piwik no script img

Die chemisch-biologische Aufrüstung

Chemische Kampfstoffe sind - so steht es in Meyers Lexikon dazu bestimmt, den Feind durch Einwirkung auf seine Augen, seine Atmungsorgane, die Haut oder das zentrale Nervensystem kampfunfähig zu machen oder zu töten. Zu ihnen zählen Augen -, Nasen- und Rachenreizstoffe, Lungengifte, Hautgifte und Nervengifte. Neueste Errungenschaft der US-Wissenschaftler sind die „binären“ C-Waffen, bei denen sich das Gift erst durch die Reaktion zweier Ausgangsstoffe nach Zündung des Projektils entwickelt.

Besonders interessiert zeigen sich die modernen Giftmischer an sogenannten Toxinen - giftigen Stoffwechselprodukten lebendiger Organismen wie Bakterien, Pilze, Viren. Diese lebendigen Organismen selbst gehören zur Kategorie der B -Waffen, da sie sich im angegriffenen Körper vermehren und Krankheiten wie Typhus, Cholera, Pest oder den Tod von Menschen, Tieren und Pflanzen verursachen können. Die aus ihnen gewonnenen Toxine hingegen sind leblos und nicht vermehrungsfähig. Mit dieser Begründung werden sie - obwohl Produkte der B-Waffenforschung - von interessierter Seite den C-Waffen zugerechnet.

Der wissenschaftliche Streit, ob Toxine den B- oder den C -Waffen zuzuordnen sind, hat politischen Hintergrund: 1972 haben über 100 Staaten, darunter Nato und Warschauer Pakt, ein Abkommen unterzeichnet, das nicht nur Einsatz, sondern auch Entwickung, Herstellung und Lagerung von B-Waffen ächtet - der erste wirkliche Abrüstungsvertrag. Für die chemischen Waffen existiert dagegen nur ein Anwendungsverbot (nach dem Genfer Protokoll von 1925).

Ein Abkommen, das auch die Herstellung und Lagerung der C -Waffen verbieten würde, ist zwar in Genf bis zur Unterschriftsreife ausgehandelt worden. Die US-Regierung verzögert aber seit Monaten den Abschluß dieses Abkommens.

In den siebziger Jahren hatte es kaum Widerstand gegen das B-Waffenabkommen gegeben, da sich bei einem Einsatz nur schwer eigene Soldaten und Zivilbevölkerung schützen ließen. Doch in den achtziger Jahren vollzog sich ein Sinneswandel bei den Militärstrategen. B-Waffen seien „billig, sauber, schnell und vielseitig einsetzbar“, sagte Pentagon-Lobbyist Douglas Feith 1986 vor dem Kongreß.

Diese Neueinschätzung ist der Gentechnologie zu verdanken. Mit ihrer Hilfe kann der Produktionsprozeß biologischer Waffen vereinfacht und beschleunigt werden, so daß es nicht mehr nötig ist, große Mengen des gefährlichen Materials zu lagern. Die „Atombomben des kleinen Mannes“, wie B-Waffen wegen ihrer niedrigen Herstellungskosten auch genannt werden, können jetzt innerhalb weniger Tage in kleinen Labors, die nicht von kommerziellen Betrieben zu unterscheiden sind, aus einer winzigen Vorratsmenge hergestellt werden.

Durch Neukombination der DNS können neue pathogene Organismen entwickelt werden, die es in der Natur nie gegeben hat. Der passende Impfstoff für die eigenen Soldaten und Zivilisten wird gleich mitproduziert. Aus zwei Gründen legen die Wissenschaftler dabei besonderes Augenmerk auf die gentechnologische Entwicklung neuer Toxine. Sie sind erstens um ein Vielfaches giftiger als herkömmliche Substanzen. Und: Sie können als C-Waffen ausgegeben werden und fallen damit in die Grauzone der internationalen Abkommen.

Auch der B-Waffenvertrag hat allerdings seine Schwächen. Er erlaubt immerhin Forschung mit begrenzten Mengen biologischen Waffenmaterials - für defensive Zwecke. Dies gab zwar zur Zeit des Vertragsabschlusses 1972 wenig Anlaß zur Besorgnis; doch mit der Einführung der Gentechnologie sind die Möglichkeiten enorm gewachsen, das Abkommen auszuhöhlen. Da Zahl und Typen der heutzutage synthetisch herstellbaren Wirkstoffe praktisch unbegrenzt sind, ist der Gedanke an eine medizinische Verteidigung im Grunde absurd. Auch eine B-Waffenforschung nur zum Schutz der eigenen Soldaten und Bevölkerung gibt es nicht: die Arbeit an Wirkstoffen zur Abwehr biologischer Waffen setzt immer die Entwicklung eben dieser Waffen voraus.

B-Waffen sind ideale Angriffswaffen besonders für „Konflikte niedriger Intensität“. So könnten beispielsweise Wirkstoffe entwickelt werden, die im Zielgebiet vorkommenden Krankheiten und Seuchen ähnlich sind. Die Opfer wissen dann nicht einmal, daß sie angegriffen werden. Über die Wasserversorgung könnten Hormone oder Haluzinogene verteilt werden, die feindliche Truppen sowie die Bevölkerung in abgeschlaffte Zombis verwandeln. Sogar „ethnische B-Waffen“ werden laut einem 1984 erschienen UNO-Bericht entwickelt- in Südafrika. Auf Grund rassisch bedingter Unterschiede in der Struktur und Anzahl der Gene, die beispielsweise die Anfälligkeit für Gifte kontrollieren, lassen sich Waffen produzieren, mit denen gezielt bestimmte Bevölkerungsgrupen ständig vergiftet werden könnten, um ihre Widerstandskraft zu brechen - moderne Kriegsführung im Namen des Fortschritts.

Michael Fischer

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen