo gibt, und das Museum zur Nacht geschlossen wird, schreite ich zu meiner Befreiung, leider. Als ich schließlich die paar Meter zwischen Eingesperrtsein (Völkerkundemuseum) und Eingelassensein (Haus der Kunst) zurücklegen kann, hat sich eine neue Wachsamkeit in mir breit gemacht.
Stumm lasse ich mich in der Müller-Barbier-Ausstellung von ethnoschmuckbehangenen Damen und geschäftlich plaudernden Herren von Glaskasten zu Glaskasten schieben. Viele dieser afrikanischen Figuren sehen in ihrem Genfer Magazin nie das Tageslicht. Jetzt starren sie aus ihrem Privatzoo auf die elegante Welt von München und Umgebung; auch JapanerInnen und ItalienerInnen, FranzösInnen und vor allem SchweizerInnen fehlen natürlich nicht. Anwesend sind Galeristen („die hat er mir vor Jahren haarscharf weggeschnappt“) und KäuferInnen, für die es hier allerdings nichts zu holen gibt. Sammeln verpflichtet.
Es liegt nicht an den Ausstellungsstücken, daß Unbehagen aufkommt. Können wir wirklich, Ende des 20.Jahrhunderts, noch immer angeregt darüber plaudern, daß Picasso und Matisse von der „Negerkunst“ inspiriert wurden, Gauguin aber eigentlich nicht von der Südseekunst, ohne zu überlegen, wie diese wundervollen Kunstgegenstände in die diamantberingten Finger der mondänen Welt, in die Ateliers der genialen Maler kamen?
Vielleicht so: Tuaregfamilie kämpft ums Überleben, zieht von Dürregebiet zu Dürregebiet, trifft auf Entwicklungshelfer, Touristen, Pfarrer, Kunstsammler usw. und verkauft für ein Butterbrot alten Familienschmuck (die Preise am internationalen Kunstmarkt sind ihr dummerweise nicht geläufig). Hier ist es vielleicht angebracht, etwas über den durchschnittlichen Mittelstandssammler in Deutschland zu sagen (ich habe viele kennengelernt, die Objekte verkaufen und in Zeitungen inserieren): Er ist Ingenieur, Physiker, Arzt oder sonst irgendein Technokrat/Freak und erholt sich von seiner kühlen, durch und durch sachlichen Arbeit, indem er drei- bis fünfmal im Jahr auf Abenteuerreise geht („wo noch kein Mensch vor mir war“). Von dort bringt er „Touristenware“ mit, leckt Blut, fängt an, auf Auktionen und in Ausstellungen zu gehen, kultiviert ist er ja, schließlich hat er Abitur. So nimmt die Tätigkeit des Sammlers und Jägers seinen Lauf, bis wir ihm schließlich auf der Eröffnung der Afrika-Ausstellung im Haus der Kunst wiederbegegnen.
Oder es geht so: Ein Bauer verkauft einer internationalen Samen/Öl-Firma (mit Sitz in der Schweiz vielleicht), ein Feld. Mit der neuen Produktion der Firma kommen die Weißen, und sie interessieren sich auch für die Ahnenfiguren, die der „Eingeborene“ in seiner „Hütte“ herumstehen hat. Für seine Begriffe bekommt er ein Vermögen. Aber auf dem internationalen Sammlermarkt vergolden sich manche Händler ihren Arsch damit, während der Bauer in Westafrika längst verhungert ist. Warum sollte es ihm auch anders gehen als van Gogh. Manche Kunstwerke, die alten, wertvollen, sind auf besonders trickreiche Art zu uns gelangt: weißer Missionar bringt schwarzen Frauen europäische Ehemoral bei (Missionarsstellung) und verleitet danach das Stammesvolk, das heidnische Zeug fortzuwerfen, weil es Gott nicht gefällt. Da wo sie es schließlich in ihrer Arglosigkeit hinwerfen, steht schon einer mit einem Überseekoffer.
Die neue Variante habe ich selbst in der Falaise bei den Dogon gesehen: einheimischer Antiquitätenhai geht in Dogon und Tellem-Dörfer und klaut sich einfach, was noch zu klauen ist: Bestattungstöpfe, Knochen (werden zu Fetischen verarbeitet), Kultgegenstände von alten Kultplätzen usw. Die mohammedanische Dorfverwaltung schaut desinteressiert zu. Erstens sollen der Ahnenkult und der „Animismus“ eh verschwinden, zweitens springt im Kunsthandel immer auch für die Chiefs was ab.
Vor einiger Zeit stellte das Gasteig in München indianische Kunst aus. Schirmherr und Mitträger der Wanderausstellung war MacDonalds. Was in der Vergangenheit erforscht wurde, wurde auch zerstört. Zum Beispiel die Schweizer Chemiefirma Ciba-Geigy. Sie unterhielt schon in den zwanziger Jahren eine ethnologische Forschungsgruppe und veröffentlichte eine Zeitschrift namens 'Ciba-Zeitschrift‘, in der Berichte über Ahnen- und Totem-Kult, über Heilweisen, Trance, Tänze, Kräuterkunde usw. zu lesen waren. Nachdem sie die traditionellen Heilweisen und Bräuche erforscht hatten, wurden sie gezielt zerstört. Die neuen Heilmittel kamen per Flugzeug und mußten bezahlt werden. Bezahlt vor allem mit dem Verlust der eigenen Kultur und Identität. Wer die Sammlung gesehen hat und wer darüber hinaus weiß, daß eine Sammlung wie die der Müller-Barbiers nur ein Bruchteil dessen ist, was das ehrenwerte Paar aus Afrika abgeschleppt hat, kann sich den Vergleich mit Aasgeiern nicht verkneifen.
Beobachtungen am Rande der Ausstellung: die einzigen anwesenden Afrikaner arbeiten an der Bar und an den Trommeln. Die Trommelgruppe hat einen weißen Anführer, und wohl nicht zufällig trägt er, der Weiße, das Häuptlingshemd. Gibt es wirklich keine afrikanischen EthnologInnen oder AnthropologInnen, die über ihre eigene Geschichte, Kunst und Vergangenheit sprechen könnten? Statt dessen werden, wie bei allen ähnlichen Veranstaltungen, die BesucherInnen mit Trommelrhythmen eingepeitscht, dann entsteht auch diese gewisse erotische Spannung, die so gut zu den „erotischen Plastiken“ paßt, archaisch, nennt man das auch. Und fehlt uns nicht allen diese herrliche Freiheit der Schwarzen und ihre Unbekümmertheit im Umgang mit ihrem Körper, ja ja, die Wilden „nächste Woche fahr‘ ich wieder runter, ich hab da einen ganz zuverlässigen Mann, mit dem ich schon jahrelang zusammenarbeite, was sagen Sie, in Afrika selbst gibt's nichts mehr zu finden? Ach woher denn, es gibt noch abgelegene Dörfer, die jahrelang keine Europäer gesehen haben, da läuft mit Kugelschreibern und Plastiktüten einiges...“ Ausgerechnet in den Hallen der ehemals Deutschen Kunst des „Tausendjährigen Reiches“ wird im Multivisions -Raum eine afrikanische Kunst-Dokumentation gezeigt, bei der auf der Landkarte unter der Bezeichnung Schwarzafrika Südafrika ausgespart bleibt. So einfach ist das in der Kunst, oder dachten Sie, Südafrika sei schwarz? Eben.
Daß im Plauderton erzählt wird, das alte Königreich Benin sei „im Zuge einer britischen Strafexpedition“ (das Wort wird selbstverständlich nicht in Frage gestellt) dem Erdboden gleichgemacht worden und erst nachher hätte man diese wundervollen Plastiken entdeckt, die von einer Hochkultur zeugen, erinnert an den Zynismus Hitlers, der ja auch in Prag ein Museum anlegen ließ, um ein „untergegangenes Volk“ zu dokumentieren, bevor er die letzten Juden vergasen ließ.
Das Museum wird heute problemlos weiter geführt, ebenso wie wir problemlos die Kunst ausgerotteter afrikanischer Völker genießen und nach wie vor der Wissenschaftszweck der Ethnologie oder Anthropologie alle Mittel heiligt.
Bei einem Fetisch der Sammlung Müller-Barbier steht die Bemerkung: „Funktion unbekannt“. Hat sich schon einmal ein Sammler oder Ethnologe überlegt, was da für eine Kraft an Land gezogen wurde und was die vielleicht bewirken könnte? Kunst in Afrika ist nämlich im Gegensatz zu den Gepflogenheiten des heutigen Kunstmarkts immer Darstellung einer bestimmten Macht oder Kraft gewesen. Funktion unbekannt - ich finde das klingt verheißungvoll. An die Arbeit, Fetische!
Ausstellung „Senufo“ noch bis 4.2.89 im Völkerkundemuseum München
Ausstellung „Kunst des alten Australiens“ bis 16.4.89 ebenfalls im Völkerkundemuseum
und „Afrikanische Kunst“ bis 19.2.89 im Haus der Kunst München und dann von 15.3. bis 15.5.89 in Genf
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