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Tempogegenstöße nach den Grabreden

B-Weltmeisterschaft im Handball: Nach 23:21 gegen Rumänien keimte noch einmal Hoffnung für das bundesdeutsche Team  ■  Aus Straßburg Petra Höfer

Im „Salle de Presse“, vor lauter Gebäum und Geblüm einem Beerdigungsinstitut nicht unähnlich, proben die Kollegen am Montagabend vorsichtshalber schon mal die Grabrede. Der Mann im Nadelstreifenanzug stapft frischgeduscht wie stets, aber triefnasig, rotäugig und ratlos wie selten vor sein Mikro. „Ich war auch Spieler“, sagt Petre Ivanescu, der sonst stets knarzende Lino Ventura des Hallenhandballs, geradezu zart. „Ich kannte Hemmungen und Verkrampfung und Angst nie. Vielleicht habe ich darum diese Mannschaft nie verstanden.“

Die derweil aber eigentlich auch von allen anderen nicht mehr verstandenen Nervenzärtelchen um Bundestrainer Ivanescu hatten sich gerade mit einem 21:23 gegen Island vom Hauptrunden-Handballfeld in der Rheinhalle zu Straßburg getrollt und sich damit weit von den ersten drei Plätzen ihrer Gruppe, die die Fahrkarte zur A-WM 1990 in Prag bedeuten würden, entfernt. Eine ganze Nationalmannschaft, kollektiv so hibbelig, ungelenk und verstakst wie sonst nur ein einzelner Oberschüler beim ersten Kuß, hatte gegen die durchschnittlich einen Kopf kleineren, aber lustig und behende die Pässe um den Kreis flechtenden Isländer „keine Chance gehabt, weil sie keine Chance gesucht hat“, brummte der Bundestrainer nach seiner zweiten großen Niederlage wie ein bekümmerter Tanzbär. „Das war eine Lektion fürs Leben. Obwohl ich solche Lektionen eigentlich nicht mehr brauche.“

„Don Petre“, dieser von Sportjournalisten hingemeißelte Rauhbein-Mythos der Branche, lernt. Nachsitzen im Mißerfolg. Darüber wird er blaß und angreifbar - und liebenswert. „Er hat der gesamten Mannschaft, die gegen die Schweiz Scheiße gebaut hat, nochmal eine Chance gegeben“, spricht selbst Ulrich Roth mit merkwürdig warmherziger Mischung aus Achtung und Unverständnis über den Mann, der noch WM-eingangs stets gezetert hatte, über die Mannschaftsaufstellung habe er „mit Verstand und Logik“ zu entscheiden und „nicht mit dem Herzen“. Der Mythos bröckelt. Das miesepetrige Konstrukt aus Arbeitsethos, Schweiß und charakterstarken Männern in kurzen Hosen weicht einem kollegialen Menscheln: „Ich habe dieser Mannschaft vertraut. Es tut weh, aber es ist keiner gestorben. Meine Familie ist gesund.“ Ein Mann auf Entdeckungsreise ins kleine Glück jenseits der Handballfeldmarkierungen.

Dann Dienstagabend: die wohlgekleideten Herren mit den Aktenköfferchen verstehen im Foyer des Straßburger Holiday Inn ihre geschäftsmäßig geordnete Welt nicht mehr. Vier Männer in Sportschuhen und Trainingsanzügen liegen sich unweit der Rezeption in den Armen, schniefen und glückselen und erklären auf Nachfrage den ganzen unbeherrschten Jubel mit einem 19:18-Sieg einer isländischen Nationalmannschaft gegen eine schweizerische. Ja und? Die Geschäftsleute zucken mit den Schultern und entschwinden zu den beruhigend elegant livrierten Kellnern in die Hotel-Bar, wo die Herren Ivanescu, Fitzek, Löhr und Roth seit gut zwei Stunden alles zerfleddert hatten, was ihnen aus Papier oder Pappe in die Finger kam, bevor sie von einem Angestellten des Etablissements vom Sieg Islands in der Rheinhalle benachrichtigt wurden.

Gut 500 Meter von solch anmutiger Szenerie entfernt küßt Jochen Fraatz ebenda „zum erstenmal einen Mann“. Es traf den ehemaligen TUSEM-Essen-Vereinskollegen Alfred Gislason, weil der und alle unsere Freunde von der isländischen Nationalmannschaft mit ihrem Zittersieg über die Schweiz das Unentschieden verhindert hatten, das Fraatz und den Rest der zerknütterten Handballhelden des DHB wieder „zum Weltmeister der Trostrunde“ (Torwart Andreas Thiel) verdonnert hätte. Die nämlich hatten gut fünf Stunden zuvor und verstärkt von Volker „Länglich“ Zerbe, dem 2,11 Meter hohen Rotschopf des TVB Lemgo, einfach ganz wunderbar Handball gespielt, eine 23:21-Freude für alle deutschen Handballfans, nach der die hochfavorisierten, aber vermeintlich bereits für die A-WM qualifizierten Rumänen in den Augen einiger Schweizer Kollegen und der Handballdramendichter von 'Bild‘ als „Schieber“ vom Platz schlichen. „Die Rumänen können selbst noch rausfliegen“, grantelte Andreas Thiel am Mittwoch vor der versammelten Presse, nachdem sein Trainer dem Verfasser des 'Bild'-Textes bereits sein „Ich hasse Sie“ in den Notizblock geschleudert hatte.

Die 14:9-Halbzeitführung verdankte man offensichtlich weniger irgendwelchen krummen Pfaden als sechs Toren aus kerzengeraden Tempogegenstößen: „Spieler wie Stinga oder Dumutri - die springen nicht auf und rennen zurück. Wenn die mal liegen, dann zetern sie erstmal mit Gott, ihrer Mutter und den Schiedsrichtern“, so Ulrich Roth. Mit Martin Schwalb auch in der Deckung, auf daß der schnelle Konterangriff möglichst erfolgreich verlaufe, dem 20jährigen Neuling „Zebu“ Zerbe, der aus großer Höhe und mit entsprechender Übersicht die Bälle besonnen an seine Mitspieler oder in das rumänische Tor verteilte, und den 152-Länderspiel-Routiniers wie Roth dazwischen, übt das DHB-Team jetzt erst mal wieder das Gewinnen. Die Freudenhupfer nach dem Sieg über Rumänien waren jedenfalls noch sehr ausbaufähig.

„Wenn wir hier scheitern, werde ich denselben Weg nehmen wie Simon Schobel“, hatte Ivanescu noch nach der Montags -Niederlage mit kollegialem Blick auf seinen unglücklichen Vorgänger entschieden. Nachdem am Mittwoch mathematisch schlüssig geklärt war, daß im Falle eines DHB-Sieges mit mindestens sieben Toren Vorsprung über Bulgarien und einem Sieg (also keinem Unentschieden) im Spiel Schweiz - Rumänien das deutsche Team doch noch zur A-WM reisen dürfte, grummelte der Bundestrainer schon wieder: „Die Vorbereitung war einfach amateurhaft. Das ist keine Nationalmannschaft: Die lernen im Trainingslager, die schreiben Klausuren und kriegen Windpocken. Geben Sie mir Geld, und ich mache in zwei Jahren einen Weltmeister. Mit Vertrag. Einen Sponsor, bitte.“

Und sollte die Psycho-Mannschaft gestern (nach Redaktionsschluß) gegen Bulgarien wieder ins Flattern geraten sein, wird der philosophisch gewordene Bummskopp des deutschen Handballs bestimmt einfach gehalten haben, was er schon nach der Schweiz-Niederlage versprochen hatte: „Glauben Sie nicht, daß ich jetzt einen Herzinfarkt kriege. Das mache ich nicht. Sport ist schließlich die schönste Nebensache der Welt.“

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